Neue Entwicklungen im Konflikt zwischen Paschinjan und Towmasjan 

| Nachricht, Politik, Armenien

Am 27. Januar berichtete der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan auf Facebook über ein persönliches Ereignis, das ihn und den Vorsitzenden des armenischen Verfassungsgerichts Hrayr Towmasjan betraf. Dabei handelte es sich um einen Stift, den Paschinjan angeblich vom Vorsitzenden des Verfassungsgerichts geschenkt bekommen hatte.

„Dies ist der Stift von Hrayr Towmasjan. Ich hatte lange darüber nachgedacht, ob ich ihn in den Mülleimer werfen sollte oder nicht. Am Ende beschloss ich, [es] als Zeugnis der bizarrsten Schmeichelei, die ich je erlebt habe, aufzubewahren“, schrieb Paschinjan. Laut Paschinjan wurde ihm der Stift von Towmasjan nach seiner Ernennung zum armenischen Premierminister überreicht, und der Stift blieb bei Paschinjan als „Treuepfand“. Paschinjans Facebook-Geschichte betonte ferner, dass Towmasjan zweimal versuchte, Legitimität zu erlangen indem er Paschinjan ständig zum Jahrestag des armenischen Verfassungstages (5. Juli) und zur Weihnachtsliturgie 2019 einlud, und als er „begann, sich bei meiner Frau Anna Hakobyan einzuschmeicheln“.. Paschinjan sei schockiert darüber,  dass der Wert des Stiftes “laut Social Media bei rund 530 € lag”. „Der Stift ist das Symbol, das wir die Kontrolle über das Verfassungsgericht übernehmen könnten, gehen jedoch auf keine prinziplosen Kompromisse ein“, heißt es weiter in seinem Beitrag.

Zwei Tage zuvor sprach Paschinjan auf einer Pressekonferenz darüber, dass die armenischen Strafverfolgungsbehörden eine „hybride“ Verschwörung vereitelt hätten, die darauf abzielte ihn zu diskreditieren und zu stürzen. Er sagte, die angebliche Verschwörung beziehe sich auf „Dutzende Millionen Dollar“, die für die Verbreitung von „falschen Informationen“ über ihn, seine Familienmitglieder und Mitarbeiter ausgegeben wurden. „Und das geschah durch die kriminelle Unterwelt, verschiedene Kräfte, korrupte Gestalten. Warum passt das Wort „Putsch“ zu diesem Prozess? Weil sich diesem Prozess Beamte anschlossen, die gegen die Regierung handelten, während sie in der Regierung waren. Ehemalige Beamte und einige Vertreter des Justizwesens waren ebenfalls beteiligt… “, fügte er hinzu. 

Paschinjan erklärte dann offen, dass Armenien kein in der Verfassung vorgesehenes Verfassungsgericht habe. „Die armenische Verfassung sieht vor, dass der Vorsitzende des Verfassungsgerichts von dem Verfassungsgerichts-Stab gewählt werden muss, aber heutzutage wird das Verfassungsgericht von der Nationalversammlung gewählt, und heutzutage wurde auch bekannt, dass der Vorsitzende des Verfassungsgerichts aufgrund eines offiziellen Betrugs gewählt wurde. Wir können nicht sagen, dass es ein leichter Betrug ist. Es ist ein offizieller Betrug, durch den das Verfassungsgericht von einer Person, von einer Gruppe besetzt wurde. Wir werden tun, was zu tun ist“, erklärte er.

Towmasjan reagierte auf die Aussagen von Paschinjan und beschrieb diese als Lügen. Er beantragte bei seinen Anwälten, eine Klage gegen ihn vorzubereiten. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts gab an, dass er nach Mai 2018 zweimal mit Paschinjan telefoniert habe. „Während des ersten Telefongesprächs bat er mich, ein internationales Abkommen zu prüfen, das für die Umsetzung der internationalen Verpflichtungen Armeniens in möglichst kurzer Zeit erforderlich ist. Und das zweite Mal unterhielten wir uns [auf mein Verlangen], als ich sein Treffen mit dem Vorsitzenden des deutschen Verfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, im Rahmen seines Besuchs organisierte. Ich habe Nikol Paschinjan noch nie persönlich getroffen. Ich habe auch das Regierungsgebäude und seine Regierungsresidenz mit Ausnahme des Treffens mit Voßkuhle nie besucht. Paschinjan hat weder das Verfassungsgericht noch mein Büro besucht. Ich habe weder Paschinjan noch einem Vertreter der Behörden meine Dienste angeboten“, sagte er. 

„Ich fordere ... den Premierminister auf, mindestens eine vertrauenswürdige Tatsache öffentlich zu äußern, eine objektive Tatsache, die zeigt, dass ich mindestens einmal nach Mai 2018 meine Dienste direkt oder auf vermittelte Weise angeboten habe... Von diesem Moment an werde ich geduldig 20 Tage warten, bis Paschinjan eine objektive Tatsache veröffentlicht hat, einen vertrauenswürdigen Beweis, der seine Worte begründet. Ansonsten werde ich meine Anwälte bitten, eine Klage gegen Nikol Paschinjan wegen Verleumdung einzureichen“, fügte er hinzu.

Der frühere Direktor des armenischen Nationalen Sicherheitsdienstes Artur Wanezjan, der im September von seinem Amt zurückgetreten war, schrieb auf seinem Twitter, dass die Regierungspartei nach der gestrigen Pressekonferenz und der heutigen “Stiftgeschichte”, die Möglichkeit eines neuen Kandidaten für das Amt des Premierministers diskutieren müsse.

Am selben Tag (27. Januar), gab Henrik Hartenjan sein Mandat als Mitglied des Mehrheitsblocks der Mein Schritt-Fraktion im Ältestenrat von Eriwan, wegen der Veröffentlichung eines Fotos auf Facebook mit Towmasjans Tochter auf. „Dies ist das Facebook-Konto von Hrayr Towmasjans Tochter. Leute, zeigt euch!“, schrieb Hartenjan. Er legte sein Mandat nieder, nachdem der Ältestenrat von Eriwan ihn dazu aufgefordert hatte. „In Übereinstimmung mit unserem Wertesystem verstößt es gegen unsere Grundsätze und wir haben Hartenjan aufgefordert, sein Mandat niederzulegen.“, las das Statement des Ältestenrates. Der armenische Bürgerbeauftragte kritisierte ebenfalls diese Aktion. 

Am 24. Januar durchsuchten die Ermittler die Wohnung von Towmasjan in Eriwan einen Monat, nachdem sie ihn wegen Machtmissbrauchs angeklagt hatten. Towmasjan behauptete, dass Beamte des Sonderermittlungskomitees sein Haus im Rahmen der verstärkten Bemühungen der armenischen Regierung, ihn zum Rücktritt zu zwingen, “überfallen” hätten. „Die jetzigen Behörden versuchen, mich als Vorsitzenden des Verfassungsgerichts schnell loszuwerden, und das geschieht sehr grob und offen“, sagte er nach der Durchsuchung gegenüber Journalisten. 

Seine Anwälte gaben unterdessen an, die Durchsuchung sei rechtswidrig durchgeführt worden, weil die Ermittler des Sonderermittlungskomitees ihren Mandanten keine Kopie des Durchsuchungsbefehls eines Gerichts in Eriwan ausgehändigt hätten. Das Sonderermittlungskomitee bestritt dies rasch.

Die armenische Regierung und die Ermittler behaupten, dass hinter dem hochkarätigen Fall keine politischen Motive steckten. 

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