Revolution in Armenien geht in die zweite Runde

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Hetq.am
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Unter dem starken Druck der anhaltenden Straßenproteste in Eriwan ist die armenische Regierungskoalition offenbar dabei, zusammenzubrechen. Die Partei „Daschnakzutjun“ hat am 25. April ihren Austritt aus der Koalition mit der regierenden Republikanischen Partei Armeniens erklärt, berichtet Azatutjun. Dem Statement der Partei zufolge müsse das armenische Parlament einen Premierminister wählen, der das Vertrauen des Volkes genieße und die außerordentlichen Parlamentswahlen vorbereiten und durchführen werde. Die Partei „Prosperierendes Armenien“, das vom Oligarchen Gagik Zarukjan angeführt wird, hat am 25. April ihre Anhänger ebenfalls dazu aufgerufen, auf die Straßen zu gehen und sich der Protestbewegung anzuschließen, wie News.am berichtet. Der Sportminister Gratschia Rostomjan von der Partei „Prosperierendes Armenien“ kündigte daraufhin seinen Rücktritt an, meldet die russische Nachrichtenseite RBC.

Der Protestanführer Nikol Paschinjan erklärte auf der Nachrichtenseite Azatutyun, dass die Republikanische Partei Armeniens (RPA) derzeit versuche, den kommissarischen Premierminister Karen Karapetjan zum neuen Premierminister zu wählen. „Sie denken, dass die Leute so naiv sind, dem Austausch eines Mitglieds der RPA durch ein anderes zuzustimmen“, so der Paschinjan. Von der RPA organisierte Wahlen würde die Opposition boykottieren, warnte Paschinjan. Er habe der Regierungspartei geraten, nicht zu versuchen, für sich Zeit zu gewinnen. Die Seite news.am zitiert den Politiker während einer Kundgebung in Eriwan, auf der er gesagt haben soll, die RPA müsse „bedingungslos und vollständig“ kapitulieren.

Außerdem betonte der Oppositionelle, dass die Protestler, die sich am Platz der Republik versammelten, alle durch die Parlamentsfraktionen nominierten Kandidaten fürs Premierministeramt akzeptieren sollen. Zuvor hatte Paschinjan erklärt, dass der Volkskandidat für das Premierministeramt bestimmt werde, indem sein Name auf dem Platz von den Protestierenden ausgerufen und werde, berichtet Azatutjun. Die Nachrichtenseite zitiert den kommissarischen Premierminister Karapetjan, der sich gegen dieses Vorgehen ausgesprochen hat: er kenne „kein einziges Land der Welt, in dem ein Volkskandidat auf diese Weise gewählt wird“. Dafür gebe es Wahlen, so der Regierungspolitiker. Am 25. April sollte ein Treffen zwischen Karapetjan und Paschinjan stattfinden, bei dem eine “friedliche Übergabe der Macht” besprochen werden sollte. Allerdings scheiterte das Treffen, weil Paschinjan neue Forderungen in Bezug auf das Format und die Agenda des Treffens gestellt habe, so die Darstellung des kommissarischen Premierministers.

Die Fraktion „Elk“ hat laut Azatutyun inzwischen Nikol Paschinjan als Kandidaten für das Premierministeramt nominiert. Paschinjan gab bekannt, dass „viele Abgeordnete der Republikanischen Partei Armeniens (RPA)“ ihn kontaktiert hätten und bereit seien, für einen „Volkskandidaten“ für das Amt des Premierministers abzustimmen. Der Fraktionsleiter der RPA, Wahram Bagdasarjan, sprach hingegen davon, dass in seiner Partei „Einigkeit“ bestünde. Er unterstrich, dass sich Sersch Sargsjan nach seinem Rücktritt von allen politischen Prozessen distanziere, die rund um die Ernennung eines Kandidaten der Regierungspartei für Premierministeramt stattfänden.

Inzwischen gaben die Botschaften Russlands und der USA nach ihren Treffen mit den Anführern der Proteste in Eriwan bemerkenswert unterschiedliche Statements ab. Die russischen Diplomaten haben die Organisatoren der Proteste dazu aufgerufen, „zum konstruktiven Dialog“ mit der Regierung zurückzukehren. Die Situation solle im Rahmen der Verfassung gelöst werden, so die russische Botschaft (News.am). Die US-Botschaft betonte lediglich, dass „das Recht des armenischen Volks auf friedliche Versammlungen und Meinungsfreiheit von der armenischen Verfassung gewährleistet werden muss“, so die Nachrichtenseite Azatutyun. Diese Rechte müssten „im vollen Maße respektiert werden, und die Bildung einer neuen Regierung das Ergebnis wohlwollender Verhandlungen sein“. Die Botschaft habe auch eine Presseerklärung der armenischen Regierung dementiert, wonach der US-Botschafter gesagt haben soll: „Ich verstehe, dass diese Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen das Gesetz verstoßen, und die Regierung nach ihren Möglichkeiten die gesellschaftliche Ordnung und Sicherheit gewährleisten muss. Ich bin zuversichtlich, dass der Weg der Demokratie oder Demokratiestärkung nicht darin besteht, dass ein Kandidat fürs Premierministeramt auf der Straße während einer Kundgebung gewählt wird“.

 

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