Unruhen in Inguschetien

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Tausende Bewohner Inguschetiens protestieren seit 4. Oktober in der Hauptstadt der Republik, Magas, gegen das Grenzabkommen ihres Landes mit Tschetschenien, welches durch eine geheime Abstimmung in der Volksversammlung Inguschetiens verabschiedet wurde. Viele Abgeordnete im regionalen Parlament behaupten jedoch, die Abstimmung sei grob gefälscht worden. Das Verfassungsgericht von Inguschetien erklärte das Abkommen für verfassungswidrig. Der Chef der nordkaukasischen Republik, Junus-Bek Jewkurow, der vor den Demonstranten erschien, wurde von ihnen ausgepfiffen und mit Flaschen beworfen.

Am 5. Oktober versammelten sich zahlreiche Demonstranten etwa in 100 Metern Entfernung von den Gebäuden der Regierung und der Nationalversammlung. Die Protestaktion wurde nicht genehmigt, allerdings schritt die Polizei trotz ihrer starken Präsenz bisher nicht ein. Der mobile Internetzugang ist seit dem Beginn der Proteste in der gesamten Republik gesperrt worden. Lokalen Medienberichten zufolge hätten an den Protesten zwischen 5000 und 10000 Menschen teilgenommen.

Der Republikchef Junus-Bek Jewkurow und sein tschetschenischer Amtskollege Ramsan Kadyrow hatten das Abkommen in der vergangenen Woche, am 26. September in Anwesenheit des Gesandten des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Nordkaukasus abgeschlossen. Es bestätigt im Wesentlichen eine alte Vereinbarung von 1993, der zufolge einige unbewohnte Landstücke im Rahmen der Grenzziehung ausgetauscht werden.

So solle dem Abkommen zufolge ein Teil des Inguschetien-Bezirks Sunzha an Tschetschenien übergeben werden. Das tschetschenische Oberhaupt, Ramsan Kadyrow, hatte zuvor erklärt, dass das umstrittene Gebiet Teil des tschetschenischen Galanchozh-Distrikts sei.

Die tschetschenischen Behörden beanspruchen seit mehreren Jahren Territorien in Ost-Inguschetien, trotz des tschetschenisch-inguschischen Abkommens von 1993, wonach der größte Teil des Sunzha-Distrikts zu Inguschetien gehört. Die tschetschenischen Gebietsansprüche, die sich auf sowjetische Karten aus den 1930er Jahren berufen, werden auch nach der Einigung über die bestehenden Grenzen im Jahr 2003 zwischen den damaligen Präsidenten von Inguschetien Murat Zyazikov und dem tschetschenischen Präsidenten Akhmat-Khadzhi Kadyrow (Vater des heutigen Republikchefs) weiterhin erhoben. 

Die Proteste der Inguscheten gegen das Grenzabkommen mit Tschetschenien könnten laut der Menschenrechtsaktivistin Svetlana Gannushkina und dem Historiker Michael Roschin sogar zu einem bewaffneten Konflikt zwischen den beiden Republiken eskalieren.

Die Vorsitzende der NGO „Zivile Unterstützung“, Svetlana Gannushkina, ist der Ansicht, dass die Ausschreitungen in Inguschetien sich zum dritten Tschetschenischen Krieg entwickeln könnten. Für die Spannungen macht sie den inguschetischen Republikchef verantwortlich, weil er die lokale Bevölkerung in den Entscheidungsfindungsprozess über das Abkommen mit Tscheteschnien nicht einbezogen habe.

Forscher am Institut für orientalische Studien der Russischen Akademie für Wissenschaften, Michael Roschin, betont, dass die Situation in Inguschetien schon immer empfindlich gewesen sei. Die tschetschenischen Behörden hätten immer wieder Gebietsansprüche gegenüber Inguschetien erhoben, und ein Krieg zwischen den beiden Republiken sei bislang nur dank der Einmischung der russischen Zentralmacht vermieden worden. Seiner Meinung nach bestehe in Inguschetien eine Protestbasis, was in Zukunft zu einer offenen militärischen Konfrontation zwischen Tschetschenien und Inguschetien führen könnte.

Die russische Journalistin, Margarita Lyange, die sich auf dem Gebiet der interethnischen Konflikte spezialisiert hat, glaubt hingegen, dass der Republikchef von Inguschetien die Lage wieder unter Kontrolle bringen werde. Ihrer Meinung nach habe sich die Situation zugespitzt, da die Behörden eine Entscheidung ohne jegliche Berücksichtigung der Position der Bevölkerung von Inguschetien getroffen hätten. „Das ist ein Fehler: Alles, was im Kaukasus mit Territorium zu tun hat, muss sorgfältig abgesprochen, durchgekaut und erst dann entschieden werden. Es ist natürlich klar, dass die Opposition diese Gelegenheit schnell genutzt hat“, sagte Lyange gegenüber dem Korrespondenten von „Caucasian Knot“.  

Derzeit führt die Regierung von Inguschetien einen Dialog unter anderem mit den islamischen Gemeinden der Republik, die bei der Organisation der Proteste eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Es sei vereinbart worden, dass keine Gewalt gegen die Demonstranten angewandt werden wird. Die derzeit als nicht genehmigt geltenden Proteste würden außerdem einen „legitimen Status“ erhalten, berichtet Interfax unter Berufung auf Ahmed Barachojew, der als hoch angesehener Geistlicher in Inguschetien gilt und zugleich in Opposition zur Regierung der Republik steht.

 

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