Armenien braucht eine echte Opposition

| Nachricht, Politik, Armenien

Anna Vardanyan für Caucasus Watch, 22. Oktober

Es lässt sich bereits jetzt feststellen, dass der Machtwechsel, der im Mai in Armenien begann, in ungefähr zwei Monaten sein logisches und unvermeidliches Ende finden wird. Von diesem Moment an wird das wichtigste Thema auf der innenpolitischen Agenda sein: Wer ist die Opposition? Dieses Thema wurde bereits seit Monaten mit steigender Intensität kontinuierlich diskutiert, insbesondere während der Wahlen in Jerewan, als deutlich wurde, dass das Team von Paschinjan eine sehr hohe öffentliche Zustimmung hatte und seit diesem Zeitpunkt keine andere Kraft mehr auf lange Sicht realistisch Hoffnungen hegte, ein ernstzunehmender Konkurrent zu werden.

Unter Politikern und Politikwissenschaftlern werden regelmäßig öffentliche Appelle und Bedenken über den Beginn der autokratischen Herrschaft geäußert.

Der Sprecher der Republikanischen Partei Eduard Scharmasanow sagte: „In welche Richtung gehen wir? Zu einer Diktatur oder zu einem Nikol-Paschinjan-Kult?“.

Der ehemalige Abgeordnete Hovhannes Igityan, der sich zum Rücktritt von Ministerpräsident Nikol Pashinyan und der politischen Situation im Land äußerte, ist zuversichtlich und sagt, dass es keine Garantie dafür gäbe, dass eine echte Opposition im armenischen Parlament auftreten wird, selbst wenn man die Verfassung in Betracht zieht, welche vorsieht, dass die Nationalversammlung aus dreißig Prozent Vertretern der Opposition bestehen muss. Der Grund dafür sei, dass der politische Boden in Armenien noch nicht etabliert ist.

Am 18. Oktober gab der zweite Präsident Armeniens, Robert Kotscharjan, der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti ein Interview, in dem er seine Absicht bekannt gab, eine Oppositionspartei zu gründen. „Ich sehe heute auf der Seite der Opposition ein ernsthaftes Vakuum, und ich denke, es muss im Interesse des Landes ausgefüllt werden“. „Die schlechte Nachricht ist, dass wir ein einseitiges Parlament haben werden. Die heutigen Umfragen zeigen, dass sich das Land einem politischen Monopol annähert. Und das ist es, wogegen sich die „samtene“ Revolution in Armenien tatsächlich richtete „, - sagte der zweite Präsident von Armenien.

Der Vize-Sprecher der Nationalversammlung, Eduard Scharmasanow (Republikanische Partei Armeniens - RPA), glaubt, dass das Land eine echte Opposition braucht. In einem Interview mit 168.am sagte er: „Meiner Meinung nach sollte die RPA an den Wahlen teilnehmen, weil dieses politische System eine echte Opposition braucht. Wer ist heute die Opposition? Luys-Bündnis, der Tsarukyan-Block oder Sasna Tsrer, die die heutigen Autoritäten loben, ohne einander gegenseitig Beachtung zu schenken?“ Laut Scharmasanow bestand das Problem der vorherigen Behörden auch darin, dass sie während ihrer Herrschaft keine starke und ernsthafte Opposition hatten. „Wenn wir eine starke Opposition gehabt hätten, und nicht eine, die aus vier Leuten besteht, wie Paschinjan sagt, wären in Armenien wahrscheinlich keine Straßenkämpfe entfacht worden“.

In der Zwischenzeit klingen die Aussagen seitens der neuen Regierungsmannschaft im Bezug auf die Opposition zunehmend mild.

Bei der Regierungssitzung am 16. Oktober verkündete der Ministerpräsident Paschinjan, dass die Zeit gekommen sei, die Barrikaden zu demontieren. Damit rechtfertigte er seine Entscheidung, den ehemaligen stellvertretenden Polizeichef Hunan Poghosyan (einen der ehemaligen Elitenvertreter) zum Gouverneur von Syunik, eine der wichtigsten Regionen von Armenien, zu ernennen. Dies rief eine äußerst negative Reaktion in der Öffentlichkeit hervor. Am 17. Oktober schloss der erste Stellvertretende Ministerpräsident der Republik Armenien, Ararat Mirzoyan, die Möglichkeit nicht aus, dass Menschen von der anderen Seite der „Barrikaden“ auf der Vorwahlliste der Parlamentswahlen stehen könnten.

Einige politische Analysten glauben, dass eine Opposition von dem regierenden Flügel des neu gewählten Parlaments der Republik Armenien gebildet werden kann. „Ich denke, dass wir innerhalb der Allianz „Mein Schritt“ ganz unterschiedliche Ansätze und hitzige Diskussionen haben, und „Mein Schritt“ wird im Laufe der Zeit ein entscheidendes Werkzeug für die zukünftige Entwicklung der armenischen Politik werden“, sagt Politologe Mikayel Zolyan.

Am 19. Oktober wurde die Erklärung der Venedig Kommission herausgegeben, in der ihr Präsident Gianni Buquicchio auf die Änderungen des Wahlgesetzes der Republik Armenien Bezug nahm und Unterstützung für eine Reihe positiver Tendenzen aussprach. Dennoch erinnerte er an die Vorbehalte der Venedig-Kommission im Bezug auf größere Änderungen im Wahlsystem, wie die Abschaffung der Bezirkslisten ein Jahr vor den Wahlen. Der Vorsitzende der Kommission stellte jedoch auch fest, dass diese Vorbehalte weniger relevant sind, wenn sich die politischen Kräfte über die Änderung einig sind.

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