Angela Merkels Energiediplomatie in Aserbaidschan
Am 25. August wird Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen ihrer Südkaukasus-Reise Aserbaidschan besuchen. Die an Öl- und Gasvorräten reiche Kaukasusrepublik hat ca. 10 Mio. Einwohner und ist ungefähr so groß wie Österreich. In Aserbaidschan war Merkel bisher noch nie, daher schreiben die aserbaidschanischen Medien oft über einen „historischen Besuch“ der deutschen Bundeskanzlerin. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew war zuletzt 2016 zu einem Arbeitsbesuch in Berlin, wo er sich mit Angela Merkel traf und das deutsch-aserbaidschanische Wirtschaftsforum eröffnete.
Wirtschaftszahlen
Im Jahr 2017 entfiel auf Aserbaidschan 66% des gesamten Handelsvolumens zwischen Deutschland und dem Südkaukasus (Armenien, Georgien, Aserbaidschan). Das Land exportierte 2017 Waren im Wert von 1 Mrd. Euro in die Bundesrepublik und wurde somit zum achtgrößten Erdöllieferanten Deutschlands. Im Gegenzug importierte Aserbaidschan im letzten Jahr Waren aus Deutschland im Gesamtwert von 352 Mio. Euro – vor allem die traditionellen deutschen Exportschläger: Maschinen, Kraftfahrzeuge und Kfz-Teile, chemische Erzeugnisse und elektrische Geräte.
In Aserbaidschan sind mehr als 200 deutsche Unternehmen tätig. Die engsten wirtschaftlichen und politischen Beziehungen in Europa pflegt das Kaukasusland jedoch traditionell zu Großbritannien. Investitionen der britischen Unternehmen in die aserbaidschanische Wirtschaft betragen mehr als 27 Mrd. USD. Zum Vergleich lagen die deutschen Direktinvestitionen in Aserbaidschan zwischen 1993 und 2017 bei insgesamt 739 Mio. Euro.
Kooperation im Energiebereich
Doch der deutsch-aserbaidschanische Handel alleine dürfte kaum im Mittelpunkt des Besuchs der Kanzlerin in Baku stehen – dafür wäre der aserbaidschanische Markt schließlich zu klein. Von viel größerer Bedeutung sind die geplanten Gaslieferungen vom größten aserbaidschanischen Gasfeld „Schah-Denis“ (Gasvorrat wird auf 1,2 Billionen Kubikmeter geschätzt) nach Europa. Wie die britische „Financial Times“ unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten hochrangigen deutschen Diplomaten berichtete, werde Merkel in Baku Möglichkeiten ausloten, höhere Lieferungen vom Erdgas aus der kaspischen Region für Europa zu sichern. Das will die Bundesregierung unter anderem mithilfe einer Garantie in Milliardenhöhe ermöglichen.
Geplant ist eine Bundesgarantie für einen Kredit einer deutschen Bank über 1,5 Milliarden US-Dollar (1,2 Mrd. Euro) an das aserbaidschanische Staatsunternehmen CJSC. Der deutsche Energieversorger E.on hatte sich bereits vor Jahren durch einen Vertrag umfangreiche Gaslieferungen aus dem rohstoffreichen Land am Kaspischen Meer gesichert. Demnach soll die E.on-Abspaltung Uniper von 2020 bis 2044 jedes Jahr 1,45 Milliarden Kubikmeter Gas über den sogenannten Südlichen Gaskorridor erhalten.
Die dafür notwendige Infrastruktur wurde in den letzten Jahren intensiv ausgebaut. Gemeinsam mit der Türkei baute Aserbaidschan die Transanatolische Pipeline (TANAP), die durch das türkische Territorium bis an die griechische Grenze verläuft. Sobald die Transadriatische Pipeline (TAP) in Betrieb genommen wird, soll nach der Planung des Schah-Denis-Konsortiums Erdgas aus Aserbaidschan nach Europa verkauft werden. Laut Margaratis Schinas, dem Pressesprecher der EU-Kommission, rechnet die EU damit, ab 2019-2020 durch die TAP jährlich ca. 10 Mrd. Kubikmeter Gas aus Aserbaidschan zu bekommen. In den nächsten Phasen des Projekts könnten die Kapazitäten der Pipeline deutlich ausgebaut werden. Das 4,5 Mrd. Euro teure Projekt ist ein Teil des Südlichen Gaskorridors und wurde kürzlich ausdrücklich vom US-Präsidenten Donald Trump unterstützt.
Zugang zu den kaspischen Gasreserven
Auch die jüngsten Entwicklungen in Bezug auf den rechtlichen Status des Kaspischen Meers sind im Sinne der europäischen Energiepolitik von wesentlicher Bedeutung. Denn die in der kasachischen Küstenstadt Aktau von den fünf kaspischen Anrainerstaaten (Russland, Aserbaidschan, Iran, Turkmenistan und Kasachstan) unterzeichnete Konvention zum rechtlichen Status des Kaspischen Meers macht den Bau der Transkaspischen Pipeline möglich, durch die größere Mengen Erdgas aus Turkmenistan (jährlich bis zu 30 Mrd. Kubikmeter) nach Aserbaidschan geliefert werden könnten. Von Aserbaidschan aus könnte turkmenisches Gas durch die Pipelines TANAP und TAP zum europäischen Markt gebracht werden. Angesichts der erwarteten US-Sanktionen, die sich gegen das russische Projekt „Nordstream 2“ richten werden, gewinnt die Transkaspische Pipeline als alternative Route an Bedeutung. Bisher wurde das Projekt stets von Russland und dem Iran blockiert. Mit der Unterzeichnung der Konvention dürfen Turkmenistan und Aserbaidschan alleine über den Bau der Pipeline entscheiden, denn diese verläuft schließlich durch ihr Territorium. Allerdings verfügt der Kreml immer noch über den Spielraum, das Projekt wegen eventueller ökologischer Konsequenzen, die dann wohl alle Anrainerstaaten betreffen würden, zu verzögern.
Europäische Integration
Anders als das Nachbarland Georgien ist Aserbaidschan in seiner Politik gegenüber der EU eher zurückhaltend und setzt den Fokus bei der Kooperation auf Wirtschaft und Energie. Eine EU- oder NATO-Mitgliedschaft wird von Baku nicht angestrebt, obgleich das Land an der „Östlichen Partnerschaft“ der EU teilnimmt und die NATO-Mission in Afghanistan sowohl logistisch als auch militärisch unterstützt. 2011 trat Aserbaidschan der Bewegung der Blockfreien Staaten bei, um seinen neutralen geopolitischen Status zu bekräftigen. Am 11. Juli 2018 legten Aserbaidschan und die EU Prioritäten ihrer Partnerschaft fest. Diese sind Stärkung der Institutionen und gute Regierungsführung; Wirtschaftliche Entwicklung und Marktchancen; Konnektivität, Energieeffizienz, Umwelt- und Klimaschutz; Mobilität und persönliche Kontakte.
Deutschland hat mit seiner entwicklungspolitischen Zusammenarbeit seit Aserbaidschans Wiedererwerb der Unabhängigkeit über 600 Mio. Euro zu dem Aufbau des Landes beigetragen. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt die GIZ Aserbaidschan seit 1995 beim Transformationsprozess hin zu mehr Marktwirtschaft. Das Interesse an der deutschen Sprache ist unverändert hoch. Deutsch ist nach Englisch und Russisch die wichtigste Fremdsprache. Nach Angaben des Bildungsministeriums gibt es knapp 26.000 Deutschlernende an rund 200 Schulen.
Für viele Aserbaidschaner ist Deutschland heute ein attraktiver Arbeitsmarkt, vor allem für die hochqualifizierten Fachkräfte. So sind derzeit beispielsweise mehr als 600 aserbaidschanische Ärzte in den deutschen Kliniken beschäftigt. Außerdem entscheiden sich immer mehr Studenten aus Aserbaidschan für das Studium in Deutschland: Im Wintersemester 2016/2017 studierten an den deutschen Hochschulen über 800 junge Aserbaidschaner, während es in den 90-er Jahren nur einige Dutzende waren. Der DAAD und das Goethe-Institut betreiben ihre Büros in Baku. Die Tätigkeit der deutschen politischen Stiftungen in Aserbaidschan wurde hingegen vor mehreren Jahren eingestellt, was zu Unzufriedenheit auf deutscher Seite sorgt. Bei den Verhandlungen mit der politischen Führung Aserbaidschans spricht die Bundesregierung außerdem regelmäßig die Menschenrechtsdefizite in der Kaukasusrepublik an. Insbesondere richtete sich die Kritik auf die Inhaftierung des Vorsitzenden der Oppositionspartei „ReAl“ („Republikanische Alternative“), Ilgar Mammadov. Nach fünf Jahren Haft wurde Mammadov am 13. August 2018, also kurz vor dem Besuch der Bundeskanzlerin, gegen Auflagen freigelassen.
Bergkarabach-Konflikt als Sicherheitsrisiko
Die größte sicherheitspolitische Herausforderung für das Land ist der Bergkarabach-Konflikt mit dem Nachbarstaat Armenien und das damit verbundene Problem der ca. 1 Mio. Flüchtlinge und Binnenvertriebenen im Land. Bergkarabach und die umliegenden sieben Gebiete, die insgesamt ein Fünftel des aserbaidschanischen Landesgebietes ausmachen, gehören völkerrechtlich zu Aserbaidschan, werden aber seit dem Krieg mit Armenien in den 90-er Jahren von armenischen Truppen besetzt. Die Minsker Gruppe der OSZE, der auch Deutschland angehört, vermittelt unter dem Vorsitz Russlands, Frankreichs und der USA seit 1994 bei der Suche nach einer diplomatischen Lösung, ein Erfolg steht aus. Nach der „samtenen Revolution“ in Armenien im Frühling 2018 fanden keine Verhandlungen mehr auf höchster Ebene statt.
Eine mögliche Gewalteskalation im Bergkarabach würde unvorhersehbare Folgen haben und birgt von daher potentielle Gefahren für die westlichen Energieinteressen in der Region. Ein neuer Krieg könnte außerdem einen Anstieg der Migration nach Europa aus der gesamten Region verursachen. In diesem Sinne dürfte es im deutschen Interesse sein, sich gemeinsam mit Frankreich für eine friedliche Lösung des Konflikts verstärkt einzusetzen. Merkels Kaukasus-Reise bietet dafür eine gute Gelegenheit: Ein Tag vor ihrer Ankunft in Baku wird die Bundeskanzlerin den armenischen Premierminister, Nikol Paschinjan, in der armenischen Hauptstadt Jerewan treffen.