De Waal zu Abchasien und dem Armenisch-Aserbaidschanischen Konflikt

In einem Interview mit OC Media am 31. Januar sprach der prominente Kaukasusexperte Thomas De Waal über Entwicklungen innerhalb Abchasiens und die Möglichkeit neuer internationaler Bemühungen bezüglich der abgespaltenen Region. Der Experte kommentierte mögliche Veränderungen in den Beziehungen zwischen Armenien und Aserbaidschan

Einschätzungen zu Abchasien

De Waal zufolge gab es in Abchasien bis vor kurzem eine „relativ demokratische Kultur“, die jedoch in letzter Zeit durch problematische Entwicklungen beeinflusst wurde. So gibt es momentan ein Demokratiedefizit im Bezug auf die Gleichberechtigung nicht-Abchasischer Volksgruppen, was dazu führt, dass Abchasien in De Waals Augen als „Ethnokratie“ kategorisiert werden kann. Eine Besonderheit, die der Experte in diesem Kontext gesondert ansprach, war die Behandlung der Gali-Georgier als Bürger zweiter Klasse.

De Waal zufolge gab es in Abchasien eine pro-europäische Stimmung in den frühen 2000ern die durch eine „naive aber ernst gemeinte Erwartungshaltung“ geprägt war. Demnach sei man davon ausgegangen, die europäische Integration und die Unabhängigkeit von Georgien parallel als Ziele verfolgen zu können. Diese pro-europäische Haltung endete jedoch 2008 mit dem Russisch-Georgischen Krieg.

Seitdem wurden Annäherungsversuche durch die EU von Seiten Abchasiens  und  Russlands, welches jeglicher EU-Inititative ablehnend gegenübersteht, blockiert. De Waal weist jedoch darauf hin, dass man nicht außer Acht lassen sollte, dass auch Georgiens Regierung jegliche Integrationsversuche internationaler Akteure mit Bezug auf seine abgespaltenen Regionen skeptisch sieht, da Tiflis befürchtet, dass es zu einer „schleichenden Anerkennung“ dieser Regionen kommen könnte.

Laut De Waal ist das Konzept der „schleichenden Anerkennung“ ein Irrglaube, da eine Änderung des internatonalen Status immer im offiziellen Rahmen verlaufen muss. Georgien sollte sich deshalb den Inititativen internationaler Akteure öffnen, zumal Initiativen unter georgischer Schirmherrschaft, wie die „Step to a Better Future“ Initiative, auf Misstrauen innerhalb der abgespaltenen Regionen stoßen und nach langen Jahren der Trennung auch nur ein sehr begrenztes Potential für gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen.  Der aktuelle Status Quo führe laut De Waal außerdem zu einer kontinuierlichen Annäherung zwischen Abchasien und Russland, was einen zusätzlichen Anreiz für die Änderung von Tiflis außenpolitischen Ansatz darstellen sollte. Um eine ernsthafte Vorarbeit für eine Konfliktlösung zu leisten, muss es nach De Waal zu einer Involvierung internationaler Akteure kommen.

Hier sieht er hautpsächlich die EU in der Verantwortung, die ihm zufolge nach wie vor ein starkes Interesse an einer erneuten Aufnahme von Integrationsversuchen haben sollte, da die Existenz von nicht-anerkannten Teilrepubliken in der direkten europäischen Nachbarschaft gegen die Interessen der EU und die Zielsetzung der Ostpartnerschaft verstoßen. Die Integration Abchasiens in die internationale Gemeinschaft ist nach De Waals Einschätzung um einiges vielversprechender als Annäherungsversuche an Südossetien oder Bergkarabach. Selbst wenn der Abzug russischer Truppen aus Abchasien weiterhin kein verhandelbares Thema ist, könnte man laut De Waal gesellschaftliche Themen in den Fokus stellen und eine Integration auf „mehreren Ebenen“ vorantreiben, um Kontakte zwischen Abchasien und Tiflis in Zukunft zu vereinfachen.

Einschätzungen zum Armenisch-Aserbaidschanischen Konflikt

Skeptischer gab sich De Waal im Interview mit OC Media zu den neueren Annäherungen zwischen Ilham Aliyev und Armeniens neuem Regierungschef, Nikol Paschinjan. Obwohl er das niedrigere Gewaltlevel an der Kontaktlinie, die neu eingerichtete Hotline zwischen beiden Seiten und die De-Eskalation der Rhetorik als positive Entwicklungen betrachtet, warnt De Waal vor unrealitischen Erwartungen. Es sollte bedacht werden, dass die vorherige Situation so angespannt war, das jegliche  positive Entwicklung zu Schlagzeilen führt. De Waal erinnert daran, dass sich soweit nichts an den Kernpositionen beider Staaten, welche unvereinbar miteinander sind, geändert hat.

De Waal glaubt, dass die Regierung Aserbaidschans darauf hofft, dass Paschinjan als demokratisch legitimierter Regierungschef eine Debatte über eine armenische Kompromissposition zum Bergkarabach-Konflikt anstoßen kann. Deswegen sei Baku derzeit bereit der armenischen Regierung mehr Spielraum zu geben.

Trotzdem geht De Waal davon aus, dass ein „Land für Frieden“-Abkommen auch weiterhin die einzige wirkliche Option zur Konfliklöung sei. Dies wäre jedoch seiner Einschätzung nach sehr schwer durchsetzbar und könnte nur als langfristig angelegtes Ziel verfolgt werden. Er befürchtet deshalb, dass Bakus Erwartungen zu optimistisch sein könnten. Um seine Skepsis weiter zu erklären, führte De Waal andere Territorialkonflikten an, in denen trotz tiefgreifenderer De-Eskalation schlussendlich keine endgültige politische Lösung gefunden werden konnte.

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