Wird iranisches Gas Armenien von der russischen Abhängigkeit retten?
Angesichts der laufenden russisch-armenischen Gespräche über den Gaspreis ab 1. Januar 2019 erscheinen in Armenien derzeit Berichte über einen eventuellen Umstieg auf iranisches Gas. Es ist nicht das erste Mal, dass der Iran als mögliche Ersatzquelle für russisches Gas fungiert, jedoch haben diese Diskussionen bisher zu keinen konkreten Ergebnissen geführt.
Durch eine 2007 in Betrieb genommene Pipeline bezieht Armenien bereits geringe Mengen von iranischem Gas, die von den Heizkraftwerken in Jerewan und teilweise Rasdan verbraucht werden. Dabei handelt es sich um ein Bartergeschäft: Als Gegenleistung erhält der Iran Strom aus Armenien (3 Kilowattstunden gegen 1 Kubikmeter Gas). So importierte Armenien im Jahr 2017 ca. 383 Mio. Kubikmeter Gas aus dem Iran, was 2,9% mehr war als 2016. Doch im Vergleich zu fast zwei Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland (Anstieg von 7% gegenüber 2016) erscheint diese Menge eher symbolisch. Anfang April 2016 hatten Armenien und Russland ein Abkommen unterzeichnet, in dem der Preis für russisches Gas von 165 US-Dollar auf 150 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter heruntergesetzt worden war.
Derzeit kauft „Gazprom-Armenien“, ein in Armenien operierendes Tochterunternehmen von „Gazprom“, russisches Gas für 150 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter. Der Preis für die Endverbraucher ist allerdings wesentlich höher. So müssen die armenischen Haushalte, die weniger als 10.000 Kubikmeter Gas pro Monat verbrauchen, 290 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter bezahlen. Ärmere Bevölkerungsschichten, deren jährlicher Gasverbrauch unter 600 Kubikmeter liegt, bezahlen jedoch einen vergünstigten Preis. Auch für die Großverbraucher mit einem Gasverbrauch von über 10.000 Kubikmeter pro Monat und die in der Landwirtschaft tätigen Unternehmen gelten niedrigere Preise. Laut der Auskunft von „Gazprom-Armenien“ beträgt der durchschnittliche Preis für russisches Gas in Armenien somit ca. 255 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter. Die neue armenische Regierung wollte mit Russland über die Preisbildungsmechanismen nachverhandeln, damit die Marge verringert werden kann. Der Grund dafür, dass der Unterschied zwischen dem Preis an der Grenze und dem Endpreis so gravierend ist, liege laut Premierminister Nikol Paschinjan womöglich an „Korruptionsrisiken“. Im November 2018 äußerte sich der Chef von „Gazprom-Armenien“, Hrant Tadewosjan, skeptisch über die Möglichkeit einer Gaspreissenkung im Jahr 2019. Er argumentierte, dass selbst mit dem heutigen Gaspreis sein Unternehmen enorme Verluste trage und jährlich von „Gazprom“ ca. 13,6 Milliarden Rubel als Subvention erhalte, um seine Kosten zu decken.
Der armenische Botschafter im Iran, Arasches Tumanjan, teilte im Dezember 2018 mit, dass Armenien vorhabe, seine Gasimporte aus dem Iran zu erhöhen. Technisch gesehen ist das möglich, denn die armenisch-iranische Gaspipeline wird derzeit lediglich zu 20% seiner Kapazitäten genutzt. Die ehemalige armenische Regierung unter Sersch Sargsjan verhandelte mit dem Iran über die Erhöhung des Handelsumsatzes im Rahmen des Programms „Gas gegen Strom“. Was jedoch den direkten Gasankauf aus dem Iran angeht, haben sich damals keine günstigeren Angebote für Armenien ergeben. Sobald der Iran Armenien einen akzeptablen Preis anbieten würde, wäre Armenien bereit, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, hieß es noch Anfang 2018 von Seiten Jerewans.
Es ist jedoch fraglich, ob sich dies wirtschaftlich und politisch sowohl für Armenien als auch den Iran lohnen würde. Im Mai 2018 erklärte der armenische Minister für Energieinfrastruktur und Naturressourcen, Artur Grigorjan, dass der Iran Armenien einen Gaspreis von 165 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter angeboten habe, was immer noch teurer wäre als russisches Gas. Außerdem erinnerte der Minister daran, dass „Gazprom-Armenien“ jährlich ca. 28 Mio. US-Dollar ins armenische Gasverteilungsnetz, das wiederum im Besitz Russlands ist, investiere.
Auch die geopolitischen Faktoren sollte man nicht unterschätzen. Ein deutlicher Anstieg in den armenischen Gasimporten aus dem Iran könnte negative Folgen für die Beziehungen zu den USA haben, zumal der Sicherheitsberater des US-Präsidenten während seines Besuchs im Südkaukasus alle drei Länder der Region vor einer engeren Kooperation mit dem Iran warnte. Zwar erklärte der armenische Regierungschef Paschinjan nach Boltons Besuch, dass Armenien vor allem auf eigene nationale Interessen achten werde, jedoch kann er die US-Interessen nicht gänzlich außer Acht lassen.
Es ist auch ungewiss, ob und inwiefern der Iran tatsächlich bereit ist, seine Gaslieferungen an Armenien zu erhöhen. Teheran wäre politisch nicht unbedingt daran interessiert, durch seine Handlungen Russlands Monopolstellung auf dem armenischen Energiemarkt offen in Frage stellen zu wollen. Angesichts des wachsenden Eigenbedarfs des Irans ist es offen, ob er grundsätzlich ein Interesse daran hat, billiges Gas nach Armenien zu exportieren. Zumal es in der Region lukrativere Märkte gibt: So zahlt der armenische Nachbarstaat, die Türkei, an den Iran 400 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas.
Ob unter solchen Umständen die armenische Regierung in der absehbaren Zukunft eine Alternative für „Gazprom“ finden bzw. den Anteil von russischem Gas am eigenen Gasmarkt reduzieren können wird, erscheint eher unwahrscheinlich. Das versetzt Jerewan in eine schwächere Position bei den von Paschinjan angestrebten Verhandlungen über die Preisbildungsmechanismen. Der Gasfaktor bleibt nach wie vor ein Instrument der wirtschaftlichen und politischen Einflussnahme auf die armenische Politik durch Russland