Politische Turbulenzen in Armenien nach Zarukjans Befragung durch den Nationalen Sicherheitsdienst
Am 14. Juni wurde der Vorsitzende der größten armenischen Oppositionspartei “Wohlhabendes Armenien” (BHK), Gagik Zarukjan, zum Nationalen Sicherheitsdienst (NSS) gerufen und nach einer Durchsuchung für mehr als acht Stunden befragt.
Nach der Befragung eröffnete der NSS drei Anklagen gegen Zarukjan. Der NSS erklärte, dass „eine Gruppe von BHK-Mitgliedern“ im Wahlkampf 2017 Bestechungsgelder verteilt habe. Die Ermittler hätten „etwa vier Dutzend Durchsuchungen" im Rahmen der Untersuchung des angeblichen Stimmenkaufs durchgeführt, den die „führenden Mitglieder" der Partei angeblich organisiert hatten. Der Sicherheitsdienst erwähnte Zarukjan nicht namentlich. In einer anderen Erklärung beschuldigte der NSS zwei von Zarukjan kontrollierte Glücksspielfirmen schwerwiegender finanzieller Unregelmäßigkeiten, die den Staat mehr als 29 Milliarden Drams (60 Millionen US-Dollar) gekostet hätten. Der NSS kündigte weiterhin die Eröffnung eines dritten Strafverfahrens gegen Zarukjan an. Es wurde behauptet, dass die Dorfverwaltung von Arinj 7,5 Hektar Gemeindeland illegal an ein Unternehmen in Zarukjans Besitz verkauft habe.
Eine Reihe von BHK-Anhängern versammelten sich vor dem Gebäude des NSS, um gegen Zarukjans Verfolgung zu protestieren. Während der Proteste wurden insgesamt 252 Personen festgenommen. Unter den Festgenommenen befanden sich die Mitglieder des Ältestenrates von Eriwan, Markos Harutjunjan und Armen Nersisjan, sowie Davit Khajakjan, Vorsitzender der oppositionellen Luys-Fraktion des Rates.
Nachdem Zarukjan das Gebäude verlassen hatte, sagte er den Reportern, dass der Prozess gegen ihn politischer Natur sei. „Alle Prozesse, die heute und nach meiner Rede im Allgemeinen stattgefunden haben, sind politisch. Sie haben Papiere, erfundene Papiere. Sie wollen, dass ich aufgebe, sie wollen mich erschrecken. Das ist Erpressung, das ist politische Verfolgung“, sagte er. Die BHK-Offiziellen bezeichneten den Schritt als „legalen Terror" und kündigten an, ihren „Kampf" gegen die derzeitigen armenischen Behörden fortzusetzen.
Der Schritt wurde auch von anderen parlamentarischen und nicht-parlamentarischen Parteien in Armenien verurteilt. Die Oppositionspartei “Helles Armenien” erklärte, der Schritt sei eine strafrechtliche Verfolgung, die auf politischer Zweckmäßigkeit und selektiver Justiz beruhe.
Eduard Sharmazanow von der Republikanischen Partei beschrieb den Schritt als „politische Verfolgung" und „Unterdrückung" und fügte hinzu, dass dies „der einzige Mechanismus" der armenischen Regierung sei, um mit politischen Gegnern umzugehen.
„Die Behörden reagieren erneut mit repressiven Methoden auf die politische Einschätzung der Opposition. Das offensichtlichste ist der unverhüllte Wunsch, die Diktatur der Macht einer Person zu bekräftigen. Wir fordern erneut, dass die Behörden auf das Gebiet des politischen Wettkampfes zurückkehren“, heißt es in der Erklärung der Armenischen Revolutionsföderation (Dashnaktsutjun).
Die Hayrenik-Partei (Mutterland), angeführt vom ehemaligen armenischen Sicherheitschef Artur Wanezjan, forderte den sofortigen Rücktritt des armenischen Premierministers Nikol Paschinjan, der „den Realitätssinn und die nationale Zustimmung für die Bildung einer Anti-Krisen-Regierung verloren hat".
Die Partei “Erbe” äußerte sich besorgt über die angespannte Situation zwischen der Regierung und der BHK und die Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt gegen BHK-Abgeordnete. Die Partei forderte die Beendigung interner Auseinandersetzungen im Land. „Alle in der Republik Armenien geäußerten Probleme, angefangen von politischer Kritik an den Aktivitäten der Regierung bis hin zu den selektiven Vorwürfen von Unternehmen wegen Nichterfüllung von Steuerpflichten und der Verteilung von Bestechung an Wähler im Jahr 2017, sollten ausschließlich im Rahmen des Rechts untersucht und gelöst werden und politische Anschuldigungen sollten nur auf politischer Ebene beantwortet werden“, wurde in der Erklärung betont.
Paschinjans Sprecher Mane Gevorgjan bestand darauf, dass die gegen Zarukjan eingeleiteten Strafverfahren nicht politisch motiviert seien. Ihr zufolge wusste Zarukjan von den bevorstehenden Anklagen gegen ihn und startete deshalb seine Kampagne gegen die Regierung. Sie kritisierte auch die BHK-Parlamentarier dafür, dass sie sich dem Protest vor dem NSS-Gebäude angeschlossen hatten.
Der Berater des Parlamentspräsidenten David Karapetjan schrieb auf Facebook, dass er nach der Sitzung der Nationalversammlung Armeniens eine Petition der Generalstaatsanwaltschaft erhalten habe, ein Strafverfahren gegen Zarukjan einzuleiten, ihm seine parlamentarische Immunität zu entziehen und ihn seiner Freiheit zu berauben.
Am 5. Juni forderte Zarukjan den Rücktritt der armenischen Regierung und beschuldigte sie, bei der Bekämpfung der Coronavirus-Krise und ihrer sozioökonomischen Folgen versagt zu haben. Er forderte weiterhin „gesunde" politische Gruppen und Einzelpersonen, die „besorgt über die Zukunft des Landes" sind, dazu auf, sich zusammenzuschließen und mit ihm „Wege aus der bestehenden Situation" zu diskutieren.