Neue Proteste in Armenien

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Am 1. Mai hat das armenische Parlament über die Kandidatur des neuen Premierministers abgestimmt. Abgesehen von der regierenden Republikanischen Partei Armeniens (RPA) um den zurückgetretenen Sargsjan, welche über die absolute Mehrheit im Parlament verfügt, haben alle vertretenen Fraktionen Nikol Paschinjan unterstützt. Paschinjan, der Anführer der Proteste, kandidiert für die Fraktion „Elk“ („Austritt“). Der „Volkskandidat“, wie Paschinjan derzeit in Armenien bezeichnet wird, scheiterte allerdings bei der Abstimmung aufgrund der fehlenden Unterstützung durch die RPA.

Wie die armenische Nachrichtenseite Azatutjun berichtet, konnte er 45 Stimmen einholen, während 55 Abgeordnete gegen seine Kandidatur abgestimmt hätten. Nur ein Mitglied der Regierungspartei, Felix Zolakjan, habe seine Stimme Nikol Paschinjan gegeben. Ein weiterer Abgeordneter der RPA, Grigor Awaljan, sei bei der Abstimmung ferngeblieben und habe bereits einen Antrag auf Niederlegung seines Mandats gestellt. Nikol Paschinjan habe der Regierungspartei „antistaatliche Rhetorik“ vorgeworfen und erklärt, dass die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen, die Protestbewegung sei „bestimmten geopolitischen Vektoren“ unterordnet, der nationalen Sicherheit Armeniens zuwiderliefen und Beziehungen zu befreundeten Ländern gefährdeten.

Daraufhin habe Paschinjan seine Anhänger zu massenhaften Streiks und zivilem Ungehorsam aufgerufen: „Ab 08:15 Uhr morgens muss ein Generalstreik beginnen, die Straßen, die U-Bahn, der Flughafen, die Autobahnen und Landstraßen müssen gesperrt werden – es muss alles gesperrt werden, was sich sperren lässt“, so der 42-jährige Politiker. Die Aktionen sollen laut Paschinjan allerdings friedlich bleiben, und die Polizei solle sich den Protesten anschließen, sagte er laut einer Meldung von Azatutjun. Am 2. Mai folgten die Demonstranten dem Aufruf von Paschinjan: so wurde die Eisenbahnstrecke Eriwan-Gjumri blockiert; die Mitarbeiter der Verwaltung der Region Tawusch sowie die Mitarbeiter der Stadtverwaltung von Idschewan hätten angefangen, zu streiken. Dem Massenstreik schlossen sich auch die Mitarbeiter der U-Bahn in Eriwan an, berichtet News.am unter Berufung auf das öffentliche armenische Fernsehen. Das Transportministerium habe erklärt, dass der Passagier- und Lastverkehr in Armenien in vielen Richtungen nicht mehr funktioniere, und aufgrund von „unüberwindbaren Hindernissen“ viele Menschen den Flughafen in Eriwan nicht erreichten oder ihre Flüge verpasst hätten (News.am). Das Ministerium rief die Demonstranten auf, von „künstlichen Störungen“ des Verkehrs abzusehen. Inzwischen bat Paschinjan seine Anhänger, die Verkehrsrouten zum Flughafen zu entsperren, wie die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti schreibt.

Das Verteidigungsministerium Armeniens habe laut News.am gefordert, Militärtransporte nicht zu behindern. Das Komitee für staatliche Einnahmen habe laut Aysor.am davor gewarnt, dass die Sperrung von Transportwegen die Gewährleistung der Nahrungssicherheit gefährde. Wie die russische Tass berichtet, seien die Autobahnverbindungen nach Georgien und in den Iran durch Demonstranten blockiert. In den Städten Gjumri und Maralik hätten laut Tass die Protestler die jeweiligen Stadtverwaltungen gestürmt und die Bürgermeister dazu aufgefordert, sich den Protesten anzuschließen. Am Abend des 2. Mais soll in der armenischen Hauptstadt eine Massenkundgebung am Platz der Republik stattfinden, wo Paschinjan vor seinen Anhängern reden wird.  

Die Europäische Union gab inzwischen ein Statement ab, in dem alle Beteiligten aufgefordert werden, einen umfassenden Dialog zur Regierungsbildung entsprechend der Verfassung und im Interesse des armenischen Volkes zu beginnen. Die offizielle Position Russlands zu den jüngsten Entwicklungen wurde bisher nicht erläutert. Der russische Ultranationalist Wladimir Schirinowski, der die im Parlament vertretene rechtspopulistische „Liberal-Demokratische Partei Russlands“ anführt und als regierungsnah gilt, bezeichnete in seinem Telegram-Kanal (@zhirinovskylive) die Geschehnisse in Armenien als „Staatsumsturz“.  

Der kommissarische Premierminister Armeniens, Armen Karapetjan, hat laut Aysor.am alle politischen Kräfte im Lande aufgefordert, politischen Willen zu zeigen und Verhandlungen zu starten. Ein Premierminister könne nur im Rahmen der Verfassung und durch das Parlament gewählt werden. Eine andere Lösung gebe es nicht, so Karapetjan. Der armenische Parlamentspräsident Bablojan kündigte auf der offiziellen Seite des armenischen Parlaments an, dass die nächste Abstimmung über die Wahlen des Premierministers am 8. Mai stattfinden werde.

Nach den heftigen Protesten am 2. Mai verkündete der Fraktionsvorsitzende der Republikanischen Partei Armeniens (RPA), Wahram Bagdasarjan, dass seine Fraktion bei der nächsten Abstimmung um den Premierminister am 8. Mai keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken werde (Azatutjun). Die RPA werde denjenigen Kandidaten unterstützen, der von einem Drittel des Parlaments unterstützt würde.

 

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