Der Neue Außenpolitische Konsens der USA und die Rolle des Südkaukasus im Sicherheitspolitischen Gesamtkontext

Präsident Donald Trump ist kein Ausreißer im außenpolitischen Diskurs der USA, sondern eine Manifestierung der dauerhaften Umorientierung im strategischen Denken Washingtons. Der Südkaukasus wird unter dieser Neuausrichtung für die USA aufgrund seiner geopolitischen Umstände allgemein an sicherheitspolitischer Relevanz verlieren. Georgien hat als einziges Land in der Region die Möglichkeit sich diesem Trend zu widersetzen, indem es sich als integralen Teil eines neuformierenden Sicherheitsblocks präsentiert.

Neue Ära in der US Außenpolitik

Experten und Politiker beschreiben die außenpolitische Ausrichtung unter Präsident Trump oft als eine Abkehr von dem traditionellen Kurs der amerikanischen Außenpolitik. Die meisten seiner Befürworter begrüßen diese strategische Neuausrichtung begeistert unter dem Banner des Wirtschaftsnationalismus und einer verkleinerten globalen Militärpräsenz und sehen diese als dringend benötigte Anpassung. Kritiker hingegen prangern seinen Kurs als eine impulsiv auferlegte Form des Neo-Isolationismus an, die die globale Führung der USA schwächen und den institutionellen Rahmen für den internationalen Multilateralismus untergraben würde. Diese Debatte innerhalb der amerikanischen Politikelite wird bis tief in dieses Wahljahr hinein und darüber hinaus andauern. Dabei macht es der politische Lärm in einer polarisierten Atmosphäre schwierig, zu entschlüsseln, welche Komponenten dieser Neuorientierung als dauerhafte Merkmale der US-Außenpolitik bestehen bleiben.

In den letzten Jahren hielten Kritiker allgemein an der Hoffnung fest, dass diese jüngste Abkehr von Washingtons strategischem Konsens, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs anhielt, lediglich einen störenden Ausreißer in der amerikanischen Staatskunst darstellt und nicht die neue Norm darstellen wird. Obwohl der Bruch mit dem Status Quo unter der gegenwärtigen Regierung bombastisch erscheinen mag, haben diese strukturellen Veränderungen begonnen, bevor Donald Trump das höchste Amt des Landes übernahm. Der Versuch von Präsident Obama, die Präsenz der USA im Nahen Osten zu verringern und mit seinem „Pivot to Asia“ einen neuen Angelpunkt für amerikanische Außenpolitik festzusetzen, sowie die passive Rolle der USA im Libyenkonflikt, die als „Leading from Behind“ bekannt wurde, deuteten auf eine generelle Vermeidung von Militäreinsätzen und eine Neuformulierung der strategischen Kernziele des Landes hin.

Diese Umorientierung ist auf zwei Hauptfaktoren zurückzuführen, die mehr oder weniger zeitgleich stattfanden. Erstens, eine grundlegende Verschiebung im Kräftegleichgewicht des internationalen Systems hin zu einer multipolaren Ordnung. Zweitens, ein tiefgreifender Wandel der öffentlichen Meinung in Amerika gegen militärische Auslandseinsätze und internationalen Freihandel als Konsequenz des kostspieligen „Global War on Terror“ und den oft als negativ wahrgenommen Konsequenzen einer Beschleunigten Globalisierung nach dem Ende des Kalten Krieges. Zusätzlich ist das Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit an internationalen Geschehnissen allgemein gesunken, da das Land selbst politisch zutiefst gespalten ist und sich momentan hauptsächlich mit seinen innenpolitischen Konfliktlinien befasst.

Während der erste Faktor die USA vor die Herausforderung stellt ihre strategischen Interessen neu zu definieren, setzt der zweite Faktor den Handlungsspielraum der politischen Eliten in Washington fest. Dies wird zwangsläufig dazu führen, dass die USA ihr globales sicherheitspolitisches Engagement reduzieren und versuchen werden, strategische Ressource möglichst fokussiert auf eine engere Auswahl von definierten strategischen Kerninteressen umzuleiten.

Die oben beschriebenen außenpolitische Konzepte der Obama-Ära können als erste Eckpfeiler dieser Neudefinition von strategischen Kerninteressen angesehen werden, in welcher die Führungsrolle der USA generell verkleinert und der Fokus vom sogenannten „Statebuilding“ im Nahen-und Mittleren Osten auf die Eindämmung der Volksrepublik China verschoben wurde. In der National Security Strategy 2017, die unter Präsident Donald Trump veröffentlicht wurde, wurde der Fokus offiziell auf die Eindämmung von Russland und China als „revisionistische Mächte“ gelegt, in einer internationalen Arena, die zunehmend von Konflikt und Wettbewerb gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zu vorangegangen National Security Strategies stellt das neue Dokument nunmehr auch die internationale Führungsrolle der USA hinter die neu definierten nationalen Interessen zurück. Von dieser Entwicklung lässt sich ableiten, dass diese genannte Eindämmung von Hauptrivalen vor anderen außenpolitischen Zielen priorisiert wird, während die Förderung von Freihandel, liberalen Werten und der Schutz der internationalen Institutionen weniger Aufmerksamkeit erlangen wird.

Die Eindämmung Russlands und der Südkaukasus

Welche Rolle wird der Südkaukasus diesbezüglich in der sich wandelnden strategischen Ausrichtung der US-Sicherheitspolitik spielen? Das Kräfteverhältnis in der Region hat sich über die letzten Jahre wenig geändert. Russland hat seit der Invasion Georgiens 2008 keine Zweifel darüber aufkommen lassen, dass das Land nach wie vor der dominante Akteur in der Sicherheitspolitik des Südkaukasus ist. Obwohl die Eindämmung Russlands zum neuen Fokus der amerikanischen Außenpolitik gehört, muss man sich darüber bewusst sein, dass Moskau definitiv als zweitrangig hinter dem größeren Rivalen, der Volksrepublik China, zu bewerten ist. Alle bisherigen Anzeichen deuten darauf hin, dass die Eindämmung Russlands im Vergleich zu der Chinas auf einer engeren Auswahl von strategischen Zielen beschränkt sein wird. Auf den ersten Blick gab es seit Donald Trumps Amtsantritt wenig Änderungen in dem Profil der amerikanischen Sicherheitspolitik im Kaukasus. Dennoch kann man von Geschehnissen in anderen Regionen Schlüsse über die Zukunft des sicherheitspolitischen Engagements Washingtons im Kaukasus ziehen.

Besonders im Nahen Osten konnte man zunehmend einen geringeren Willen erkennen, Russland über seine Ambitionen in Syrien und Libyen zu konfrontieren. Wenn Washington Moskau einen größeren Handlungsspielraum in einer Region zugesteht, welcher traditionell immenses geopolitische Gewicht im Wettbewerb von Großmächten beigemessen wird, lässt dies Zweifel über zukünftige amerikanische Initiativen im Südkaukasus aufkommen. Darüber hinaus scheint es so, als ob die Trump-Administration den Schwerpunkt auf die Eindämmung Russlands im sogenannten „Intermarium“, dem Raum zwischen der Ostsee und dem Schwarzmeer, zu legen versucht. Ziel dabei wird es sein, eine Blockade gegen die Ausbreitung von russischem Einfluss nach Mitteleuropa durch Partnerländer in dieser Region aktiv zu unterstützen. Die Ansprache des US Präsidenten in Warschau im Sommer 2017 gilt als eine der symbolträchtigsten Momente seit Trumps Amtsantritt und unterstreicht die Bereitschaft der USA in verstärktem Maße mit Polen, Rumänien, der Ukraine und den baltischen Staaten zusammenzuarbeiten, um den Ambitionen Russlands klare Grenzen aufzuzeigen. Diese Bereitschaft führte bislang zu einer vermehrten Anzahl von NATO-Truppenmanövern im Baltikum und Polen sowie einer Ausweitung von US-Waffenlieferungen an die ukrainische Regierung.

Mit der breiten Reduzierung der amerikanischen Militärpräsenz und der Verengung der strategischen Agenda wird es in mittelfristig keine vertieften sicherheitspolitischen Partnerschaften mit den Ländern der Region geben. Dies wird sich auch auf das Verhalten der europäischen Partner auswirken, da diese sich primär auf die politische und wirtschaftliche Integration des Südkaukasus konzentriert haben, während bedeutsame sicherheitspolitische Bemühungen des Westens selten ohne eine Führungsrolle der USA vorangetrieben werden. Unter den gegenwärtigen Bedingungen innerhalb Europas ist es unrealistisch zu erwarten, dass europäische Regionalmächte diese sicherheitspolitische Rolle im Südkaukasus übernehmen werden.

Als Konsequenz daraus werden sich Aserbaidschan und besonders Armenien nach alternativen Partnern, wie z.B. dem Iran und der Türkei umsehen müssen, wenn sie das russische Monopol auf die Sicherheitspolitik im Südkaukasus herausfordern wollen. Sollte dies nicht passieren, wird sich der Status-Quo zunehmend verfestigen. Moskau würde dann weiterhin als Veto-Macht im Bergkarabach-Konflikt zwischen beiden Ländern agieren und könnte noch offener und aggressiver versuchen sich in dieser Rolle geopolitische Zugeständnisse von Baku und Eriwan zuzusichern. Die Regierung Paschinjans wird voraussichtlich weiter einen schmalen Pfad beschreiten müssen, in dem sie die Ziele der Samtenen Revolution in einer Art und Weise voranbringt, die Moskau nicht dazu verleitet Vergeltungsmaßnahmen im Namen der ehemaligen russlandnahen Eliten in Armenien zu ergreifen.

Obwohl es grundsätzlich auch für Georgien schwieriger sein wird Aufmerksamkeit innerhalb der außenpolitischen Zirkel in den USA zu bekommen, hat das Land weiterhin die Möglichkeit auf der strategischen Agenda Washingtons zu stehen, wenn Tiflis notwendige Anpassungen an seinem geopolitischen Profil vornimmt. Die ursprüngliche Definition des „Intermariums“ beschränkt sich auf die Länder westlich des Schwarzmeers. Einige Experten, wie zum Beispiel Dr. Andreas Umland, zeigen jedoch eine ausgeweitete Konzeptualisierung des „Intermariums“ auf, welche Georgien einschließen könnte. Dies könnte dem Land schließlich ermöglichen sich stärker in die westlichen Allianzstrukturen einzubinden, ohne dabei an seine zu diesem Zeitpunkt unrealistischen NATO-und EU-Ambitionen gebunden zu sein.

Auch in der Praxis gibt es Anzeichen für ein kontinuierliches Interesse der USA an dem kleinen Land im Südkaukasus. So gab der damalige Premierminister, Giorgi Kvirikaschwili, im Jahr 2017 bekannt, dass er auch weiterhin vom Präsidenten Trump volle Unterstützung in der Angelegenheit der russischen Besetzungen von Zchinwali und Südossetien zugesichert bekam.  Zusätzlich verabschiedeten die NATO-Außenminister am 1. Mai ein neues Hilfspaket für Georgien und die Ukraine. Diese Tatsachen zeigen, dass Georgien in Washington und innerhalb der NATO-Führung noch immer offen als zentraler Pfeiler bei der Eindämmung von russischem Einfluss im Schwarzmeer gesehen wird. In Tiflis sollte daher Grund zur Hoffnung bestehen, dass Georgien auch unter einem verengten Fokus der US-Außenpolitik auf das „Intermarium“ nicht von der strategischen Agenda der Vereinigten Staaten verschwinden wird. Je nachdem wie die Regierung Georgiens die geopolitische Rolle des Landes verkauft, könnte man sogar zu dem Kreis der Auserwählten gehören, der schlussendlich vom strategischen Wandel profitieren wird.

Die georgische Führung hat Einfluss auf zwei Faktoren, welche diesen Prozess beeinflussen können. Erstens, Tiflis muss sich verstärkt darauf konzentrieren Partnerschaften mit den zentralen Regionalmächten im „Intermarium“ – insbesondere der Ukraine, Polen und Rumänien – aufzubauen und zu stärken. Sollte dies gelingen, könnte Tiflis durch das Lobbying dieser Partner für die Inklusion Georgiens in der Eindämmungspolitik der USA profitieren. Zweitens, die georgische Regierung muss sich gegenüber den amerikanischen Entscheidungsträgern und strategischen Denkern als wichtiger Baustein des „Intermarium“-Konzepts präsentieren. Dabei sollte der rhetorische Fokus von Georgiens Eliten von dem traditionellen Verweisen auf westliche Werten und Demokratisierung auf die strategische Bedeutung des Landes für den Schwarzmeer-Raum verschoben werden.  Realpolitisches Vokabular wird in Zukunft, auch über die Präsidentschaft Trumps hinaus, verstärkt auf Resonanz treffen.

Obwohl die Umorientierung der US-Außenpolitik Tiflis vor Herausforderungen stellt, könnte Georgien als einziges Land im Südkaukasus von diesem Prozess profitieren. Während Georgiens Kurs der westlichen Annäherung und Demokratisierung in der Vergangenheit ausschließlich in Lippenbekenntnissen und minimaler Unterstützung von Seiten der USA resultierte, öffnet sich die Möglichkeit für handfestere Unterstützung durch die Integration in die sich bildenden Sicherheitsstrukturen des „Intermariums“.

Philip Röhrs-Weist

Siehe auch

"Caucasus Watch" sucht lokale Experten aus Georgien, Armenien, Aserbaidschan und der Nordkaukasus-Region. Wir bieten eine flexible Form der Zusammenarbeit, eine angemessene Vergütung und Zugang zu einer europaweiten Leserschaft. Senden Sie Ihren Lebenslauf, ein Bewerbungsschreiben und eine Arbeitsprobe an redaktion@caucasuswatch.de. Für Fragen: i.dostalik@caucasuswatch.de.

Wir verwenden Cookies, um unser Angebot für Sie zu verbessern. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.