Armenien zunehmend von Russland enttäuscht

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Die im Dezember 2017 veröffentlichte soziologische Studie "Caucasus Barometer" zeigt einen spürbaren Rückgang des Vertrauens der armenischen Bevölkerung gegenüber Russland an. Zwischen 2013 und 2017 sank der Anteil der Befragten, die Russland für den wichtigsten Freund Armeniens hielten, von 84 auf 64 Prozent. Gleichzeitig sei die Popularität Frankreichs von vier auf 17 Prozent gestiegen, wie die Nachrichtenagentur "Vestnik Kavkaza" am 6. Januar berichtete.


Die Ergebnisse der jüngsten Befragung des “Caucasian Barometer”, wonach das Ansehen Russlands in Armenien merklich gesunken ist, zeigten einen langfristigen Trend an und seien weniger tagespolitischen Entwicklungen geschuldet. Der empirische Befund, so der Kaukasus-Experte und Politikwissenschaftler Heiko Langner in "Vestnik Kavkaza“, sei Ausdruck einer abnehmenden Frustrationstoleranz der Bevölkerung:

"Die Integration Armeniens in die von Russland dominierte Eurasische Wirtschaftsunion hat bislang nicht dazu geführt, dass sich die wirtschaftliche Dauermisere zum Besseren wendet. Insbesondere das Wachstum in den wertschöpfungsintensiven Wirtschaftssektoren wie der Industrieproduktion und im verarbeitenden Gewerbe stagniert weiterhin auf niedrigem Niveau. Da Armenien über keine direkte Grenze zu Russland verfügt, bringt auch die Zollfreiheit kaum zusätzliche Impulse. Die ohnehin sehr enge Verflechtung mit der russischen Volkswirtschaft birgt vielmehr das Problem, dass sich wirtschaftlich negative Entwicklungen in Russland meist auch unmittelbar auf Armenien auswirken. Die armenische Volkswirtschaft ist sowohl sektoral als auch in den Außenwirtschaftsbeziehungen zu wenig diversifiziert. Letzteres ist die Folge des ungelösten Berg-Karabach-Konflikts, weil zwei Anrainerstaaten Armeniens — das unmittelbar betroffene Aserbaidschan und die mit ihm verbündete Türkei — ihre Grenzen schon seit zweieinhalb Jahrzehnten geschlossen halten und ein Wirtschaftsembargo gegen Armenien aufrecht erhalten. Das verringert die Zahl der potenziellen Abnehmerländer für die wenigen eigenen Exportprodukte und erhöht zusätzlich die Transitkosten. Ebenso ist schon seit geraumer Zeit eine hohe Abwanderung insbesondere von gut ausgebildeten, männlichen Fachkräften zu verzeichnen, wodurch der Volkswirtschaft wichtiges Humankapital entzogen wird. Insgesamt blutet Armenien allmählich wirtschaftlich aus", so der Analyst.
 
Hinzu komme, dass Russland trotz seines militärischen Bündnisses mit Armenien gleichzeitig auch der größte Waffenlieferant Aserbaidschans ist. Es hat seine wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Armeniens Erzrivalen in den letzten Jahren sogar deutlich ausgebaut. Was aus der Sicht Russlands und seiner strategischen Interessen völlig plausibel erscheine, werde in Armenien als Unzuverlässigkeit des Bündnispartners bzw. als Risiko für die eigenen nationalen Sicherheitsinteressen wahrgenommen, so Langner. "Im Kern steckt in der Studie somit eine wachsende Enttäuschung über den realen Bündniswert Russlands, da Armenien bislang keine hinreichende Dividende gewinnen und kein einziges der strukturellen Probleme gelöst werden konnte. Insofern sind die Ergebnisse der Studie keine Überraschung, sondern nur folgerichtig. Deutlich aufschlussreicher wäre allerdings eine Studie darüber, wie diese Probleme aus Sicht der armenischen Bevölkerung zu lösen wären. Dies würde nämlich die Einsicht erfordern, dass mehr eigene Kompromissbereitschaft erforderlich ist, um den Konflikt mit Aserbaidschan auf politischem Weg beizulegen. Solange Armenien aserbaidschanisches Staatsgebiet trotz eindeutiger Beschlusslage der Vereinten Nationen völkerrechtswidrig militärisch besetzt, ist jedenfalls an gutnachbarschaftliche Beziehungen und wirtschaftlichen Handel nicht zu denken. Frieden und ein Ende der Isolierung gibt es eben nicht zum Nulltarif", fasste Heiko Langner zusammen.

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