Erneute Spannungen in Bergkarabach

Seit mehreren Monaten relativer Ruhe an der aserbaidschanisch-armenischen Waffenstillstandslinie, die seit der „samtenen Revolution“ in Armenien zu beobachten war, nehmen die Spannungen im Konfliktgebiet Bergkarabach und entlang der aserbaidschanisch-armenischen Staatsgrenze zu. Am 15. September meldete die Pressestelle des Verteidigungsministeriums Aserbaidschans eine Waffenstillstandsverletzung an der Kontaktlinie. Die armenischen Streitkräfte sollen demnach die Positionen der aserbaidschanischen Armee, sowie die zivile Bevölkerung unter Beschuss genommen haben. Laut der Meldung sind bei der militärischen Auseinandersetzung weder Angehörige des Militärs noch ums Leben gekommen. Einige aserbaidschanische Wohnhäuser seien beschädigt worden. Die armenischen Quellen berichten über einen armenischen Zivilisten im Grenzdorf Koti, der am 15. September von aserbaidschanischen Soldaten angeschossen worden sei.    

Der Premierminister Armeniens, Nikol Paschinjan, behauptete bei einer Rede in Jerewan, dass die jüngsten Waffenstillstandsverletzungen von Aserbaidschan ausgingen, und drei aserbaidschanischen Soldaten dabei getötet worden seien. Daraufhin erklärte das aserbaidschanische Verteidigungsministerium, dass die Einheiten der aserbaidschanischen Armee keine Kampfverluste erlitten hätten. Die armenischen Streitkräfte verloren an der Front laut den offiziellen armenischen Angaben zwei Soldaten.

In der vergangenen Woche führte Aserbaidschan großangelegte Militärübungen durch. Diese fanden zwischen dem 17. September und dem 22. September statt. Das angeblich spontane Manöver könnte eine Antwort auf die Militärübungen der armenischen Seite „Shant 2018“ gewesen sein, welche eine Woche zuvor abgehalten worden waren. Im Rahmen des armenischen Manövers veröffentlichte das Parlament Armeniens auf seiner offiziellen Internetseite sogar eine Meldung über eine Kriegserklärung gegen Aserbaidschan.

Darüber hinaus hat sich in den letzten zwei Wochen auf beiden Seiten die kriegerische Rhetorik verhärtet. Am 19. September reiste der armenische Premierminister erneut nach Bergkarabach, wo er von der Bereitschaft Armeniens sprach, bei Bedarf einen Krieg gegen Aserbaidschan zu führen. Ein Tag davor sagte der aserbaidschanische Präsident, Ilham Alijew, dass sich die neue politische Führung Armeniens ihrer Verantwortung nicht bewusst sei. Durch ihre Schritte und „dumme Aussagen“ trage die armenische Führung zu Spannungen an der Waffenstillstandslinie bei.

Von den drei Ko-Vorsitzstaaten der Minsker Gruppe der OSZE hat sich bisher nur Russland zu den Entwicklungen an der armenisch-aserbaidschanischen Waffenstillstandslinie geäußert. „Wir haben wiederholt betont, dass die Lösung des Bergkarabach-Konflikts nur mit friedlichen Mitteln und ohne Gewalteinsatz durchgeführt werden darf. In diesem Zusammenhang glauben wir, dass die dringendste Aufgabe darin besteht, dass sich die Konfliktparteien auf die Intensivierung des Verhandlungsprozesses konzentrieren, wie es auf dem Gipfel in Genf im Oktober 2017 vereinbart wurde“, hieß es in einem Statement des russischen Außenministeriums vom 19. September.

Prof. Kamil Salimow von der Staatlichen Universität in Baku glaubt, dass die „Provokationen Armeniens an der Front “mit der schweren politischen und sozioökonomischen Situation in dem Land zusammenhängen. In Armenien stünden die Parlamentswahlen an, und der armenische Premierminister Paschinjan, dessen Regierung keine wirtschaftlichen Erfolge vorweisen könne, möchte sich die Unterstützung der Bevölkerung durch die harte Positionierung im Bergkarabach-Konflikt sichern.

Der armenische Politologe, Alexander Iskandarjan, vertritt die Meinung, dass „Aserbaidschan durch die Schießereien an der Grenze die Position Armeniens im Verhandlungsprozess“ beeinflussen möchte, und dies entspreche der Verhandlungsstrategie Bakus der letzten 10 Jahre. Mit einer größeren Eskalation rechnet Iskandarjan allerdings nicht.

Die Region Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, jedoch wird sie von Armenien, das sich als Schutzmacht für die Karabach-Armenier sieht, militärisch besetzt. Infolge des Krieges zwischen Armenien und Aserbaidschan in den 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die aserbaidschanische Bevölkerung aus Bergkarabach und sieben weiteren Provinzen, die ebenso unter armenische Kontrolle gerieten, vertrieben.

Aktuell werden die besetzten Gebiete fast ausschließlich von Armeniern bewohnt. Die Minsker Gruppe der OSZE unter dem Ko-Vorsitz Russlands, Frankreichs und der USA, vermittelt seit 1994 bei der Suche nach einer friedlichen Lösung des Konflikts, ein Erfolg steht bisher aus.

 

Siehe auch

"Caucasus Watch" sucht lokale Experten aus Georgien, Armenien, Aserbaidschan und der Nordkaukasus-Region. Wir bieten eine flexible Form der Zusammenarbeit, eine angemessene Vergütung und Zugang zu einer europaweiten Leserschaft. Senden Sie Ihren Lebenslauf, ein Bewerbungsschreiben und eine Arbeitsprobe an redaktion@caucasuswatch.de. Für Fragen: i.dostalik@caucasuswatch.de.

Wir verwenden Cookies, um unser Angebot für Sie zu verbessern. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.