Georgien: Neujahrsgeschenk oder Stimmenkauf?

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Eine Woche vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen in Georgien wird der Kampf zwischen der Regierung und der Opposition noch intensiver.

Am 19. November kündigte der Ministerpräsident Georgiens, Mamuka Bakhtadse, an, dass die Bankschulden von über 600.000 Georgiern, in Höhe von 1,5 Mrd. Lari (über 570 Mio. USD) durch den Staat getilgt werden. Der Ministerpräsident sieht die Entscheidung als Ermöglichung der Teilnahme der Bürger an den wirtschaftlichen und sozialen Prozessen, sowie als wichtigen Schritt für die Stabilisierung der Wirtschaft und die Verbesserung des Bankensektors.

Bemerkenswert ist jedoch, dass die Erklärung über Annullierung der Bankschulden neun Tage vor der zweiten Runde der Wahlen abgegeben wurde, was der Regierungskandidatin, Salome Surabischwili, einen Vorteil verschaffen dürfte. Der Ministerpräsident ging während der Pressekonferenz explizit darauf ein und sagte, dass die Frage der Bankschulden schon bereits seit der Rückkehr von Bidsina Iwanischwili in die Politik auf der Tagesordnung der Regierungspartei sei.

Ein Tag vor der Ankündigung des Ministerpräsidenten forderte der Präsidentschaftskandidat Grigol Vaschadse von der Regierung die Annullierung der Kredite und die Entfernung von Kreditnehmern aus den „schwarzen Kreditlisten“. Parallel dazu versprachen der Vorsitzende der Oppositionspartei United National Movement (UNM) und der ehemalige Präsident Michail Saakaschwili, die Hypothekenzinsen zu halbieren und die Schulden der Georgier an Mikrofinanzunternehmen drastisch zu reduzieren.

Reaktionen zur Regierungsentscheidung

Grigol Vaschadse nannte die neue Initiative der Regierung „einen verzweifelten Schritt aus Angst die Stichwahl zu verlieren.“ Er behauptete, dass georgischen Banken sowieso jährlich Forderungsausfälle abschreiben würden.

Mikheil Benidse, Vorsitzender der Wahlbeobachtungsorganisation „Internationale Gesellschaft für gerechte Wahlen und Demokratie“ (ISFED), warf der Regierung „Stimmenkauf“ vor. Laut Benidse ist die Entscheidung darauf abgezielt, die Unterstützung von Wählern zu generieren, sei aber seiner Meinung nach unfair und diskriminierend gegenüber denjenigen, die ihre Schulden trotzdem weiter bezahlen sollen. „Diese Probleme sollten systematisch behandelt werden, nicht mit einmaligen kurzfristigen Initiativen, die die Bürger dazu bewegen, Kredite aufzunehmen, in der Hoffnung, dass die Regierung oder eine andere Partei ihre Schulden erneut streichen lässt. Es ist auch unklar, welche Art von Verhandlungen die Regierung mit den Unternehmen geführt hat und inwiefern ihre Teilnahme freiwillig war“, so der Wahlexperte.

Der Vorsitzende der Oppositionspartei „Europäisches Georgien“, Sergi Kapanadse, beschuldigte die Regierung ebenfalls des Stimmenkaufs. Er sagte, er rechne damit, dass Iwanischwili das Geld von Georgiern auf andere Weise zurückbekommen würde. Kapanadse äußerte auch seine Besorgnis darüber, dass die Regierungsinitiative die Menschen dazu anregen würde, verantwortungslos Kredite aufzunehmen.

„Transparency International – Georgien“ und die „Vereinigung junger Rechtsanwälte in Georgien“ bezeichneten die Initiative ebenso als „Stimmenkauf“.

Der Gründer und Vorsitzende der Regierungspartei, Bidzina Iwanischwili, brachte zum Ausdruck, dass die Behauptungen der Oppositionsparteien und des nichtstaatlichen Sektors bezüglich des „Stimmenkaufs“nicht wahr seien. Iwanischwili sagte in seinem Interview mit Imedi TV, dass die Informationen über die Unterstützung einiger in Not geratener Georgier im Mai 2018 verbreitet worden seien. „Wenn Sie sich daran erinnern, sagte ich dem Ex-Premierminister noch im Mai, dass die Anzahl der Menschen unterhalb der Armutsgrenze reduziert werden sollte und einige Schritte für ihre Unterstützung erforderlich sind. Dieses Versprechen ist also nicht an die Wahlen gebunden“, sagte er. Iwanischwili fügte hinzu, dass die kürzlich angekündigte Initiative ein gutes Beispiel von Ergebnissen einer fleißigen Regierungsarbeit sei.

Des Weiteren sprachen die in Georgien ansässigen NGOs, darunter die „Georgische Vereinigung junger Rechtsanwälte“, „Transparency International-Georgia“ und die „Internationale Gesellschaft für gerechte Wahlen und Demokratie“ bei einer Pressekonferenz am 20. November über mögliche Betrugspläne und Fälschung von Dokumenten im Vorfeld der Wahlen. „Letzte Woche teilte uns ein Mitarbeiter der Public Service Development Agency mit, dass die Agentur angeblich gefälschte Ausweise druckt. Laut diesem Mitarbeiter werden gefälschte Ausweise hergestellt, um die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen zugunsten von Salome Surabischwili zu manipulieren“, behaupteten die NGOs.

Die georgische Staatsanwaltschaft sagte in ihrer Reaktion auf Anschuldigungen der NGOs, dass sie eine Untersuchung eingeleitet habe und alle notwendigen Ermittlungs- und Verfahrenshandlungen durchgeführt würden, um die „Feststellung der Wahrheit und eine gründliche Untersuchung“ sicherzustellen. 

Die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Georgien soll am 28. November dieses Jahres stattfinden. Mit der Wahl tritt auch eine Verfassungsreform in Kraft. Ab 2023 soll ein Wahlmännergremium den Präsidenten bestimmen. Damit wird mit dieser Wahl der Präsident das letzte Mal direkt vom Volk gewählt werden. Zudem soll das Staatsoberhaupt in Zukunft nur noch fünf statt sechs Jahre amtieren und überwiegend repräsentative Aufgaben erfüllen.

 

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