Droht der Bergkarabachkonflikt noch in diesem Jahr zu eskalieren?

Seit Anfang 2018 mehren sich die Indizien dafür, dass sich der anhaltende armenisch-aserbaidschanische Konflikt um Bergkarabach erneut in einer militärischen Auseinandersetzung entladen könnte. Bereits im Februar hatten armenische und aserbaidschanische Nachrichtenseiten darüber berichtet, dass Dan Coats, der amerikanische „Director of National Intelligence“ (dt. Direktor der nationalen Nachrichtendienste) in einem Statement vor dem Risiko eines groß angelegten Kriegs in Bergkarabach noch in diesem Jahr warnte.

Laut Einschätzung des amerikanischen Nachrichtendienstes würde in diesem Fall Russland auf Seiten seines Verbündeten Armeniens intervenieren. Zusätzliche Risiken eines neuen Kriegs seien die fehlende Kompromissbereitschaft beider Parteien, ein stärker werdender innerer Druck in beiden Ländern (Aserbaidschan und Armenien), die nachhaltige Modernisierung des aserbaidschanischen Militärs sowie der Erwerb neuer russischer Kriegsgeräte durch Armenien.

Unterdessen fanden in Aserbaidschan zwischen dem 12. und 17. März groß angelegte Militärübungen statt, wie die die aserbaidschanische Nachrichtenseite “Trend.az” berichtet. Bei den Manövern seien zirka 25 Tausend Soldaten, 250 Panzer und andere gepanzerte mobile Militärtechnik, 1000 Raketen- und Artilleriesysteme sowie 50 Luftwaffeneinheiten zum Einsatz gekommen. Die Manöver seien die größten seit dem Sommer 2017 gewesen, wie Caucasian Knot unter Hinweis auf Militärexperten in Baku berichtet. Während der Manöver seien Interaktionen zwischen unterschiedlichen Militäreinheiten geübt worden, darunter das Durchbrechen der gegnerischen Verteidigungslinie sowie die Verteidigung eigener Stellungen unter maximal kriegsähnlichen Umständen, so Uzeir Jafarov, Leiter der NGO “Militärjournalisten”.

Pavel Felgenhauer, ein bekannter russischer Militärexperte und Journalist der Zeitung “Nowaja Gaseta”, schloss dabei einen Zusammenhang zwischen den aserbaidschanischen Militärübungen und dem russischen Militärmanöver im Südlichen Föderalen Bezirk, in Armenien und Südossetien nicht aus: “Ein militärischer Konflikt in Bergkarabach, der sich womöglich in einen Krieg entwickeln wird, kann nicht ausgeschlossen werden”, so der Experte. “Niemand schenkt diesem Konflikt Aufmerksamkeit. Alle haben gerade anderes zu tun. Die Militärübungen Aserbaidschans sind eine unmittelbare Vorbereitung auf Kampfhandlungen. Auch die armenische Seite bereitet sich darauf vor”, warnt Felgenhauer. Seiner Ansicht ziehe es die internationale Gemeinschaft vor, diesen Konflikt zu ignorieren, obwohl er sich zu einem groß angelegten Krieg zu entwickeln drohe: “Es gibt die Tendenz, den Konflikt zu vergessen, da die Großmächte nicht direkt daran beteiligt sind, und es ohnehin viele Krisenherde gibt – beispielsweise im Nahen Osten und in Europa”. Aserbaidschan bekomme regelmäßig Waffenlieferungen nicht nur von Russland, sondern auch von Israel und der Türkei, erinnerte Felgenhauer: “Zum Beispiel die hochpräzisen israelischen Mehrfachraketenwerfer, Kriegsdrohnen, die mit den Panzerabwehrlenkwaffen Spike ausgestattet sind. Das ist das modernste Panzerabwehrsystem der dritten Generation, analog zum US-System Javelin. Über solche Waffen verfügt noch nicht einmal Russland, geschweige denn Armenien”, betonte der Experte. Auch der britische Kaukasus-Experte Thomas de Waal warnte kürzlich vor einem Aufflammen des Krieges in Bergkarabach (Caucasus Watch berichtete).

Die Militärübungen sowohl in Aserbaidschan als auch in Armenien finden regelmäßig statt und werden von der jeweiligen gegnerischen Partei stets als “Provokation” bezeichnet. Am 2. Dezember 2017 hatten die Streitkräfte der Republik Armenien gemeinsam mit den Truppen der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach  Militärmanöver in der Konfliktregion durchgeführt, wie die armenische Nachrichtenseite Aysor berichtet. Der armenische Präsident Sersch Sargsjan und der Verteidigungsminister Vigen Sarkisian haben die Übungen beobachtet (Interfax).

Die Region Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, wird jedoch seit dem aserbaidschanisch-armenischen Krieg der 1990er Jahre von Armenien kontrolliert. Zusätzlich wurden sieben aserbaidschanische  Provinzen um Bergkarabach von armenischen Truppen besetzt. Diese bestehen aus den regulären Truppen der Republik Armenien und den lokalen “Selbstverteidigungskräften” der Karabach-Armenier.

Die Verhandlungen zur friedlichen Lösung des Konflikts erfolgen mit Hilfe der Minsker Gruppe der OSZE, deren Vorsitzende Frankreich, USA und Russland sind. Diese dauern seit 1994 an und brachten bisher keine entscheidenden Fortschritte. Im April 2016 kam es kurzzeitig zu aktiven Kampfhandlungen zwischen Aserbaidschan und Armenien, die Hunderte von Opfer auf beiden Seiten forderten. Nachdem sich Russland mehrere Tage später in den Konflikt eingeschaltet hatte, waren die Kämpfe eingestellt worden.

 

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