Putin ruft Nikol Paschinjan nach Moskau
In Armenien spekulieren Medien darüber, unter welchen Preisbedingungen das Land russisches Gas ab 2019 beziehen wird. Der aktuelle Vertrag mit „Gazprom“, nach dem der Gaspreis nur $150 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter beträgt, läuft am 31. Dezember 2018 aus. Derzeit verhandeln Armenien und Russland über neue Vertragsbedingungen, die ab Januar in Kraft treten sollen, wenn die Verhandlungen rechtzeitig abgeschlossen werden.
Die Zeitung „168 Zham“ berichtete unter Berufung auf eigene Quellen, dass der russische Vize-Premierminister, Dmitrij Kosak, einen Brief an seinen armenischen Amtskollegen, Tigran Awinjan, geschickt habe, in dem mitgeteilt werde, dass ab 2019 der Gaspreis für Armenien $215 USD pro 1000 Kubikmeter betragen werde. Aus dem Büro von Awinjan hieß es jedoch, dass es einen solchen Brief nicht gegeben habe. Bisher sei keine Entscheidung über den neuen Gaspreis getroffen worden. Die Gespräche mit russischen Kollegen liefen „in einer vertrauensvollen Atmosphäre“, in der es keine Ultimaten geben könne, so ein Sprecher des armenischen Vize-Premierministers.
Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan hatte mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Rande des Gipfels der Eurasischen Wirtschaftsunion in St. Petersburg bereits Gespräche über den Preis von russischem Gas für Armenien geführt. „Ich habe Putin erzählt, dass der vergünstigte Preis von $150 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter lediglich für das Unternehmen „Gazprom-Armenien“ und nicht die armenischen Bürger gilt. Wir haben uns darauf verständigt, die bestehenden Preisbildungsmechanismen für das nach Armenien gelieferte Gas sowie diesen Lieferungen zu Grunde liegende Abkommen gemeinsam zu untersuchen“, erklärte Paschinjan. Trotz der Tatsache, dass der Gaspreis an der armenischen Grenze $150 US-Dollar beträgt, wird es momentan an die Haushalte für $285 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter verkauft.
Die armenisch-russischen Gasverhandlungen verlaufen vor dem Hintergrund der spürbaren Spannungen zwischen Moskau und Armenien. Eine Abkühlung der bilateralen Beziehungen begann mit der Verhaftung des damals noch amtierenden OVKS-Generalsekretärs Jurij Chatschaturow in Armenien. Dieser Alleingang Paschinjans führte zur erheblichen Unzufriedenheit innerhalb der Organisation, die sich bis heute nicht auf einen neuen Generalsekretär einigen konnte. Das passierte nicht zuletzt wegen der Position Jerewans, wo man darauf besteht, dass das Amt des Generalsekretärs Armenien bis 2020 zustehe. Alle anderen OVKS-Mitglieder plädieren dafür, einen Vertreter aus Weißrussland zum neuen Generalsekretär zu ernennen. Die Verhaftung des ehemaligen Präsidenten Robert Kotscharjan in Armenien, der als russlandtreuer Politiker und ein Freund von Wladimir Putin gilt, löste auch negative Reaktionen in Moskau aus, so dass der russische Außenminister vor einer „politischen Vendetta“ warnte. Zwar wurde Kotscharjan nach der ersten Abmahnung aus Moskau freigelassen, jedoch wurde er kurz vor der Parlamentswahl in Armenien erneut verhaftet. Die Anwälte Kotscharjans behaupten, dass die erneute Verhaftung ihres Mandanten auf Druck seitens der Regierung erfolgte. Diesmal blieb aber eine Reaktion aus Russland, zumindest eine öffentliche, aus.
Zuletzt sorgte der russische Außenminister Lawrow mit seinen Äußerungen über ein angeblich geplantes Abkommen zwischen Armenien und Russland, das vorsehe, dass keine ausländischen Militärangehörigen einen Zugang zu armenischen Biolabors erhalten dürften, für Unmut in Jerewan. Das Abkommen werde derzeit von Armenien und Russland vorbereitet, so Lawrow. Der armenische Regierungschef reagierte darauf prompt:
„In den letzten Tagen gab es eine breite Diskussion über die Erklärung des russischen Außenministers über irgendein Abkommen. Über ein solches Abkommen wurde mit der ehemaligen armenischen Regierung verhandelt, während unser Regierungskabinett diese Fragen mit unseren russischen Partnern nicht besprach“, sagte Nikol Paschinjan und dementierte somit Lawrows Äußerungen. Paschinjan ist auch auf die Worte des Vize-Außenministers Grigorij Karasin eingegangen, der in Anspielung an den jüngsten Besuch von John Bolton Armenien davor warnte, sich vor einer angeblichen „Erpressung durch die USA“ zu beugen. Laut Paschinjan führt Armenien eine „unabhängige Politik“.
Bemerkenswert ist auch, dass der russische Präsident Wladimir Putin dem armenischen Regierungschef zu seinem Sieg bei der Parlamentswahl bisher nicht gratuliert hat. Die armenischen Medien erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass der Kreml bei der Parlamentswahl 2017 mit einer Gratulation an Sersch Sargsjan nicht zögerte, als die Republikanische Partei Armeniens die Wahl gewonnen hatte.
Während seiner Pressekonferenz am 20. Dezember kündigte Wladimir Putin an, dass er Nikol Paschinjan zu einem offiziellen Besuch nächste Woche erwarte. „Das armenische Volk ist Russlands engster Verbündete im Südkaukasus. Das hat sich im Verlauf der Geschichte so entwickelt, und ich hoffe, dass es auch so bleibt. Wir müssen von der aktuellen Situation in der Welt und der Region sowie von unseren Möglichkeiten und Bedürfnissen ausgehen. Das werden wir in der nahen Zukunft mit Herrn Paschinjan besprechen...“, sagte Putin. Nikol Paschinjans Besuch in Moskau wird von dem Mord an einer armenischen Zivilistin überschattet, der angeblich von einem russischen Militärangehörigen der 102. Militärbasis in Gjumri begangen wurde und antirussische Stimmungen in der Kaukasusrepublik verstärkte.
Angesichts der aktuellen Problemfelder in den armenisch-russischen Beziehungen lässt sich vermuten, dass Paschinjan kaum mit einem warmen Empfang in Russland rechnen dürfte. Ob Armenien und Russland das wachsende gegenseitige Misstrauen überwinden und ohne die Last der seit der armenischen „Samtenen Revolution“ entstandenen Differenzen in das neue Jahr gehen können, bleibt zunächst offen.