Abhörskandal befeuert den innenpolitischen Streit in Armenien

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Der Abhörskandal, an dem zwei wichtige Sicherheitsbeamten des Landes beteiligt sind, ist derzeit das Thema Nummer 1 in Armenien. Mitschnitte von einem abgehörten Telefonat des Chefs des Nationalen Sicherheitsdienstes Armeniens, Artur Wanetsjan, mit dem Leiter des Sonderermittlungskomitees, Sasun Chatschatrjan, wurden am 11. September auf der Internetplattform YouTube veröffentlicht. Aus der Audioaufnahme, deren Echtheit auch von den betroffenen Beamten bestätigt wurde, geht hervor, dass der zuständige Richter klare Anweisungen von dem Leiter des Sonderermittlungskomitees erhalten hatte, den Ex-Präsidenten Robert Kotscharjan zu verhaften. „Ob du das willst oder nicht, musst du dafür sorgen, dass er verhaftet wird“, soll Chatschatrjan dem Richter gesagt haben. Als das Gespräch im Mitschnitt auf den OVKS-Generalsekretär Jurij Chatschaturow kam, warnte Wanetsjan seinen Gesprächspartner vor einer negativen Reaktion Russlands („Sei im Fall von Chatschaturow sehr sorgfältig... Obgleich der Premierminister sagt, ihn zu verhaften, die Russen rasten doch aus...“).

Die betroffenen Sicherheitsbeamten, Chatschatrjan und Wanetsjan, werden nicht zurücktreten, es sei denn, dass der Premierminister oder die Öffentlichkeit sich anders entscheiden würden. Nikol Paschinjan bezeichnete die Veröffentlichung der Mitschnitte als „Verbrechen gegen armenische Staatsinteressen“ und ordnete an, die „Organisatoren dieses Verrats“ aufzuspüren und mit aller Härte des Gesetzes zu bestrafen. Dabei wies er auf Robert Kotscharjan, Sersch Sargsjan, Ovik Abramjan und weitere Vertreter der alten Eliten hin, die durch „Abhöraktivitäten und andere Maßnahmen“ den Kampf gegen Korruption behindern möchten.

Seine angeblichen Äußerungen zugunsten der Verhaftung des OVKS-Generalsekretär, die im veröffentlichten Mitschnitt erwähnt werden, erklärte Paschinjan damit, dass alle Ermittlungen nach den Buchstaben des Gesetzes geführt werden müssten, und es keine „Unberührbaren“ in Armenien mehr gebe.

Außerdem hat der Regierungschef erklärt, er übernehme ab jetzt die „Verantwortung für alle politisch brisanten Verhaftungen“.

Der Ex-Präsident, Robert Kotscharjan, reagierte umgehend auf den Skandal. Er sagte, dass die ins Internet gestellten Mitschnitte die Druckausübung auf das Gericht durch die Regierung belegen würden. „Unsere Statements, dass es sich um eine politische Verfolgung handelt, die nichts mit den Ereignissen vom 1. März 2008 zu tun hat, haben sich nun bestätigt“. Was den Ex-Präsidenten allerdings am meisten überrascht habe, sei das Statement des Regierungschefs darüber, dass er nun die „Verantwortung für alle Verhaftungen, die politische Relevanz haben“, übernimmt. Denn das dürfe Paschinjan gemäß der Verfassung nicht, und somit verstoße der Regierungschef gegen die Verfassung und eine Reihe von Gesetzen, behauptet Kotscharjan.

Die Vertreter der ehemaligen regierenden Republikanischen Partei Armeniens, die nach der „samtenen Revolution“ in der Opposition zu Paschinjans Regierung ist, sprechen bereits vom „politischen Terror“ und „Repressalien“. Die RPA-Abgeordnete Arpine Owannisjan, welche die armenische Delegation in der PACE leitet, initiierte wegen der jüngsten Ereignisse eine Dringlichkeitssitzung im Ausschuss des Europarats für politische Angelegenheiten und Demokratie. Dabei wurde der Inhalt der Audiomitschnitte sowie zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen den zweiten armenischen Präsidenten, Robert Kotscharjan, und weiteren ehemaligen Beamten besprochen. 

 

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