Besuch in Eriwan: Interview mit Koordinator Dirk Wiese

Dirk Wiese, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, besuchte vom 2. bis 4. März Armenien. In der Hauptstadt Eriwan führte er politische Gespräche mit Vertretern der armenischen Regierung und des Parlaments, kam mit Akteuren der Zivilgesellschaft zusammen und besichtigte das TUMO Center for Creative Technologies. Im Interview mit Caucasus Watch fasste Koordinator Wiese die wichtigsten Ergebnisse seiner Reise nach Armenien zusammen. 

Herr Wiese, können Sie die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Reise nach Armenien für uns zusammenfassen? Was sind die nächsten geplanten Meilensteine der Zusammenarbeit mit Armenien im Rahmen der Östlichen Partnerschaft sowie auf der deutsch-armenischen bilateralen Ebene?

Mit meinem Besuch in Eriwan wollte ich zunächst einmal die Unterstützung der Bundesregierung für Armeniens Reformkurs zeigen. In Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern von Regierung, Parlament und Zivilgesellschaft habe ich mich über den Fortgang der Reformen und über aktuelle Herausforderungen für Armenien informiert.

Für die Östliche Partnerschaft stellt der für Juni 2020 geplante Gipfel den nächsten Meilenstein dar. Die EU-Kommission hat anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Östlichen Partnerschaft im Mai 2019 unter Einbindung aller Beteiligter einen Beratungsprozess zur Zukunft dieser EU-Nachbarschaftspolitik gestartet – erste Ergebnisse kristallisieren sich langsam heraus.

Was die deutsch-armenischen Beziehungen angeht, freue ich mich schon sehr auf den Herbst. Dann soll in Berlin das erste deutsche TUMO Center nach armenischem Vorbild eröffnen – ein Lernort, an dem Jugendliche kostenlos und selbständig Programmieren, Designen und andere Kreativtechniken lernen können. Ein schönes Symbol, denn das Berliner TUMO Center zeigt, dass Deutschland und Armenien viel voneinander lernen können.

Wie schätzen Sie die Implementierung des CEPA-Abkommens durch Armenien seit der Samtenen Revolution ein? Welche Fortschritte wurden erzielt, welche Hindernisse sind noch zu überwinden? 

CEPA ist ein wichtiger Meilenstein für die Beziehungen zwischen der EU und Armenien. Da noch nicht alle EU-Mitgliedsstaaten CEPA ratifiziert haben, ist es ja bisher nur teilweise in Kraft. Umso mehr freuen wir uns, dass Deutschland CEPA im vergangenen Sommer ratifizieren konnte und hoffen, dass bald auch die restlichen EU-Mitgliedstaaten folgen.

Schon heute aber bildet CEPA die Grundlage für eine engere Zusammenarbeit zwischen der EU und Armenien, um zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger die armenische Demokratie und den Rechtsstaat zu stärken, bessere Investitionsbedingungen im Land zu schaffen und die Zivilgesellschaft zu stärken.

Der Partnerschaftsrat EU-Armenien hat zuletzt am 16. Dezember in Brüssel getagt. Die EU-Seite würdigte den Reformfortschritt in Armenien, besonders die neuen Strategien für eine Justizreform und für den Kampf gegen Korruption. Armenien sollte aus meiner Sicht den Weg der Reformen entschlossen weitergehen – zum Wohle aller Armenierinnen und Armenier.  

Wie weit sind die EU und Armenien entfernt von einem visafreien Regime, ähnlich wie es bereits mit Georgien oder der Ukraine der Fall ist? Welche Hindernisse gibt es noch auf diesem Weg?  

Ich persönlich bin ein großer Fan des visafreien Reisens. Die Visaliberalisierungen der EU mit Georgien, der Ukraine und der Republik Moldau haben spürbar weitere Annäherung zwischen diesen Ländern und der EU gebracht. Die jungen Berlinerinnen und Berliner reisen nun zum Feiern in die Clubs von Tiflis – und die Jugend von Tiflis in die Berliner Clubs. Das ist gelebte Völkerverständigung.

Armenien hat schon 2013 die Visumpflicht für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger für Kurzaufenthalte einseitig aufgehoben. Tatsächlich liegt ja auch gerade im Tourismussektor großes Potenzial für das Land. Ich persönlich wünsche mir, dass die EU bald umgekehrt auch für Armenierinnen und Armenier auf Visa für Kurzaufenthalte verzichtet. Die Eröffnung eines Visadialogs mit diesem Ziel ist allerdings eine politische Entscheidung der EU-Mitgliedstaaten. Bei dem einen oder anderen müssen wir da noch Überzeugungsarbeit leisten.  

Seit der Samtenen Revolution lebt Armenien im „Revolutionsmodus“. Das Referendum zu den Verfassungsreformen gilt im Land als umstritten, und der Europarat blickt skeptisch auf diesen Prozess. Auch die strafrechtliche Verfolgung von zwei Ex-Präsidenten wird unterschiedlich wahrgenommen. Wie schätzen Sie die aktuelle politische Situation im Land ein? 

Das für den 5. April geplante Referendum ist in diesen Tagen das zentrale innenpolitische Thema in Armenien. Alle meine Gesprächspartner haben das natürlich aufgegriffen. Als entscheidende Frage wird gesehen, ob das erforderliche Quorum von 25 Prozent Zustimmung aller registrierten Wählerinnen und Wähler erreicht wird.

Ich habe in den Gesprächen dafür geworben, die Empfehlungen der Venedig-Kommission des Europarats zu berücksichtigen. Es gilt weiterhin, was Gianni Buquicchio, Präsident der Kommission, Anfang Februar erklärt hat: Demokratische Kultur und Reife erfordern zurückhaltend handelnde Institutionen, Treu und Glauben sowie gegenseitigen Respekt zwischen den Institutionen des Staates.

Strafrechtliche Aufarbeitung von Fehlverhalten politisch Verantwortlicher in der Vergangenheit kann richtig sein. Wichtig ist meiner Meinung nach allerdings, dass Armeniens Regierung gerade jetzt die Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung hochhält und so die Errungenschaften der demokratischen Revolution schützt.

In Ihrer Presseerklärung sprachen Sie darüber, dass den konstruktiven Worten der armenischen Regierung auch ehrliche und ernsthafte Bemühungen in Bezug auf den Bergkarabach-Konflikt folgen sollen. Haben Sie nach Ihrer Reise nach Armenien den Eindruck, dass dies bald geschehen könnte?

Außenminister Zohrab Mnatsakanyan hat in unserem Gespräch zu Recht gelobt, dass im vergangenen Jahr armenische und aserbaidschanische Journalistinnen und Journalisten ins jeweils andere Land sowie nach Bergkarabach reisen konnten. Das war eine wichtige und erfolgreiche vertrauensbildende Maßnahme. Von diesen kleinen, aber konkreten Schritten sollte es noch viel mehr geben – das sieht auch Minister Mnatsakanyan so.

Deutschland steht bereit, eine Annäherung zwischen Bevölkerungen mittels zivilgesellschaftlicher Projekte zu begleiten, um so gesellschaftliche Unterstützung für die Verhandlungen zwischen Regierungen zu erreichen. Auf Initiative der SPD stehen im Auswärtigen Amt für das Programm „Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland“ für 2020 insgesamt 20 Millionen Euro zur Verfügung. Es gibt also durchaus Mittel, die wir in geeignete Friedensprojekte investieren könnten.

Ihre Reise nach Armenien geschah vor dem Hintergrund des Ausbruchs des neuen Coronavirus in der Region, weswegen Armenien, das ohnehin geschlossene Grenzen zu Aserbaidschan und der Türkei hat, auch das Grenzregime mit dem Iran verschärfen musste. Wie groß ist in Armenien die Sorge um die wirtschaftlichen Folgen dieser Situation?

Zuerst einmal steht für die armenische Regierung – wie für die deutsche Bundesregierung und Regierungen weltweit – die Sorge um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt. Armenien hatte seine Landgrenze zum stark vom Coronavirus heimgesuchten Iran am 23. Februar für den Personenverkehr geschlossen, Lastwagen aber – bei Überprüfung der Fahrer – passieren lassen.

Der Zeitpunkt meines Besuchs, der 2. und 3. März, war nicht der geeignete Moment, um mögliche wirtschaftliche Folgen in Armenien zum Thema zu machen. Zuallererst geht es um den Schutz von Menschen.

Es ist bekannt, dass sich eine armenische Mission derzeit auf Einladung der Assad-Regierung in Syrien aufhält. Die Sicherheitslage in Syrien hat sich seit der jüngsten Konfrontation in der Region Idlib zugespitzt. Wie stehen die Vertreter der armenischen Zivilgesellschaft und politischen Eliten, die Sie getroffen haben, zur armenischen Mission in Syrien unter den aktuellen Umständen?

Für Armenien ist der Konflikt in Syrien sehr nah. Einerseits aufgrund der geographischen Nähe beider Länder, andererseits weil in Syrien – wie in fast allen Staaten des Nahen Ostens – eine armenische Minderheit lebt. Außenminister Mnatsakanyan hat in unserem Gespräch dargelegt, dass Entwicklungen im Nahen Osten deshalb das nationale Interesse Armeniens häufig unmittelbar berühren.

Im Fall des Syrien-Konflikts lässt sich das auch an der Tatsache erkennen, dass in den vergangenen Jahren mindestens 15.000 ethnische Armenierinnen und Armenier aus Syrien nach Armenien geflüchtet sind. Armenien unterhält seit Februar 2019 eine Mission im syrischen Aleppo. Sie umfasst medizinisches Personal und Pioniere, etwa Minensucher.

Außenminister Mnatsakanyan hat dieses Engagement als rein humanitär bezeichnet, wie Armenien das ja stets getan hat. Sicher ist, dass die Beschäftigung mit dem Nahen Osten für Armeniens Außenpolitik immer eine Priorität sein wird.  

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