Sersch Sargsjan spricht zum ersten Mal seit seinem Ausscheiden aus dem Amt über Politik in Armenien
Am 5. November veranstaltete der ehemalige armenische Präsident Sersch Sargsjan ein Treffen mit der amtierenden US-Botschafterin in Armenien Lynn Tracy im Hauptquartier der Republikanischen Partei Armeniens (HHK), berichtete news.am.
Während des Treffens fragte Tracy Sargsjan nach den bevorstehenden Programmen und Tätigkeitsbereichen der HHK. Der amtierende Botschafter Tracy versicherte auch, dass es von nun an regelmäßige Treffen geben werde. Sargsjan sprach über die innenpolitische Lage Armeniens und die aktuellen Bedenken, die Standpunkte der politischen Partei zur Lage, und kam auf Fragen und Herausforderungen im Hinblick auf Wirtschaft und Sicherheit zurück. Sargsjan sprach auch über den aktuellen Stand der Verhandlungen über die Beilegung des Bergkarabach-Konflikts und die Aussicht auf eine weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen den USA und Armenien. Sargsjan bedankte sich auch für die Annahme der Resolution durch das US-Repräsentantenhaus, in der die Ereignisse 1915 als Völkermord an den Armeniern anerkannt wurden.
„Armeniens echte Demokratisierung hat keine Alternative. Wir arbeiten seit vielen Jahren in diese Richtung, um für beide Seiten vorteilhafte partnerschaftliche Beziehungen aufzubauen, auch zu den USA. Die echte Demokratie ist eine Antwort auf den Populismus, der in vielen Staaten der Welt zu einer ernsthaften Herausforderung geworden ist. Die Themen Armenien und Bergkarabach, Sicherheit, Stabilität und Frieden in der Region werden für unsere Partei weiterhin Priorität haben“, sagte Sargsjan auf dem Treffen.
Hakob Simidjan, der Sekretär der regierenden "Mein Schritt"-Fraktion, beschrieb Sargsjans Treffen mit dem US-Botschafter seit seinem Rücktritt als einen üblichen „politischen Prozess“. „Botschafter halten Treffen mit Führern verschiedener politischer Parteien ab, und ich glaube, es gibt nichts was als Besonderheit an diesem Treffen heraussticht“, sagte er. Er antwortete jedoch auch auf die Kritik von Sargsjan an den demokratischen Referenzen der gegenwärtigen Regierung. „In Armenien gibt es [jetzt] eine echte Demokratie. Dies belegen Einschätzungen internationaler Organisationen zu den letzten Parlamentswahlen. Heute haben wir eine echte Demokratie. Wir hatten in der Vergangenheit Populismus. Ich möchte nicht unhöflich klingen, aber jede Bewertung der heutigen Demokratie als Populismus sieht ein bisschen wie Zynismus aus, insbesondere wenn es sich um Personen handelt, die jahrzehntelang Führungspositionen innehatten und unter denen wir nie… das [Niveau] der heutigen Demokratie hatten, unter denen wir nicht mal in die Nähe gekommen sind. Was wir hatten, war eine politische Gruppe, die sich durch Unterdrückung an die Macht klammerte“, fügte Simidjan hinzu.
Edmon Marukjan, Vorsitzender der Fraktion Helles Armenien, betrachtete das Treffen ebenfalls als Regelmäßigkeit. Zu Sargsjans Erklärung zur Demokratie in Armenien sagte Marukjan: „Was die Demokratie betrifft, gibt es keine Alternative zur Demokratie, und genau aus diesem Grund hat eine Revolution stattgefunden.“ „Wenn die Republikanische Partei Armeniens diesen Gedanken vor langer Zeit geäußert hätte, wäre Sersch Sargsjan möglicherweise nicht für eine dritte Amtszeit angetreten, und die Wahlen wären möglicherweise nicht gefälscht worden. Es ist besser spät als nie“, schloss er.
Die armenische Zeitung 18 Zham untersuchte ebenfalls das Treffen zwischen Sargsjan und Tracy. Der Artikel zitiert, dass „diese Tatsache eine objektive Erklärung hatte“, wobei der Status der HHK als regierende politische Kraft für mehr als ein Jahrzehnt und die Verbindungen zu den politischen Parteien verschiedener Länder und internationalen politischen Organisationen hervorgehoben wurde. Der Zeitung zufolge blieben die Beziehungen nur mit dem Unterschied bestehen, dass die HHK jetzt eine Oppositionspartei ist. „Im Großen und Ganzen geben die internationalen Partner Armeniens - einschließlich der Vereinigten Staaten - in ihren Bewertungen der innenpolitischen Entwicklungen an, dass Armenien nicht über die richtigen Mechanismen für gegenseitige Kontrolle verfügt, wobei die Rolle häufig den Oppositionsparteien zugeschrieben wird. Dies war höchstwahrscheinlich einer der Hauptgründe für das Treffen mit Serzh Sargsjan“, kommentierte der Artikel.
Sargsjan gab am 30. Oktober bei einer Schulzeremonie eine Erklärung ab. Einer der Studenten fragte ihn, ob er angesichts einer Welle von Gerichtsverfahren gegen ehemalige Regierungsmitglieder eine strafrechtliche Verfolgung befürchte. „Wenn meine Verhaftung unser Volk zufrieden und glücklich macht, wenn meine Verhaftung den Weg zur vollständigen Lösung der Ereignisse vom 1. März und 27. Oktober ebnet und die Bedrohungen für unser Land neutralisiert sowie die Verhandlungen über Bergkarabach wieder auf den richtigen Weg bringen, dann lassen sie mich verhaften“, antwortete er.
Seit seinem Rücktritt als Präsident von Armenien am 9. April 2018 hat Sargsjan keine öffentlichen Auftritte oder Erklärungen mehr abgegeben.