Peter Stano: Wir hoffen, dass die Grenzziehung zügig voranschreitet
Baku und Eriwan verhandeln über ein Abkommen über die territoriale Abgrenzung, und die Verhandlungen finden hauptsächlich in einem bilateralen Rahmen unter vier Augen statt. Wie schon in der Vergangenheit ist der Prozess turbulent. Die Räumung von Dörfern in Lori und Tawusch in Armenien hat eine erhebliche politische Gegenreaktion ausgelöst. Die Frage, wie und unter welchen Bedingungen Aserbaidschan Zugang zu seiner Exklave in Nachitschewan erhält, bleibt ein heikles Thema, von dem einige befürchten, dass es zu einem neuen Patt führen könnte. Um den Druck zu verringern, hat die EU versucht, eine vermittelnde Rolle zu spielen.
Eine aktive EU-Beobachtermission patrouilliert im Süden Armeniens. Im Falle eines Friedensabkommens hat Brüssel angeboten, in die regionale Infrastruktur zu investieren, um die vermeintliche "Friedensdividende" zu erhöhen. Die Ausweitung des Zugangs zum Binnenmarkt und sogar die Freizügigkeit bleiben auf dem Tisch. Caucasus Watch erkundigte sich beim Sprecher der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Peter Stano, nach dem aktuellen Stand des Engagements der EU in der Region.
Ist die EU bereit, in die armenische Initiative "Kreuzungen des Friedens" zu investieren? Welchen Umfang und welche Bedingungen hätte eine solche Unterstützung?
Der Abschluss eines Friedensabkommens zwischen Armenien und Aserbaidschan und die Öffnung der armenischen Grenzen zur Türkei und zu Aserbaidschan sind von entscheidender Bedeutung, um das volle wirtschaftliche Potenzial der Region zu erschließen und den Menschen auf allen Seiten konkrete Vorteile aus der Versöhnung zu bringen.
In diesem Zusammenhang begrüßt die EU jede Initiative zur Verbesserung der Konnektivität, des Handels und der Sicherheit in der Region, einschließlich der Initiative "Kreuzungen des Freidens". Wir sind bereit, nach Abschluss eines Friedensvertrags Friedensdividenden zu liefern, insbesondere durch die Unterstützung vertrauensbildender Maßnahmen und Investitionen in grenzüberschreitende Konnektivitätsprojekte, wie in der Initiative dargelegt wurde.
Was war der wichtigste Beitrag der EU-Mission in Armenien, soweit man das beurteilen kann?
Die Mission konnte regelmäßig entlang der armenischen Grenze patrouillieren und während der Sicherheitspatrouillen mit den vom Konflikt betroffenen Gemeinschaften in Kontakt treten. Durch ihre regelmäßige Präsenz und Berichterstattung hat die Mission dazu beigetragen, dass sich die Bevölkerung, insbesondere die Bewohner der Grenzgebiete, insgesamt sicherer fühlt. Dies ist das Feedback von Anwohnern, mit denen die EUM Armenia täglich in Kontakt steht. Wir konnten auch feststellen, dass die Zahl der Zwischenfälle in den Grenzregionen zurückgegangen ist.
Die Anwesenheit der EU-Beobachtungsexperten in den Grenzregionen Armeniens ermöglicht es der EU, direkt mit der vom Konflikt betroffenen Bevölkerung auf der armenischen Seite der international anerkannten Grenze in Kontakt zu treten und deren Sicherheitslage und Bedürfnisse besser zu verstehen. Diese Informationen und die Beobachtungen, die bei den täglichen Patrouillen gesammelt werden, sind wertvolle Elemente für die Entscheidungsfindung der EU und für ihren Beitrag zum Frieden in der Region und in Armenien.
Im letzten Jahr haben Eriwan und Baku sich entschlossen von international moderierten Gesprächen Abstand zu nehmen und sich auf ausschließlich bilaterale Verhandlungen zu konzentrieren. Gibt es Anzeichen dafür, dass sich Brüssel wieder in den laufenden Prozess einschalten könnte?
Seit dem 44-Tage-Krieg hat sich die EU auf Wunsch beider Seiten intensiv als Vermittler im Friedens- und Normalisierungsprozess zwischen Armenien und Aserbaidschan engagiert, wobei der Präsident des Europäischen Rates und der EU-Sonderbeauftragte bekannte Bemühungen unternommen haben.
Die EU hat sich im Rahmen des 2021 eingeleiteten "Brüsseler Prozesses" auf höchster Ebene eng mit beiden Ländern auseinandergesetzt. Dieser Prozess umfasste insgesamt sechs trilaterale Gipfeltreffen zwischen Dezember 2021 und Juli 2023. Darüber hinaus fanden hochrangige Treffen mit Präsident Macron und Bundeskanzler Scholz im Oktober 2022 in Prag und im Juni 2023 in Chișinău statt. In den letzten Monaten hat sich das Engagement der Parteien auf bilateraler Ebene verstärkt.
Nichtsdestotrotz setzt die EU, insbesondere über ihren Sonderbeauftragten, ihre Bemühungen fort, die Normalisierung der Beziehungen zwischen Armenien und Aserbaidschan in Bezug auf den Entwurf eines bilateralen Friedensvertrags, Fragen der Konnektivität, die Grenzziehung/den Grenzverlauf und humanitäre Angelegenheiten weiter voranzutreiben.
Das Streben nach einem dauerhaften Frieden in der Region, der auf bekannten Grundsätzen wie der gegenseitigen Anerkennung der territorialen Integrität und der Achtung der international anerkannten Grenzen auf der Grundlage der Erklärung von Almaty aus dem Jahr 1991 beruht, bleibt für die EU eine Priorität. Wir erörtern diese Fragen auf bilateraler Ebene mit beiden Ländern, beispielsweise im Rahmen des Partnerschaftsausschusses EU-Armenien oder des politischen und sicherheitspolitischen Dialogs EU-Aserbaidschan, der im Juni 2024 stattfindet.
Zu den laufenden diplomatischen Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan gehört auch ein Prozess der Grenzdemarkation. Welche Bedeutung hat dieser diplomatische Präzedenzfall für Europa im weiteren Sinne?
Fortschritte bei der Grenzziehung und -demarkierung können dazu beitragen, den Weg für engere bilaterale Beziehungen und eine engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu ebnen. Sie können auch eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Sicherheit und Stabilität in der Region spielen. Der Südkaukasus ist eine wichtige Schnittstelle zwischen Europa und Asien; eine verbesserte Sicherheit und Stabilität in der Region wird daher auch für die Sicherheit in Europa und weltweit von Vorteil sein, auch im Hinblick auf die Energietransitrouten.
Eine Einigung über den Grenzverlauf und die Demarkation zwischen Armenien und Aserbaidschan, insbesondere wenn sie Teil eines umfassenderen Normalisierungsprozesses ist, wird dazu beitragen, dass andere wichtige Entwicklungen wie interne Reformen, verstärkter Handel, Infrastrukturentwicklung und zwischenmenschliche Kontakte in der Region in Gang kommen.
Die EU würdigt die gemeinsame Arbeit der stellvertretenden Ministerpräsidenten von Armenien und Aserbaidschan sowie ihrer Delegationen im Rahmen der Grenzkommissionen. Wir hoffen, dass der erste Abschnitt des Tawusch-Qazax-Teils der Staatsgrenze, der in den letzten Monaten abgegrenzt und demarkiert wurde, auf der Grundlage der Erklärung von Almaty von 1991 und anderer einschlägiger Dokumente zügig fortgesetzt wird.
Interview geführt von Ilya Roubanis