Nikol Paschinjans Pressekonferenz: Thesen und Reaktionen
Am 19. März 2019 hat der armenische Regierungschef, Nikol Paschinjan, eine Pressekonferenz gegeben. Diese ging über 4 Stunden und galt deshalb als außergewöhnlich lange. Die wichtigsten Thesen des armenischen Premierministers wurden anhand der Meldung der Nachrichtenagentur „Nowosti-Armenia“ und Informationen aus weiteren armenischen Medien im Folgenden zusammengefasst.
- Die armenische Regierung diskutiert gerade über 89 Investitionsprogramme mit einem Gesamtvolumen von 2,7 Milliarden US-Dollar.
- Als Einzelunternehmer arbeitende Taxifahrer würden von allen Steuern befreit werden. Die umfassende Steuerbefreiung würde auch Kleinunternehmen mit einem Jahresumsatz unter 24 Mio. Dram (ca. 50.000 US-Dollar) betreffen.
- Neue Initiativen Armeniens im Rahmen des Verhandlungsprozesses über den Bergkarabach-Konflikt seien keine Herausforderung für die Konfliktlösung sondern eine Einladung zum Dialog. Die Miteinbeziehung der international nicht anerkannten Republik von Bergkarabach würde keine Veränderung sondern eine Wiederherstellung des Verhandlungsformats bedeuten.
- Bei den neuerlichen Gesprächen über den Transit des iranischen Gases durch Armenien gehe es nicht um den Bau einer neuen Pipeline, sondern um die Nutzung der bereits bestehenden Infrastruktur.
- Die armenische Regierung leitete ein Verfahren ein, das die staatliche Enteignung von Eigentum, das illegal privatisiert oder durch Korruption beschaffen wurde, ermöglichen würde.
- Der Enteignungsmechanismus dürfte ohne ein Gerichtsurteil als Teil der internationalen Verpflichtungen Armeniens, welche in den Beziehungen Armeniens mit der UNO und mehreren europäischen Organisationen verankert seien, zum Einsatz kommen.
- Armenien sei zu einem Gefangenenaustausch mit Aserbaidschan bereit. Dabei handele es sich um Zivilisten, die sich an der Grenze verlaufen hätten.
- Die Zahl der nicht identifizierten Gaskonsumenten in Armenien sei 2018 um 23% zurückgegangen. Die Verluste des Gasverteilungsnetzes seien um 30% reduziert worden.
- Ein neuer Generalsekretär der Organisation des Vertrags für Kollektive Sicherheit werde ohne Zustimmung Armeniens nicht ernannt werden. Die armenische Position sei dabei konstruktiv. Sollte eine Entscheidung ohne Einvernehmung Armeniens getroffen werden, würde dies (für Jerewan) bedeuten, dass die Organisation nicht mehr existiert.
- Die innenpolitische Situation in Armenien sei niemals zuvor so stabil gewesen wie sie heute sei. Dies sei keine repressiv sondern demokratisch geprägte Stabilität. In Armenien braue sich keine neue Protestwelle zusammen, dies sei Fakt.
- Wenn eine neue Parlamentswahl zu diesem Zeitpunkt stattfinden würde, würde der Regierungsblock „Mein Schritt“ sogar mehr Stimmen einholen als bei der Wahl im Dezember 2018.
- Nikol Paschinjan reagiere auf alle Fälle und Berichte über angebliche Versuche von Regierungsmitgliedern Einfluss auf die Tätigkeit der Gerichte zu nehmen. Bisher hätten sich diese Informationen als unwahr erwiesen.
Reaktionen
Der Sekretär der Parlamentsfraktion „Aufgeklärtes Armenien“, Gework Gorgisjan, sagte im Gespräch mit dem armenischen Dienst von RFERL, dass sich der Regierungschef in seiner Einschätzung irre, dass es zur Zeit keine Proteststimmung in Armenien gebe. „Es gibt eine Protestwelle und das ist gefährlich. Zur Zeit wird, zum Beispiel, über das neue Steuergesetzbuch diskutiert, welches für große Unzufriedenheit sorgt. Gerade jetzt werden in der Nationalversammlung (dem armenischen Parlament) Änderungen des Gesetzes über Pfandhäuser besprochen, was ebenfalls zu Unzufriedenheit und Beschwerden der Bürger führt. Die Versprechen der Revolutionäre über die Reduzierung von Gas- und Strompreise seien nicht erfüllt worden. Angesichts der sehr hohen Erwartungen der Bürger im Bezug auf die Revolution könnte es zu gefährlichen Spannungen kommen, falls ein Teil der Versprechen nicht verwirklicht werden würde. Bezüglich der staatlichen Enteignung des „gestohlenen“ Eigentums durch den Staat ohne entsprechende richterliche Genehmigung sagte Gorgisjan, dass es derzeit weder solche Mechanismen gebe noch die Garantien, dass die ehemaligen [angeblich korrupten] Beamten selbst nach dem Abtritt von den Eigentumsrechten nicht strafrechtlich verfolgt werden würden. Im Allgemeinen bemängelt der Politiker konkrete Lösungen seitens der Regierung. Man gebe zahlreiche politische Absichtserklärungen ab, während es an konkreten Mechanismen zur Realisierung dieser Absichten fehle.
Die Internetseite „1in.am“ veröffentlichte einen Beitrag, in dem es heißt, dass die aktuellen Beliebtheitswerte der Regierung trotz Paschinjans Einschätzung weit von denen der Dezember-Wahlen 2018 entfernt seien. Worauf sich die Zuversicht von Nikol Paschinjan stützt, dass der Regierungsblock seit der Parlamentswahl 2018 noch beliebter geworden ist, sei demnach unklar. „Es gibt eigentlich keine eigenen Beliebtheitswerte für die Regierung, sondern nur das persönliche Rating von Nikol Paschinjan, das durch seine Regierungsmannschaft täglich unterwandert wird“, schreibt 1in.am. Die Zeitung „Past“ berichtet zudem unter Berufung auf eigene Quellen, dass der Regierung neue Umfragewerte vorgelegt worden seien, denen zufolge das aktuelle Rating des Premierministers bei 52-53% liege. Die Werte seines Ministerkabinetts liegen der Zeitung zufolge bei 45%. „Ein solcher Wert wäre für jede Regierung traumhaft, allerdings sei die Regierung angesichts der Tatsache, dass Paschinjans Beliebtheitswert vor 10 Monaten noch bei 90% lag, besorgt“, schreibt „Past“.