Dritter Tag der Kampfhandlungen in Bergkarabach
Militärische Entwicklungen und zivile Opfer
Am 29. September beschuldigte die Sprecherin des armenischen Verteidigungsministeriums Shushan Stepanjan Aserbaidschan, größere, zerstörerische Waffensysteme als zuvor eingesetzt zu haben. Insbesondere sprach sie über den Einsatz des schweren Artilleriesystems TOS-1A bei offensiven Aktionen in bestimmten Bereichen. Sie fügte hinzu, dass die armenische Seite möglicherweise gezwungen sein könnte, Geräte und Munition einzusetzen, mit denen weiträumige Ziele angegriffen werden können, die für die große und wahllose Zerstörung von Personal sowie für stationäres und mobiles Eigentum bestimmt sind.
Die Sprecherin des armenischen Außenministeriums erklärte, die aserbaidschanischen Streitkräfte hätten auf die militärische und zivile Infrastruktur der Region Vardenis geschossen, die nicht zu Bergkarabach gehört. Es wurde berichtet, dass dabei ein Zivilist starb.
Der Vertreter des armenischen Verteidigungsministeriums Artsrun Hovhannisjan sagte während einer Pressekonferenz, dass nach der Klärung der Informationen über die Zahl der armenischen Soldaten, die bei den Kämpfen mit Aserbaidschan am 27. und 28. September in Bergkarabach verwundet wurden, die Zahl kleiner als vorerst angenommen war. „Die Zahl ist gesunken, denn als wir diejenigen analysiert und von der Liste gestrichen haben, die leicht verletzt waren und weiterhin dienen oder wieder in den Dienst gestellt wurden, stellte sich heraus, dass die Zahl der verwundeten Soldaten zwischen 100 und 120 liegt, verglichen mit den zuvor gemeldeten 200“ sagte er. Er behauptete auch, dass Aserbaidschan bei den Zusammenstößen 60 Soldaten verloren habe.
In der Zwischenzeit gab der Mobilisierungs- und Wehrpflichtdienst Aserbaidschans bekannt, dass Busse mit Reservisten von verschiedenen Zweigen des Militärs in ganz Aserbaidschan an die Front geschickt werden.
Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium berichtete, dass S-300-Langstrecken-Boden-Luft-Systeme von Eriwan aus in Bewegung gesetzt wurden und nach Bergkarabach fahren. Es wurde betont, dass diese sofort zerstört werden würden, wenn sie in Bergkarabach eintreffen. Darüber hinaus wurde berichtet, dass seit den Morgenstunden Kämpfe um die Stadt Füsuli begonnen haben. Das Verteidigungsministerium bestritt auch Berichte aus Armenien, wonach ein Su-25-Flugzeug der armenischen Luftwaffe abgeschossen wurde.
Das aserbaidschanische Außenministerium und die Generalstaatsanwaltschaft haben angegeben, dass bisher zwölf aserbaidschanische Zivilisten getötet und 35 verletzt wurden. Es gibt keine offiziellen Daten über die Anzahl der toten und verwundeten Soldaten in Aserbaidschan.
Politische Entwicklungen
Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan führte ein Telefongespräch mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er sprach über die Situation in Bergkarabach und betonte, dass Aserbaidschan den De-Facto Behörden in Bergkarabach den Krieg erklärt habe. Paschinjan merkte an, dass die derzeitige im Gegensatz zu den Eskalationen der vergangenen Jahre durch eine äußerst aktive und voreingenommene Position sowie durch die destabilisierende direkte Beteiligung der Türkei an den Feindseligkeiten auf aserbaidschanischer Seite gekennzeichnet sei. Sowohl Merkel als auch Guterres äußerten tiefe Besorgnis über die Situation. Sie stellten fest, dass es zu der friedlichen Beilegung des Bergkarabach-Konflikts keine Alternative gebe, und betonten die Notwendigkeit, den Friedensprozess im Rahmen der OSZE-Minsk-Gruppe wieder aufzunehmen.
Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew telefonierte auch mit Angela Merkel und António Guterres. Er sagte, Armenien habe am 27. September eine militärische Provokation gegen Aserbaidschan angefangen, indem es Militäreinheiten, Städte und aserbaidschanische Dörfer entlang der Kontaktlinie mit schwerer Artillerie beschossen hat. Er betonte, dass Paschinjans Aussage, „Karabach sei Armenien, Punkt”, den Verhandlungsprozess sinnlos mache. Er fügte hinzu, dass der armenische Verteidigungsminister David Tonojan Aserbaidschan mit einem neuen Krieg um neue Gebiete drohte und dass dieser Plan nun umgesetzt werde. Alijew sagte auch, dass Armenien eine Politik der illegalen Ansiedlung ausländischer Staatsbürger in den besetzten Gebieten Aserbaidschans betreibt, was eine grobe Verletzung des Völkerrechts gemäß der Genfer Konvention darstellt, und fügte hinzu, dass dies als Kriegsverbrechen angesehen wird. Während des Telefongesprächs diskutierten die Seiten auch Möglichkeiten zur Wiederherstellung des Waffenstillstands und des Verhandlungsprozesses.
Internationale Reaktionen
Kreml-Sprecher Dmitry Peskow verurteilte Aussagen „über militärische Unterstützung” in den anhaltenden Feindseligkeiten zwischen Armenien und Aserbaidschan, da diese „Öl ins Feuer gießen”. Er beanwortet nicht direkt die Frage über die mögliche Absicht Russlands, Armenien im Rahmen der Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit (OVKS) militärisch zu helfen. „Der Kreml wird vor allem von der Notwendigkeit eines sofortigen Waffenstillstands und dem Ende der Feindseligkeiten geleitet”, antwortete er. Peskows Kommentar folgte der Behauptung des türkischen Außenministers Mevlut Cavusoglu, der heute zuvor sagte, die Türkei sei bereit, „Aserbaidschan sowohl am Verhandlungstisch als auch auf dem Schlachtfeld zu unterstützen”.
Der Vorsitzende des Komitees der Russischen Staatsduma für eurasische Integration und Beziehungen zu Russen im Ausland Leonid Kalaschnikow erklärte, dass die der OSZE anvertrauten Prozesse wie die Rückkehr der besetzten Gebiete und die Rückkehr der Binnenvertriebenen, der Status von Bergkarabach und andere Fragen nun „begraben” wurden und dass die Bergkarabach-Verhandlungen von neuem beginnen sollten.
Der US-Außenminister Mike Pompeo sagte beim Treffen mit seinem Amtskollegen Nikos Dendias in Griechenland, dass sie den Konflikt in Bergkarabach erörterten, „wo beide Seiten die Gewalt beenden und mit den Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe zusammenarbeiten und zu substanziellen Verhandlungen so schnell wie möglich zurückkehren müssen.”
Die französische Regierung erklärte, sie werde Gespräche zwischen der Minsker Gruppe fordern, um zu versuchen, den Konflikt zu lösen. „Wir werden in den kommenden Tagen eine Koordination der Minsker Gruppe voranbringen, um zu klären, was passiert ist, wer verantwortlich ist und um einen Ausweg zu finden”, zitierte Reuters einen Beamten aus dem Büro des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Es wurde auch berichtet, dass Cavusoglu ein Telefongespräch mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas führte, um die neuesten Entwicklungen im Konflikt zu besprechen.
Der Sprecher der iranischen Regierung, Ali Rabii, erklärte, dass die Position des Landes in Bezug auf den Konflikt klar sei und dass die iranische Regierung das gesetzliche Recht Aserbaidschans im Rahmen von UN-Resolutionen und internationalem Recht mehrfach betont habe. Er bemerkte auch, dass der Iran die Ereignisse in den besetzten Gebieten Aserbaidschans mit Aufmerksamkeit und Besorgnis beobachtet: „Es ist möglich, den Konflikt zwischen zwei Nachbarländern Aserbaidschan und Armenien friedlich zu lösen. Der Iran, die Türkei und Russland können beiden Ländern bei der Ausführung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und Lösung von Meinungsverschiedenheiten helfen”, sagte er.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) äußerte sich besorgt über die militärischen Zusammenstöße. „Wir fordern beide Parteien nachdrücklich auf, die bewaffneten Feindseligkeiten unverzüglich einzustellen, die Situation zu deeskalieren und im Format der Minsk-Gruppe an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Darüber hinaus fordern wir alle anderen Mitgliedstaaten des Europarates nachdrücklich auf, keine Maßnahmen oder Rhetorik zu ergreifen, die zu den Spannungen und Instabilitäten in dieser volatilen Region beitragen könnten. Wir wiederholen, dass es keine Alternative zu einer friedlichen Lösung des Bergkarabach-Konflikts gibt“, heißt es in der Erklärung.
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, gab eine Erklärung zu den neuesten Entwicklungen im Konflikt ab. „Ich bin besorgt über die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten entlang der Kontaktlinie in der Konfliktzone Bergkarabach und fordere ein sofortiges Ende der Kämpfe. Ich bin zutiefst beunruhigt über den gemeldeten Verlust von Leben und Verletzungen von Zivilisten sowie über Schäden an zivilem Eigentum und Infrastruktur“, sagte sie. „Ich fordere alle Seiten auf, das internationale Menschenrechtsgesetz und das humanitäre Völkerrecht zu respektieren, insbesondere indem sie den Schutz der Zivilbevölkerung und der Hors de Combat gewährleisten und Schäden an der wesentlichen zivilen Infrastruktur verhindern”, fügte sie hinzu.
Es sei darauf hingewiesen, dass der UN-Sicherheitsrat und der Ständige Rat der OSZE Dringlichkeitstreffen abhalten wird, um den Konflikt zu erörtern.