Armenien-Türkei: Keine Normalisierung der Beziehungen in Sicht

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Der armenische Präsident Sersch Sargsjan hat am 1. März bei der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats die armenisch-türkischen Protokolle zur Normalisierung der Beziehungen ungültig erklärt, wie die armenische Nachrichtenseite Panorama berichtet. Die Protokolle gehen auf die Annäherung beider Länder im Laufe der sogenannten „Fußballdiplomatie“ im Jahr 2009 zurück, als es zu gegenseitigen Besuchen des damaligen türkischen Präsidenten Abdullah Gül und seines armenischen Amtskollegen Sargsjan gekommen war. Beide wohnten im jeweiligen Gastland einem Fußballspiel bei; ein Ende der eisigen Beziehungen schien greifbar.

Der armenische Präsident hatte noch am 19. September 2017 von der Tribüne der Generalversammlung der UN erklärt, dass Armenien den Frühling 2018 ohne Protokolle starten werde, wenn es bis dahin keine positive Entwicklung bei der Umsetzung der Protokolle geben werde. Der Nationale Sicherheitsrat Armeniens hat nun einstimmig die Annullierung der am 10. Oktober 2009 in Zürich unterzeichneten Protokolle “über Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Armenien und der Türkischen Republik” sowie “über Entwicklung der Beziehungen zwischen der Republik Armenien und der Türkischen Republik” beschlossen. Laut Sargsjan hat Ankara in den letzten neun Jahren nicht nur unbegründete Vorbedingungen aufgestellt, sondern auch keine Zweifel mehr daran gelassen, dass es nicht gewillt sei, den Prozess der Normalisierung der Beziehungen mit Armenien zu realisieren.

Dabei schließt Sersch Sargsjan laut Eurasia Daily jedoch nicht aus, dass Armenien in Zukunft offen für eventuelle Vorschläge seitens der Türkei sein werde. Armenien werde bereit sein, über diese zu diskutieren. “Bis dahin werden wir versuchen, uns zu entwickeln, wie wir es bisher getan haben - ohne diplomatische Beziehungen mit der Türkei zu haben”, so der armenische Präsident.

Auf dem Weg zur Normalisierung der türkisch-armenischen Beziehungen gilt es für beide Länder, viele Hürden zu überwinden. Neben der offiziellen türkischen Weigerung, die Ereignisse von 1915 als Genozid zu bezeichnen, ist ein Faktor der ungelöste Status des Bergkarabachkonfliktes zwischen Armenien und Aserbaidschan. Der damalige türkische Premierminister und heutige Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, hatte mehrfach erklärt, dass die Türkei die Grenze zu Armenien nicht öffnen werde, solange die Okkupation der aserbaidschanischen Gebiete fortbesteht, wie aserbaidschanische Nachrichtenseiten hervorheben. “Der Grund, warum wir 1993 die Grenze geschlossen hatten, war die Okkupation aserbaidschanischer Territorien. Solange dieser Grund weiter besteht, wird es keine Grenzöffnung geben”, sagte Erdogan in einem Interview für den türkischen Fernsehsender ATV 2010.   

Die Vorbedingungen von Ankara, die es genutzt hatte, um Druck auf Jerewan auszuüben, hatten zwei Vektoren. Zum einen ging es um den Verzicht auf die armenische Forderung an die internationale Gemeinschaft, die Ereignisse 1915 im Osmanischen Reich als Völkermord zu bezeichnen. Zum anderen ging es unmittelbar um das Bergkarabachproblem zwischen Armenien und Aserbaidschan,  wie Arman Vaneskjegjan vom armenischen Dienst des russischen Mediums Sputnik schreibt. Aserbaidschan habe auf Ankara enormen Druck wegen der Zürcher Protokolle ausgeübt. Der Journalist geht jedoch davon aus, dass die Annullierung der Protokolle Armenien nutzen werde, da seine Hände in den regionalen Prozessen nicht mehr gebunden seien.

Der Westen habe das Projekt “Zürcher Protokolle” in der Annahme initiiert, dass es keine politischen Vorbedingungen von keiner der beiden Parteien geben müsse, so Vaneskjegjan. Man sei davon ausgegangen, dass Armenien dieses Projekt auf nicht mit der Frage der Völkermordanerkennung verknüpfen werde, während die Türkei pragmatisch genug sein werde zu verstehen, wie eng die in Zürich unterzeichneten Dokumente mit ihrer Perspektive auf einen EU-Beitritt zusammenhiengen. Somit sei der Westen fast dabei gewesen, eine Tür in die von Russland dominierte Region Südkaukasus zu öffnen, ohne dabei große Risiken eingehen zu müssen.

Der armenische Politikwissenschaftler Sergej Schakarjan ist in einem anderen Beitrag von Sputnik der Auffassung, dass die armenischen Politiker viel zu naiv gewesen seien, als sie mit der Türkei verhandelt hatten. “Es war zu erwarten, dass gegen die Ratifizierung der in Zürich unterzeichneten Protokolle die Türkei von Armenien die Freigabe der okkupierten aserbaidschanischen Gebiete fordern würde“, so der Politologe. “Wie naiv muss man denn sein, um zu glauben, dass Ankara der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen und Grenzöffnung mit Armenien zustimmen würde, ohne dies mit dem Bergkarabachproblem zu verbinden?”.

Der armenische Politikwissenschaftler Alexander Iskandarjan sagte im Interview für “”Newsarmenia”, dass mit der Annullierung der Protokolle noch vor Ablauf der Amtszeit von Präsident Sersch Sargsjan, also vor Anfang April 2018, zu rechnen gewesen sei. Das Format der Protokolle existiere in der Realität längst nicht mehr, so Iskandarjan.

 

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