Sersch Sargsjan zwischen Präsidentschaft und Premierministeramt

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Am 9. April hat der neue armenische Präsident Armen Sarkisian sein Amt offiziell angetreten und das Ministerkabinett aufgelöst, wie die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti berichtet. Dabei ist die Auflösung des Ministerkabinetts am Tag des Amtsantritts durch den neuen Präsidenten in den Übergangsprozeduren der geänderten armenischen Verfassung vorgesehen. Der neue Premierminister soll am 17. April gewählt werden. Danach werden dem Präsidenten Kandidaturen der Regierungsmitglieder vorgestellt, und innerhalb einer Frist von 15 Tagen müssen zwei Drittel des Ministerkabinetts ernannt werden. Der in Kraft getretenen neue armenischen Verfassung zufolge wird die faktische Macht im Staat an das Parlament und die von ihm zusammengesetzte Regierung delegiert. Der Präsident wird fortan nur noch repräsentative Funktionen haben. Kritiker der Verfassungsänderung meinen, dass dieser Schritt dem Machterhalt von Sersch Sargsjan dient. Als Premierminister werde er das Land weiterhin in der machtvollsten Position regieren können; de facto tauschen Sersch Sargsjan und Armen Sarkisian das Amt.

Wie RIA weiter berichtet, hat der Interims-Premier Karen Karapetian inzwischen offiziell angekündigt, dass der (inzwischen) ehemalige Präsident Sersch Sargsjan zum neuen Premierminister nominiert wird: „Wir haben uns darauf geeinigt, dass die Gewährleistung eines ruhigen Übergangs zum neuen Verwaltungssystem und dessen endgültiger Bildung hinsichtlich der vor dem Land stehenden Herausforderungen und Probleme eine sehr wichtige Aufgabe darstellt. Angesichts der Erfolge, die während der letzten Periode der derzeitigen Verwaltungsstruktur erreicht wurden, haben wir entschieden, unseren Parteikollegen die Beibehaltung dieser Konstellation vorzuschlagen, das heißt, die Kandidatur von Sersch Sargsjan zur ersten Person (für das Amt des Premierministers – Anm. d. Red.) vorzuschlagen“, so Karapetjan.

Der politische Analyst Armen Bagdasarjan sagte im Gespräch mit 1in.am, dass die aktuellen Geschehnisse der üblichen politischen Logik in Armenien entsprächen: „Jetzt fängt die dritte Amtszeit von Sersch Sargsjan an. Man wird ihn jetzt lediglich „Premierminister“ nennen, während Karapetjan zum „ersten Vize-Premierminister“ wird. Faktisch wird sich aber nichts ändern, und das ist eigentlich das komischste an der ganzen Situation: eine Gesellschaft, die zu 90 Prozent Veränderungen herbei wünscht, beobachtet stillschweigend, wie sich im Lande eben nichts ändert“.

Die Entscheidung über die faktische Fortsetzung der Macht des Präsidenten Sersch Sargsjan, hat für heftige Kritik seitens der Opposition gesorgt. Der Abgeordnete des Parlamentsblocks „Elk“ („Austritt“), Nikol Paschinjan, hat zu landesweiten Protestmärsche unter dem Motto „Mein Schritt“ initiiert, die in fünf größeren Städten stattfinden sollten. Das Ziel der Aktion sei es, die Premierministerschaft von Sersch Sargsjan zu verhindern.

Die Oppositionspartei „Erbe“ hat die Initiative Paschinjans zwar begrüßt, ließ aber offen, ob sie die Initiative auch tatkräftig in der Praxis unterstützen werde: „Unabhängig davon, ob wir mitmarschieren, müsst ihr wissen, dass die Partei „Erbe“ immer an der Seite des Volkes steht und seine Rechte verteidigt. Die Frage unserer Teilnahme wird nicht gestellt“, so der Parteigründer Raffi Owanesjan.  

Der vom ehemaligen Präsidenten Levon Ter-Petrosjan angeführte Armenische Nationalkongress, der derzeit nicht im Parlament vertreten ist, hat sich faktisch von der Initiative der Partei „Elk“ distanziert, wie Radio Azatutyun berichtet: „Wir möchten keinesfalls, weder durch Worte noch durch Taten, Initiativen stören, die auf den Kampf gegen die Fortsetzung der Macht von Sersch Sargsjan ausgerichtet sind“, so der stellvertretende Vorsitzende Levon Surabjan. Jedoch dürfen Versuche, die politische Führung zu übernehmen, nicht auf Protestaktionen, sondern müssten auf dem „seriösen politischen Prozess“ basiert sein. „Im Endeffekt kann es nicht so weitergehen. Es geht nicht darum, die Premierministerschaft von Sargsjan zu verhindern – hier ist nichts mehr zu verhindern. Wir haben bereits alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Es geht um den Prozess der Vertreibung Sargsjans aus der Regierungsmacht, und das ist etwas ganz anderes. Sersch Sargsjan wird gehen, wenn er Hunderttausende Menschen, das gesamte Volk, auf den Straßen sieht“, versicherte Surabjan. „Wenn es einen solchen politischen Prozess gibt, wenn die Leute ihre Indifferenz und Depression, in die sie geraten sind, loswerden, dann wird es sicherlich möglich sein, seriöse politische Prozesse zu organisieren“, so der Politiker.

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