Paschinjan enthüllt weitere Details zum Abkommen vom 9. November

Am 29. November sprach der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan erneut über die Gründe, warum er am 9. November die trilaterale Erklärung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew unterzeichnen musste, um den Krieg in Bergkarabach zu beenden und die möglichen Folgen einer Weiterführung zu verhindern.

„Am 19. Oktober 2020 rief mich der (de-facto) Präsident von Bergkarabach Araik Harutunjan an und sagte, dass der Krieg gestoppt werden sollte. Er sagte auch, dass dies nicht nur seine Meinung war, sondern die von… den ehemaligen (de-facto) Präsidenten von Bergkarabach Arkadi Ghukasjan, Bako Sahakjan sowie den ehemaligen armenischen Präsidenten Robert Kotscharjan, Sersch Sargsjan und Levon Ter-Petrosjan. Ich rief den russischen Präsidenten Wladimir Putin an und er sagte, wir sollten versuchen, dies gemäß der Logik der russischen Vorschläge zu tun. Das bedeutet die Übertragung der Statusfrage, die Übergabe von Gebieten, den Einsatz russischer Friedenstruppen. Ich konnte keine öffentliche Erklärung abgeben, denn wenn Aserbaidschan diesen Vorschlag nach meiner öffentlichen Erklärung abgelehnt hätte, hätte dies den Zusammenbruch unseres gesamten Widerstands bedeutet. Danach habe ich den russischen Präsidenten erneut angerufen und gesagt, dass ich damit einverstanden sei“, sagte er.

Paschinjan sagte weiter, Putin habe angemerkt, dass sich die armenische Seite zur Rückkehr der Aserbaidschaner nach Shusha verpflichten müsse. „So wurde der Waffenstillstand unmöglich, weil ich sagte, dass ich mir die Möglichkeit, Shusha aufzugeben, nicht vorstellen kann, selbst wenn ich bei der Angelegenheit von Hadrut zustimme. Das Problem ist, dass in diesem Fall die Bevölkerung von Shusha zu 90 Prozent oder mehr von Aserbaidschanern bevölkert wäre, welche die Straße nach Stepanakert kontrollieren soll. Ich bin sicher, wenn ich der Option der Übergabe von Shusha zugestimmt hätte, hätte Aserbaidschan eine neue Bedingung über die Kontrolle der Straße Karmir Shuka-Shusha aufgestellt“, erklärte er.

Laut Paschinjan hatte der frühere armenische Staatschef Sersch Sargsjan zuvor öffentlich erklärt, dass Armenien nach den Verhandlungen von 2011 mit Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew in der russischen Stadt Kasan bereit gewesen sei, alle sieben aserbaidschanischen Bezirke um die Verwaltungsgrenzen von Bergkarabach herum zu übergeben, welche im Jahr 1994 unter armenischer Kontrolle standen. Dies sollte eine Gegenleistung für einen Zwischenstatus für Bergkarabach und ein späteres Referendum über dessen Status darstellen, aber Alijew stimmte nicht zu und stellte neue Forderungen. Paschinjan erklärte, Sargsjan hätte verlangen können, dass der Status von Bergkarabach von der Tagesordnung gestrichen wird oder dass der Lachin-Korridor keinen besonderen Status erhält. Er betonte, dass die [damaligen] aserbaidschanischen Forderungen die Stadt Shusha nicht betrafen, da die Angelegenheit ebenfalls durch die Madrider Grundsätze gelöst werden sollte, die 2007 von der armenischen Seite als Grundlage für Verhandlungen angenommen wurden: Diese geben eindeutig an, dass das Verhältnis der Zusammensetzung der Bevölkerung von Bergkarabach dem Verhältnis entsprechen muss, welches 1988 vor dem Konflikt bestand. Paschinjan fügte hinzu, dass Aserbaidschan unabhängig von dem Dokument, das die Ko-Vorsitzenden der OSZE-Minsk-Gruppe am Verhandlungstisch vorlegten, auf die oben genannten Forderungen bestand, und die einzige Alternative der Krieg war.

„Als ich 2018 mein Amt als armenischer Ministerpräsident antrat, gab es keine Alternative zum Krieg. Und lassen Sie uns in der jetzigen Situation herausfinden, welche Alternative zu dem, was passiert ist, bestand. Man hätte an das Volk appellieren und sagen können: „Entweder müssen wir die sieben Bezirke ohne Status für Bergkarabach übergeben, oder es würde einen Krieg geben.” Die Menschen hätten nicht zugestimmt und beschlossen zu kämpfen. Ein Krieg wäre ausgebrochen, und es wirkt so, als ob Armenien ihn begonnen hätte. Wenn ich Nein gesagt hätte, hätte ich die Bezirke aufgeben müssen, die Leute hätten gesagt „Nikol ist ein Verräter” und der Krieg würde von vorne beginnen.“

„Wenn ich den Aserbaidschanern zu irgendeinem Zeitpunkt, auch während der letzten türkisch-aserbaidschanischen Militärübungen, gesagt hätte, sie sollten das Problem ohne Krieg lösen, hätten sie verlangt, dass ich einen spezifischen Zeitplan für die Übergabe der Regionen vorlege. Wenn ich das getan hätte, hätten mich die Leute wieder als Verräter bezeichnet. Ab 2018 befand sich die Bergkarabach-Frage in einer Sackgasse mit nur einem Ausweg - der bedingungslosen Übergabe der Distrikte ohne Garantie, dass Aserbaidschan keine neuen Forderungen stellen würde. Und im Kontext der Möglichkeit von neuen Forderungen hätte die Wahrscheinlichkeit eines Krieges weiterhin fortbestanden“, fügte Paschinjan hinzu.

Paschinjan sprach auch darüber, warum die beiden ehemaligen armenischen Präsidenten Robert Kotscharjan und Levon Ter-Petrosjan nicht nach Moskau gingen, um während des Krieges eine einheitliche armenische Haltung vorzutragen (Caucasus Watch berichtete). „Am 20. Oktober 2020 sagte ich, ich sei nicht gegen diese Idee, ich würde sogar ein Staatsflugzeug zur Verfügung stellen - lassen Sie sie gehen, sich treffen, zurückkehren. Nach meiner Zustimmung sprachen die ehemaligen (de-facto) Präsidenten von Berkarabach Bako Sahakjan und Arkadi Ghukasjan jedoch ein anderes Problem an: Sie sagten, ich müsse eine Einigung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin erzielen, damit er Ter-Petrosjan und Kotscharjan als Abgesandte akzeptieren würde. Ich schlug eine andere Option vor: Einen kurzfristig organisierten Protokollbesuch von Ter-Petrosjan und Kotscharjan nach Moskau in der Rolle als ehemalige Präsidenten, wo sie Gäste des ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew gewesen wären, der auch stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates ist, und innerhalb dieses Rahmen hätten wir versuchen können, Höflichkeitstreffen mit dem russischen Präsidenten, dem Außenminister und anderen hochrangigen Offiziellen zu organisieren“, sagte er.

„Ghukasjan und Sahakjan sind gegangen und haben versprochen, diese Option mit Ter-Petrosjan und Kotscharjan zu besprechen. Es stellte sich heraus, dass die von mir vorgeschlagene Option für letztere nicht sehr interessant war. Unerwartet für mich gab Sahakjan bekannt, dass Ter-Petrosjan und Kotscharjan eine Vereinbarung getroffen hatten, um sich mit Sergej Lawrow zu treffen. Es stellte sich heraus, dass ein weiteres Problem … Kotscharjans Pass war, der noch vom Gericht zurückgehalten wurde. Ich sagte, lassen Sie sie eine Petition beim Gericht einreichen, ich werde darum bitten, dass die Staatsanwaltschaft keine Einwände gegen die Rückgabe des Passes einreicht. Was ist passiert? Das Gericht gab Kotscharjans Pass zurück, aber Ter-Petrosjan und Kotscharjan reisten nie nach Moskau ab“, fügte er hinzu.

Paschinjans Aussagen stießen im Land auf negative Reaktionen. Während eines Treffens mit der armenischen Diaspora in Russland bezeichnete der armenische Präsident Armen Sarkissian Paschinjans Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens mit Aserbaidschan als „große Tragödie” und erklärte, dass die derzeitige Regierung nach diesem Abkommen zurücktreten muss. Er betonte, dass in Armenien innerhalb eines Jahres Neuwahlen abgehalten und bis dahin eine Übergangsregierung mit nationalem Einvernehmen gebildet werden sollte, vorzugsweise eine technokratische. Sarkissian war auch sehr kritisch gegenüber der Verfassung des Landes und sagte, dass es kein Gleichgewicht zwischen dem Parlament, der Regierung und der Präsidentschaft gebe. Er bat auch seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin, die Rückkehr armenischer Kriegsgefangener zu vermitteln, die derzeit in aserbaidschanischer Haft sind.

Der frühere armenische Präsident Levon Ter-Petrosjan äußerte sich ebenfalls kritisch gegenüber Paschinjan. „Präsident Ter-Petrosjan hält es für bedeutungslos, über die seelische Qual dieser Nation zerstörenden Geißel nachzudenken. Lassen Sie ihn den Unsinn sagen, den er von sich geben will. Trotzdem hat er keine Möglichkeit, sich zu rechtfertigen. Das armenische Volk wird ihm niemals vergeben“, sagte Ter-Petrosjans Sprecher Arman Musinjan.

Auch das Büro von Robert Kotscharjan erklärte, dass Nikol Paschinjans Äußerungen und Anschuldigungen nicht der Wahrheit entsprechen würden.

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