Energiespiel der EU im Kaspischen Meer
Bereits seit zehn Jahren bemüht sich die Europäische Union, ihre Energiesicherheit zu gewährleisten, indem sie das Projekt des Südlichen Gaskorridors verwirklicht. Dieses Energieprojekt soll unter anderem die starke Abhängigkeit Europas von seinem wichtigsten Gaslieferanten, Russland, deutlich verringern. In den letzten zwei Wochen durfte sich Brüssel über spürbare Erfolge auf diesem Weg freuen.
Am 29. Mai 2018 fand die offizielle Eröffnungszeremonie des Südlichen Gaskorridor-Projekts (SGP) in Baku statt. Zwei Wochen später, am 12. Juni, wurde in der Türkei die Transanatolische Pipeline (TANAP), ein erster Abschnitt des SGP, eingeweiht. Dadurch soll aserbaidschanisches Gas über Georgien und die Türkei an die griechische Grenze und von dort durch die Transadriatische Pipeline (TAP) über Griechenland und Albanien nach Italien transportiert werden. In der Anfangsphase werden über die TANAP und TAP rund 10 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich nach Europa geliefert werden, und bis 2023 sollen die Kapazitäten der TANAP bis auf jährlich 23 Milliarden Kubikmeter erhöht werden. Sollte es Europa gelingen, auch Turkmenistan mit seinen enormen Gasreserven für den südlichen Gaskorridor zu gewinnen, werden die Leistungskapazitäten der TANAP und TAP noch weiter erhöht werden. Doch auf diesem Weg gilt es noch einige Hürden zu überwinden.
Russlands Gegenspiel in Italien?
Das Projekt TANAP wird von der Europäischen Union, aber auch den USA unterstützt, die in ihm einen wichtigen Beitrag zur Energiesicherheit der Türkei und Europas sehen. Die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA Nowosti betonte, dass die Transanatolische Pipeline nicht über russisches Territorium führt. In einem Beitrag der russischen Nachrichtenagentur RBK heißt es zudem, dass aserbaidschanisches Gas vom Gasfeld Schah-Deniz 2 im Vergleich zum billigeren russischen Gas nicht konkurrenzfähig sei. In den russischen Quellen wird außerdem darauf hingewiesen, dass sich angesichts der skeptischen Haltung der neuen italienischen Regierung gegenüber der Transadriatischen Pipeline die Realisierung des Projekts deutlich verzögern könnte.
Die italienische Koalitionsregierung, die kürzlich von der politischen Bewegung „5 Sterne“ und der Partei „Lega Nord“ gebildet wurde, kündigte an, dass sie die Entscheidung der früheren Regierung über den Bau [auf dem italienischen Territorium] eines Teils des südlichen Gaskorridors – der Transadriatischen Pipeline (TAP), die Erdgas von Aserbaidschan nach Europa transportieren soll – überprüfen werde. Laut Reuters erklärte der neue italienische Umweltminister Sergio Costa auf eine Anfrage italienischer Parlamentarier, dass die Einbindung Italiens in das Projekt auf dem Prüfstand stehe: „Vor dem Hintergrund unserer Energiepolitik und unseres Gasbedarfs halten wir das TAP-Projekt für absolut bedeutungslos.“ Sergio Costa vertritt die 5-Sterne-Bewegung, die sich bereits seit mehreren Jahren vehement gegen die Einbindung Italiens in das Projekt ausspricht.
Würde sich die italienische Regierung gegen den Bau der Transadriatischen Pipeline, die auf 4,5 Milliarden Euro geschätzt wird, entscheiden, könnte dies zu erheblichen Spannungen zwischen der italienischen Regierung und dem von BP verwalteten Konsortium führen. Ungewiss bleibt, ob die Ankündigung des Umweltministers auch tatsächlich umgesetzt werden wird. Doch das Risiko für das Projekt dürfte nicht unterschätzt werden, denn die 5-Sterne-Bewegung hatte, anders als die Partei Lega Nord, von Anfang an eine vehement ablehnende Position zu Italiens Beteiligung am Projekt eingenommen. Weder TAP-Konsortium noch Lega Nord haben sich bisher zu den letzten Aussagen des neuen italienischen Umweltministers geäußert.
In Italien war es in der Vergangenheit immer wieder zu Protesten gegen den Bau der Gaspipeline gekommen, vor allem im südlichen Apulien. Die Bewohner dort äußerten die Kritik, dass man sie in die Planung des Projekts nicht einbezogen habe. Ihre größte Sorge sei, dass sich das Projekt negativ auf die Umwelt bzw. auf die dortigen Olivenhaine auswirke, die hunderte von Jahren alt seien. Außerdem befürchten die Menschen vor Ort, dass die neue Pipeline an der Adria im Sommer die Touristen vom betreffenden Abschnitt fernhalten wird. „Wir leben vom Tourismus, und da muss ich wohl nicht näher erläutern, was es heißt, eine Pipeline mitten auf dem Strand zu haben“, zitiert SRF Salvatore Santoro, einen Bewohner der Gemeinde Melendugno.
Ende März 2018 hatte Italien dem Bau der TAP grünes Licht gegeben, nachdem am 27. März der Staatsrat Italiens eine Klage der Region Apulien und der Gemeinde Melendugno abgelehnt hatte. In seiner Entscheidung erklärte der Staatsrat, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung der TAP, die 2014 positiv ausfiel, gegen die aber geklagt wurde, alle erforderlichen Bedingungen erfülle. Im Anschluss an diese Entscheidung protestierten Einwohner Apuliens erneut gegen den Bau der Pipeline und schlugen vor, diese nach Norden in Richtung der Industriestadt Brindisi zu verlegen, wie Euractiv berichtete. Das TAP-Konsortium reagierte auf die Proteste, indem es verlautbaren ließ, dass eine Änderung der Route der Gaspipeline in Italien die Umsetzung des Projekts um 4–5 Jahre verzögern würde. Dem aktuellen Zeitplan zufolge soll der Bau der Pipeline im Jahr 2020 abgeschlossen sein, und im selben Jahr würde mit der Lieferung von 10 Milliarden Kubikmeter aserbaidschanischen Gas jährlich nach Europa begonnen werden.
Am 1. Mai hatte sich der italienische Botschafter in Aserbaidschan, Augusto Massari, zuversichtlich geäußert, dass das TAP-Projekt realisiert würde. Massari hatte auch betont, dass während der Projektimplementierung aufgetretene Probleme gelöst worden seien, so dass einer Umsetzung nichts mehr im Wege stehe. Allerdings war diese Aussage noch vor dem Regierungswechsel in Italien gemacht worden.
Die Nachrichtenseite haqqin.az vermutet, die letzten Äußerungen des neuen italienischen Umweltministers könnten auf russischen Einfluss zurückgeführt werden, denn die Position von Sergio Costa sei sehr vorteilhaft für den russischen Staatskonzern Gazprom, der intensiv am Bau der Gaspipeline Turkstream von Russland über die Türkei nach Europa arbeitet. Im Beitrag wird auch darauf hingewiesen, dass die neue Regierung Italiens mehrfach prorussische Erklärungen abgegeben habe. So habe sich ihr außenpolitischer Sprecher, Manlio Di Stefano, beispielsweise gegen die antirussischen Sanktionen ausgesprochen, die wegen der russischen Krim-Annexion verhängt wurden.
Einbindung Turkmenistans in den südlichen Gaskorridor
Anders als Aserbaidschan, das nur relativ kleine Gasmengen nach Europa liefern kann und somit als Gasexporteur keine ernsthafte Bedrohung für russische Interessen auf dem europäischen Energiemarkt darstellt, könnte Turkmenistan zu einem ernsthaften Konkurrenten für Gazprom werden, verfügt doch das zentralasiatische Land über die viertgrößten Gasreserven weltweit.
Die EU arbeitet hartnäckig daran, sich durch den südlichen Gaskorridor Zugang zum turkmenischen Gas zu verschaffen. So vereinbarten die Europäische Kommission und Georgien im Mai 2018, gemeinsam das kommerzielle Engineering des Projekts der Transkaspischen Pipeline durchzuführen. Diese Pipeline soll Aserbaidschan und Turkmenistan durch das Kaspische Meer hindurch verbinden. Die Erstellung der Dokumentation über die finanzielle Unterstützung des Projekts wird etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen und von der Europäischen Kommission, der Weltbank und Georgien finanziert werden.
Der aserbaidschanische Energieminister Parvis Shahbazov bestätigte vor kurzem in einem Interview, dass Aserbaidschan den politischen Willen habe sowie über die nötigen technischen Kapazitäten verfüge, um turkmenisches Gas nach Europa zu transportieren. Auch Turkmenistan beteiligt sich am Ausbau der Infrastruktur für einen möglichen Gas-Export nach Europa. Wie die Deutsche Welle berichtete, hatte Turkmenistan bereits Ende 2015 eine neue kapazitätsreiche Pipeline auf seinem Territorium in Betrieb genommen, durch die Gas von den größten turkmenischen Gasfeldern in Galkynysch und Dowletabad im Osten des Landes an die Küste des Kaspischen Meers transportiert wird.
Sollte das Projekt der Transkaspischen Pipeline zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan realisiert werden, würde seine jährliche Durchsatzfähigkeit ca. 30 Milliarden Kubikmeter betragen. Allerdings haben bislang Iran und vor allem Russland das Projekt stets zu blockieren versucht: Der ungelöste rechtliche Status des Kaspischen Meers und Umweltschutzbedenken sind dabei die offiziellen Argumente Moskaus und Teherans. Jedoch stehen die Chancen gut, dass das Übereinkommen, das den rechtlichen Status des Kaspischen Meers regeln soll, von den kaspischen Anrainerstaaten unterzeichnet werden wird. Russlands Vizeaußenminister Karasin teilte am 10. Mai mit, dass das Übereinkommen beim anstehenden Gipfel der kaspischen Staaten im August dieses Jahres in Astana unterschrieben werden könnte.