Blutige Ereignisse in der Stadt Gandja

Am 3. Juli wurde ein Attentat auf Elmar Walijew, den Gouverneur der drittgrößten Stadt Aserbaidschans, Gandja, verübt. Beim Anschlag wurden der Gouverneur selbst und sein Leibwächter mit einer Schusswaffe verletzt. Während der Gesundheitszustand des Leibwächters als kritisch bezeichnet wird, ist die bisherige Berichterstattung über den des Gouverneurs sehr widersprüchlich. Die Nachrichtenagentur „Turan“ berichtete am 6. Juli, unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten „nahen Verwandten“ des Gouverneurs, dass er zwecks der weiteren medizinischen Behandlung nach Israel transportiert worden sei. Doch am 7. Juli erklärte der für Gandja zuständige regionale Vorsitzende der Regierungspartei „Neues Aserbaidschan“, Nagif Hamsajew, dass Walijew (ebenso Mitglied der Regierungspartei) sich gut fühle und bald seine Arbeit als Gouverneur wiederaufnehmen werde. Am 13. Juli hat Walijews Sohn bekräftigt, dass es seinem Vater gut gehe.

Die Generalstaatsanwaltschaft, das Innenministerium und der staatliche Sicherheitsdienst Aserbaidschans erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme direkt nach dem Attentat, dass der Täter identifiziert worden sei und gegen ihn ein Strafverfahren wegen Mordversuchs und illegalen Waffenbesitzes eingeleitet worden ist. Drei Tage später haben die Behörden ein zweites Statement zum Vorfall abgegeben, in dem das vom mutmaßlichen Täter, Junis Safarow, ausgeführte Attentat als Terroranschlag bezeichnet wurde. Des Weiteren wurden Einzelheiten zum Hintergrund und zu den Motiven der Tat bekannt gegeben. Laut der Erklärung sei Junis Safarow 2016 in den Iran gereist, wo er acht Monate in der Stadt Ghom, die als theologisches Zentrum für schiitische Kleriker gilt, gelebt habe. Danach habe er sich auf syrischem Gebiet aufgehalten, wo er militärische Ausbildung erhalten habe. Safarow soll im Jahr 2017 nach Aserbaidschan zurückgekehrt sein. Im Juni 2017 soll er in Gandja einen Polizisten angegriffen und ihm seine Dienstwaffe abgenommen haben – seit diesem Zeitpunkt stand er auf der Fahndungsliste der Behörden. Im Januar 2018 zog er die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich, als er laut den Behörden, den Gouverneur von Gandja beobachtet hat. Um der Polizei zu entkommen, soll er dann auf einen Polizisten geschossen und ihn verletzt haben.  „Ermittlungen ergaben, dass Junis Safarow mithilfe eines Terroranschlags einen durch Scharia-Gesetze regierten islamistischen Staat in Aserbaidschan gründen wollte. Er hatte vor, durch Ermordung mehrerer bekannter Beamte Chaos und Panik in der Republik zu säen“ und eine Machtergreifung durch die radikalen religiösen Kräfte zu organisieren, hieß es im Statement. Zwecks der Realisierung dieses Plans, habe Safarow eine Videobotschaft gedreht, in der er die Menschen zum Aufstand gegen die Regierung aufruft. Außerdem habe Safarow in derselben Videobotschaft seine Unterstützung für einen radikalen schiitischen Prediger ausgedrückt, Taleh Bagirzade, der 2015 infolge einer polizeilichen Operation in der Siedlung Nardaran, in der Nähe Bakus, verhaftet wurde. Das Video selbst wurde von den Behörden nach dem Stand vom 13. Juli nicht veröffentlicht.     

Die Verwandten von Safarow hätten gegenüber der Nachrichtenagentur APA bestätigt, dass er radikale religiöse Ansichten vertreten habe. Von welchen Verwandten die Rede ist, präzisierte APA nicht. Die angebliche Frau des Täters, Sharafat Safarowa, veröffentlichte im Internet eine Videobotschaft, in der sie erklärte, dass das Attentat „nicht nur aus religiösen Motiven“, sondern auch wegen der Unterdrückung der Bevölkerung durch den Gouverneur verübt worden sei.

Am 9. Juli teilte das Innenministerium mit, dass im Zusammenhang mit dem Terroranschlag auf den Gouverneur 12 Verdächtige in Untersuchungshaft genommen wurden. Darüber hinaus erklärte die Generalstaatsanwaltschaft in einer weiteren Pressemeldung, dass ein Strafverfahren gegen zwei Internetseiten und einige Personen in sozialen Netzwerken eingeleitet worden ist. Nach Angaben des Pressedienstes der Generalstaatsanwaltschaft hätten einige Medien sowie Einzelpersonen im Internet „unwahre, provokative Informationen“ und offene Unterstützung für Terrorismus im Zusammenhang mit der Straftat verbreitet.

Die Wahrnehmung des Gouverneurs von Gandja durch die Öffentlichkeit ist den Berichten zufolge kritisch gewesen. Wie Turan berichtet, hätten die Bewohner von Gandja sich lange über Walijew beschwert, da er öffentlich Leute beleidigt und ihre Eigentumsrechte verletzt habe. Einer der Bewohner von Gandja soll der Nachrichtenseite gegenüber erzählt haben, dass der Grund für den Anschlag auf Walijew sein rücksichtsloses Verhalten gegenüber den Bürgern der Stadt gewesen sei.

Ausschreitungen mit tödlichen Folgen

Am Abend des 10. Juli fand eine nicht genehmigte Kundgebung in Gandja zur Unterstützung des verhafteten Junis Safarow statt. Den Angaben der Polizei zufolge, sollen sich an der Demonstration 150 bis 200 Menschen beteiligt haben, dabei seien religiöse Parole gerufen worden. Während der Demonstration kam es zu Zusammenstößen und Gewaltausbrüchen zwischen der Polizei und den Protestierenden, wobei zwei Oberstleutnante der Polizei erstochen wurden. Die Kundgebung wurde innerhalb von einer halben Stunde aufgelöst. Es wurden insgesamt 40 Demonstranten festgenommen. Die zwei mutmaßlichen Täter, welche die Polizisten umgebracht haben sollen, wurden von den Behörden identifiziert. Einer von ihnen, Farrukh Gasimov, soll bereits festgenommen worden sein, während der zweite mutmaßliche Täter, Rashid Bojukkischijew von der Polizei erschossen wurde.   Wie haqqin.az unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, war Bojukkischijew polizeibekannt: 2007 war er wegen des Mordes an seiner Mutter verurteilt worden. Nach seiner Freilassung war er nach Russland umgezogen, allerdings auch dort musste er wegen eines Raubüberfalls 1,5 Jahre in Haft sitzen.    

Einfluss externer Akteure?

Laut Sicherheitskreisen sei zumindest "ein Teil der Teilnehmer der Unruhen in Gandja" extremistischen religiösen Organisationen zuzurechnen, die wiederum in "einer engen Verbindung" mit armenischen Geheimdiensten gewesen seien, hieß es in einem Statement vom 13. Juli.     

Bemerkenswert ist die Reaktion des aserbaidschanischen Außenministeriums auf den Vorfall in Gandja. Der Pressesprecher des Ministeriums, Hikmat Hadjiyev, teilte am 11. Juli mit, dass dieser durch externe Kräfte organisiert worden sei. Dabei machte er deutlich, dass er nicht Armenien meint, mit dem Aserbaidschan einen ungelösten territorialen Konflikt hat, sondern einen anderen externen Akteur, den er allerdings nicht nannte. Die Website „Minval.az“ schreibt von einer „eindeutigen iranischen Spur“ in den Unruhen in Gandja. In einem Artikel wird die Vermutung geäußert, dass Teheran aufgrund der wachsenden äußeren Bedrohung und akut werdenden inneren wirtschaftlichen Probleme zu einem Instabilitätsfaktor in der Region werde, und Destabilisierungsversuche in Aserbaidschan unternehme, zumal die Kaukasusrepublik wegen ihrer traditionellen Nähe zu Israel seit vielen Jahren im Visier der iranischen Geheimdienste sei. In einem Beitrag des ehemaligen Außenministers Aserbaidschans, Tofiq Zulfugarov, heißt es, dass die angespannte geopolitische Lage Kräfte in der Islamischen Republik Iran gestärkt habe, die einen konfrontativen Kurs gegenüber Aserbaidschan verfolgen. Präsident Ilham Alijew bezeichnete die blutigen Ereignisse in Gandja als „Verbrechen gegen den Staat“ und seine Souveränität, die unter dem Deckmantel des Islam begangen worden sei.  

Es bleibt ungewiss, von welcher politischen Kraft die Protestaktion in Gandja organisiert wurde. Neben dem „iranischen“ Ursprung des Protests wird von anderen Medien, wie z.B. Azadliq, auch ein innerer Konflikt unter den Eliten in Aserbaidschan nicht ausgeschlossen. Die beiden größeren Oppositionsparteien, Volksfront und Musavat, haben sich von der Organisation der Protestaktion in Gandja eindeutig distanziert. Auch die Oppositionsbewegung REAL verurteilte die Ereignisse in Gandja als Provokation und bezeichnete diese offen auch als solche.

 

Siehe auch

"Caucasus Watch" sucht lokale Experten aus Georgien, Armenien, Aserbaidschan und der Nordkaukasus-Region. Wir bieten eine flexible Form der Zusammenarbeit, eine angemessene Vergütung und Zugang zu einer europaweiten Leserschaft. Senden Sie Ihren Lebenslauf, ein Bewerbungsschreiben und eine Arbeitsprobe an redaktion@caucasuswatch.de. Für Fragen: i.dostalik@caucasuswatch.de.

Wir verwenden Cookies, um unser Angebot für Sie zu verbessern. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.