Artak Beglaryan: Die beste Option für die Regierung von Bergkarabach ist Armenien

Bildrechte: Artsakh Press
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Seit Wochen wird spekuliert, dass sich die selbsternannte Republik Bergkarabach, wieder der vorherigen Erklärung, am 1. Januar 2024 nicht auflösen wird. 

Führende Vertreter der armenischen Diaspora spekulieren über die geografische Verlegung der selbsternannten Republik Bergkarabach und nennen eine Reihe von Städten, in die sich die letzte Regierung mit einem Volksmandat niederlassen könnte. 

Historisch gesehen war die selbsternannte Republik Artsakh international nicht anerkannt. Daher mussten ihre internationalen Vertreter mit der finanziellen und diplomatischen Unterstützung Armeniens arbeiten. Am 19. September 2023 entsandte Aserbaidschan Truppen nach Bergkarabach. Nach einer monatelangen Blockade, die zu Unterbrechungen der Lebensmittel- und Energieversorgung geführt hatte, sahen sich die Behörden in Stepanakert gezwungen, die Wiedereingliederung der Region nach Aserbaidschan zu akzeptieren. Am 28. September erließ der separatistische Präsident Samvel Shahramanyan ein Dekret, das die Auflösung der selbsternannten Republik zum 1. Januar 2024 anordnete. 

Dieser Beschluss wurde inzwischen widerrufen. Am 22. Dezember widerrief Shahramanyan sein eigenes Dekret. Die Reaktion der armenischen Regierung fiel recht negativ aus. Eriwan sieht in der Absicht, eine Exilregierung beizubehalten, eine direkte Bedrohung für die nationale Sicherheit Armeniens. 

Um zu erfahren, wie es weitergeht, haben wir mit Artak Beglaryan gesprochen. Im Alter von sechs Jahren verlor Artak Beglaryan durch die Explosion einer Landmine vor dem Haus seiner Familie sein Augenlicht. Später studierte er an der Fletcher School of Law and Diplomacy der Tufts University und am University College London. Anschließend war er Staatsminister und Ombudsmann für Menschenrechte in der selbsternannten Republik Bergkarabach. Es wird allgemein erwartet, dass er bei den kommenden Ereignissen eine Rolle spielen wird. 

Über 100.000 Menschen der armenischen Gemeinschaft in Bergkarabach haben ihre Heimat verlassen, darunter auch Sie. Inwieweit ist diese Gemeinschaft noch intakt? Was geschieht mit ihren Daten: Geburtsurkunden, Land- und Eigentumstiteln? 

Da wir hier in Armenien nicht als eine geografisch kompakte Gruppe leben, ist es schwierig, eine Gemeinschaft zu bleiben. Andererseits haben wir Institutionen, die für die Aufrechterhaltung des Gemeinschaftsgefühls von entscheidender Bedeutung sind, darunter sowohl staatliche Einrichtungen als auch Bürger-, Kultur- und Bildungsstiftungen. Außerdem gibt es heutzutage Social-Media-Plattformen, Internetseiten, Gruppen und Kanäle, die die Kommunikation erleichtern. 

Die größte Herausforderung besteht nun darin, an den staatlichen Institutionen festzuhalten, die sowohl für den Erhalt unserer Gemeinschaft als auch für die Fortsetzung des Kampfes zur Verteidigung unserer Rechte und der Interessen unseres Volkes wichtig sind. Sie verstehen natürlich, dass wir in dieser Hinsicht mehrere Herausforderungen haben, nicht zuletzt mit den armenischen Behörden. 

Ich denke, es wird ein natürlicher Prozess sein, neue Institutionen und Organisationen zu gründen, die den Menschen helfen werden, ihre Identität, ihre Gemeinschaft und ihre Rechte zu bewahren. Im Moment gibt es in unserem Volk eine Tendenz, aktiv zu werden: Veranstaltungen, Debatten über die Zukunft der Gemeinschaft usw. 

Die wichtigsten staatlichen Datenbanken wurden nach Armenien verlagert, zumindest diejenigen, die in elektronischer Form vorlagen: Eigentum, Ausweisdokumente, Einwohnermelderegister, Zivilstandsregister (Heirat, Geburt, Tod usw.). Die elektronischen Daten befinden sich in Armenien. Bei alten Archiven, die aus der Zeit vor 2012 stammen, gibt es einige Schwierigkeiten. Ein Teil dieser Dokumente in Papierform lässt sich nur schwer abrufen oder wiederherstellen, aber das ist kein ernsthaftes Problem. 

Acht Mitglieder der Regierung der selbsternannten Republik Bergkarabach sind momentan in Baku. Besteht nach den jüngsten vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen Armenien und Aserbaidschan, zu denen auch der Austausch einiger Gefangener gehörte, Hoffnung auf ihre Freilassung? Gibt es irgendeine diplomatische Initiative in diesem Bereich?  

Wir sind in dieser Hinsicht unsicher. Sie halten regelmäßig telefonischen Kontakt zu ihren Familien. Das Rote Kreuz hat sie besucht. Über das Gerichtsverfahren ist weniger bekannt. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft, das den Fall gegen sie aufbaut, und die Art der Unterlagen, die die Gerichte einreichen, sind nicht transparent. 

Es gibt ausländische Politiker und Diplomaten, die auf die aserbaidschanische Seite zugehen, aber es gibt kaum Fortschritte. Ich weiß, dass die armenischen Behörden das Thema in ihrer Kommunikation mit Aserbaidschan ansprechen, sowohl direkt als auch über Vermittler. Einige dieser Prozesse sind nicht öffentlich und ich bin vielleicht nicht so gut darüber informiert. Es gibt auch rechtliche Initiativen vor dem Internationalen Gerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof, wo die armenische Regierung für alle Inhaftierten eintritt. Es ist offensichtlich, dass Aserbaidschan die politische Führungsriege nicht zurückgeben will; ich kann nur spekulieren, warum das so ist. 

Es gibt inoffizielle öffentliche Bürgerinitiativen, die sich für ihre Rückkehr einsetzen. Diesbezüglich sehe ich keine Perspektive. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Fall politisch gelöst werden muss und dass der internationale Druck (auf Aserbaidschan) erhöht werden muss, um die Rückkehr unserer Führung sicherzustellen. 

Am 22. Dezember sprach Samvel Shahramanyan davon, die Auflösung der selbsternannten Republik Bergkarabach am 1. Januar zu widerrufen. Es war sein Dekret, das am 26. September in Stepanakert erlassen wurde und mit dem der Countdown bis zum 1. Januar begann. Wie wurde diese Entscheidung in Eriwan aufgenommen? 

Die Reaktion (der Regierung) war sowohl öffentlich als auch aggressiv. Es scheint, dass die armenischen Behörden ernsthaft befürchten, dass ein Dekret zur Annullierung der Staatsauflösung Aserbaidschan einen Grund für neue Provokationen oder sogar Aggressionen liefern könnte. 

Ich kenne die Gründe für diese Befürchtungen nicht und kann nicht sagen ob sie unbegründet oder begründet sind, aber ich denke, dass die armenischen und bergkarabachischen Behörden diese Fragen vertraulich und nicht in der Öffentlichkeit erörtern sollten. Eine Lösung für das dauerhafte Funktionieren der staatlichen Institutionen von Artsakh jetzt und in Zukunft, über den 1. Januar hinaus, sollte gefunden werden.

Ich kann auch sagen, dass das Dekret vom 28. September rechtlich bedeutungslos ist und die staatlichen Institutionen nach dem 1. Januar weiterarbeiten werden. Das liegt daran, dass das Dekret verfassungswidrig war und kein Präsident jemals ein Dekret unterzeichnen kann oder können wird, das staatliche Institutionen auflöst. Am 1. Januar sollte man davon ausgehen, dass alle staatlichen Institutionen Bergkarabachas öffentlich weiterarbeiten werden. 

Die Lösung zur Vermeidung einer Bedrohung der nationalen Sicherheit Armeniens erfordert jedoch diskrete Gespräche zwischen den armenischen und den bergkarabachischen Behörden. Ich denke, die beiden Parteien sollten dies vertraulich besprechen. 

Wenn Sie sagen, dass die Regierung von Bergkarabach ihre Tätigkeit fortsetzen wird, frage ich mich, ob das möglich ist. Offensichtlich ist Ihre Regierung derzeit nicht in der Lage, Steuern zu erheben. Gibt es irgendwelche Anzeichen dafür, dass Armenien Sie unterstützen wird? 

Nein, offenbar unterstützen sie die Idee nicht, dass der Staat Artsakh und seine Institutionen weiterarbeiten sollten. In der Tat wollen sie, dass keiner der Institutionen in Armenien weiterarbeitet. 

Das ist der falsche Ansatz, und ich denke, sie können eine Lösung finden. Es geht hier nicht um etwas, das sich gegen die aserbaidschanische Souveränität richtet, sondern um unsere gemeinsamen Rechte. Diese Behörden sind die legalen und legitimen Vertreter unseres Volkes und haben das Recht und die Macht, dessen Interessen und Rechte zu vertreten. Dies sollte auf jeden Fall mit Unterstützung der armenischen Behörden geschehen. Wann immer es möglich ist, sollten sie sich in auswärtigen Angelegenheiten engagieren und unsere Stimme auf der Weltbühne erheben. Leider sehen wir kein ausreichendes Interesse oder Unterstützung seitens der armenischen Behörden. 

Wenn Eriwan nicht in der Lage ist, Sie zu unterstützen, werden Sie dann eine Exilregierung einrichten? Wenn ja, gibt es einen Hinweis darauf, wo diese ihren Sitz haben wird? 

Eigentlich brauchen wir keine neue Exilregierung zu bilden, denn es gibt bereits eine Regierung. Die bestehende Regierung kann einfach ihre Struktur, ihren Auftrag und ihre Funktionen umstrukturieren und neu organisieren und so ihre Arbeit fortsetzen. 

Die beste Option wäre eine solche Regierung in Armenien weiterzuführen. Wenn sich die armenischen Behörden dieser Idee widersetzen oder sogar versuchen, sie zu verhindern, dann müssen die Behörden von Artsakh eine Lösung finden und einen anderen Standort suchen. Es gibt Szenarien, die diskutiert werden, aber diese Exil-Option hat ihre Grenzen, sie wird Abhängigkeiten schaffen, und deshalb kann ich Ihre Frage nicht direkt beantworten. Vieles hängt von den Bedingungen ab, die verschiedene Behörden unserer Regierung vorlegen werden.

Beitrag von Ilya Roubanis

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