Das Projekt der Übergangsjustiz startet in Armenien

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Am 24. Mai hat die parlamentarische Debatte über die Übergangsjustiz in Armenien begonnen.

Der Präsident der Nationalversammlung, Ararat Mirsojan, eröffnete die parlamentarische Diskussion. In seiner Rede wies er darauf hin, dass es unabdingbar ist zu verstehen, warum das derzeitige Justizsystem des Landes die Forderungen der Bevölkerung nach fairen Gerichtsverfahren nicht erfüllen kann und warum eine Übergangsjustiz angewendet werden sollte. Das Ziel der Übergangsjustiz besteht nach seinen Worten darin, die Bildung einer unabhängigen Justiz zu unterstützen. Er warnte auch, dass das Ziel nicht darin bestehe, die bestehenden Probleme zu verschärfen, sondern den Versöhnungsprozess zu unterstützen. „Die Ziele werden nicht erreicht, wenn wir tiefer ins Meer sinken als nötig. Armenien ist ein Land des Rechtes und das Öffnen der Büchse von Pandora ist unzulässig. Übergangsjustiz bedeutet nicht, dass wir Notstandsgerichte einberufen. Die Übergangsjustiz sollte - mit legislativen Mitteln - bei der „Säuberung“ und dem Aufbau eines funktionierenden Justizsystems behilflich sein.

Karen Sadojan, Vorsitzender der armenischen Anwaltskammer, teilte ebenfalls seine Ansichten zur Übergangsjustiz mit. Insbesondere erklärte er, dass die Überprüfung von Richtern nicht systematisch sei und im Vergleich zur Lustration, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Verletzung der Menschenrechte angesehen werde, eine bessere Lösung darstellen würde. Er glaubt nicht, dass die Überprüfung von Richtern für Armenien demütigend wäre, und meint: „Im Gegenteil, das armenische Justizrecht enthält Bestimmungen, nach denen die Richter alle fünf Jahre einer Beurteilung unterzogen werden müssen. Darüber hinaus gibt es den Richtern die Möglichkeit, sich jedes Jahr zu bewerben und bewertet zu werden. Dies bedeutet für einen Richter, dass er nach der Überprüfung selbstbewusster und stärker ist. Durch die Überprüfung wird die Möglichkeit geboten, das gute Image des Richters unter den Bürgern am Leben zu erhalten.”

Aram Manukjan, ein Mitglied der politischen Partei des armenischen Nationalkongresses, forderte sofortige Maßnahmen gegen Dutzende von Richtern und Staatsanwälten. Manukjan wandte sich an den Leiter des Sonderermittlungsdienstes, Sasun Khachatryan, und erklärte sich bereit, die Listen der Richter und Staatsanwälte vorzulegen, die so bald wie möglich strafrechtlich verfolgt werden sollten.

Ruben Carranza, der Direktor des Reparative Justice-Programms am Internationalen Zentrum für Übergangsjustiz (ICTJ), hatte auch die Gelegenheit, seine Ansichten zur parlamentarischen Debatte mitzuteilen. Er sagte, die Idee des ICTJ sei es, dem Land zu helfen, zumindest aus der Hölle zu fliehen, wenn es auch nicht in der Lage ist, es ins Paradies zu bringen. Er verwies auch auf die besten Vorbilder unter verschiedenen Ländern bei der Säuberung der Justiz, wobei er feststellte, dass das für Armenien am besten zu empfehlende Modell „aus Sicht des Europarates die Präzedenzfälle der regionalen Nachbarn“ seien.

„Die gerichtlichen Institutionen in Armenien setzen sich größtenteils aus den gleichen Richtern und Ermittlern zusammen, die den Missbrauch der Institutionen zugelassen haben. Armenien muss nach weitreichenden Reformen suchen“, fügte er hinzu. Ihm zufolge könnten die institutionellen Reformen eine Überprüfung der Beamten umfassen, die die Behörden kontrollieren und die den Zugang zur Justiz gewährleisten sollen. „Die institutionellen und gerichtlichen Reformen werden oft als Bestandteil der Übergangsjustiz erwähnt“, sagte er und fügte hinzu, dass die Übergangsjustiz als Wahrheitssuche in Armenien angesehen werden sollte.

Am selben Tag bot die EU den armenischen Staatsbeamten Hilfe bei der Umsetzung der Justizreformen an. „Wir begrüßen die eindeutige Zusage der armenischen Regierung, die Justizreform in Übereinstimmung mit der armenischen Verfassung und den internationalen Verpflichtungen Armeniens voranzutreiben, insbesondere denjenigen, die sich aus seiner Mitgliedschaft im Europarat und in Absprache mit der Zivilgesellschaft und internationalen Experten, einschließlich der Venedig-Kommission, ergeben. Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ist eine grundlegende Säule der Verfassungsordnung und der Rechtsstaatlichkeit. Die EU ist bereit, zu diesem Zweck technische und finanzielle Hilfe zu leisten“, heißt es in der offiziellen Erklärung der EU-Delegation in Jerewan.

In der Zwischenzeit hat Gagik Harutunjan, der Leiter des Obersten Justizrates, sein Amt niedergelegt. Harutyunyan sagte, es sei nicht mehr „zweckmäßig“, den Obersten Justizrat (SJC) zu leiten, „angesichts der laufenden Entwicklungen in Bezug auf die Justizbehörde und die Gerichte und meiner diesbezüglichen Bedenken, die am 20. Mai in den Medien geäußert wurden. [...] Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre produktiven Aktivitäten beim Aufbau einer unabhängigen Justizbehörde, die einem Rechtsstaat entspricht,  fortsetzen“, heißt es in Harutunjans Brief an die Mitglieder des SJC.

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