Nikol Paschinjan zeigt sich in den Verhandlungen um Bergkarabach unnachgiebig

Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan und sein Sohn Aschot Paschinjan erklärten in einem Livestream auf Facebook, dass Aschot, der vor kurzem 18 Jahre alt geworden ist, sich entschlossen hat, seinen Militärdienst in Bergkarabach zu leisten. „Ich habe immer geglaubt, dass der einzige Weg zum Frieden in der Stärkung der Armee liegt“, so der 18-Jährige. Der armenische Premierminister rief in diesem Zusammenhang diejenigen Bürger im Alter zwischen 18 und 27 Jahren, die im Ausland leben und noch nicht gedient haben, dazu auf, nach Armenien zurückzukehren, um „ihre Pflicht gegenüber der Heimat“ zu erfüllen.

Das Vorhaben des Sohns des armenischen Premierministers, Militärdienst in Bergkarabach zu leisten, wurde in Aserbaidschan als „Populismus“ bezeichnet. Dem Pressesprecher des aserbaidschanischen Außenministeriums zufolge handelt es sich um eine grobe Verletzung des Völkerrechts, wenn armenische Staatsangehörige zum Armeedienst auf aserbaidschanischen Territorien einberufen werden, berichtet „Interfax.az“. Solche Schritte seien ein Beweis dafür, dass die armenische Regierung die Okkupation der aserbaidschanischen Gebiete fortsetzen wolle.

Aserbaidschan sei stets bereit, gutnachbarliche Beziehungen zu Armenien aufzubauen – allerdings erst nach der Wiederherstellung seiner territorialen Integrität, zitiert die Nachrichtenagentur APA den aserbaidschanischen Außenminister Elmar Mammadyarov, der diese Aussage auf einer Veranstaltung der ADA-Universität anlässlich des 100. Jahrestags der Aserbaidschanischen Demokratischen Republik gemacht hatte. Mammadyarov kommentierte zudem die jüngsten Aussagen der armenischen Regierung unter dem neuen Premierminister Nikol Paschinjan, nach denen das separatistische Regime in Bergkarabach in den Verhandlungsprozess mit einbezogen werden sollte, da nur so der armenisch-aserbaidschanische Konflikt beigelegt werden könne. Laut dem aserbaidschanischen Minister zielt eine solche Haltung darauf ab, den Friedensprozess zu zerstören. Paschinjan wiederum erklärte am 8. Mai, dass ohne Bergkarabach als gleichberechtigter Partei am Verhandlungstisch die Verhandlungen „nicht effektiv sein“ könnten.

Der britische Kaukasus-Experte Thomas De Waal warnte in seinem jüngsten Papier vom 25. Mai die neue armenische Regierung davor, bei den Verhandlungen mit Aserbaidschan den Bogen zu überspannen. „Die harte Haltung verdankt sich teilweise innenpolitischen Gründen, denn Paschinjan tritt in die Fußstapfen von zwei Karabach-Armeniern, die im Konflikt der 1990er Jahre gekämpft und Armenien in den letzten 20 Jahren regiert hatten. Offensichtlich meint er, seine Glaubwürdigkeit in Sicherheitsfragen beweisen und den Karabach-Armeniern versichern zu müssen, dass er hinter ihnen steht. Hier ist er aber wahrscheinlich insofern aufrichtig, als die meisten Armenier seine „kompromisslose“ Haltung in Bezug auf diese Region teilen. In einem Radiointerview im Jahr 2016 sagte Paschinjan, dass es keine Gebiete gebe, die an Aserbaidschan übergeben werden könnten.

Diese Position ist aus folgenden Gründen gefährlich: Wenn ein armenischer Staatschef offen die armenische Souveränität über Bergkarabach behauptet und sagt, die aserbaidschanischen Territorien um Bergkarabach herum, die die armenischen Truppen zwischen 1993 und 1994 eroberten, könnten nicht zurückgegeben werden, gibt es für Baku nichts mehr zu verhandeln, und damit wären beide Parteien wieder auf dem besten Weg in den Krieg. „Der Vier-Tage-Krieg von 2016, bei dem rund 200 Menschen ums Leben kamen, gemahnt düster daran, wie blutig eine solche bewaffnete Auseinandersetzung sein kann“, schreibt Thomas de Waal in seinem Beitrag „Armenia’s Revolution and the Karabakh Conflict“.  

Thomas de Waal weist auf das bislang ruhige Verhalten des aserbaidschanischen Staatschefs hin, der sonst durchaus zu harter Rhetorik gegen Armenien fähig sei. „Aber wie lange wird der aserbaidschanische Präsident sein Schweigegelübde halten? In einem möglicherweise langwierigen Wahlkampf werden Paschinjan und seine Mannschaft in dieser Angelegenheit nicht versöhnlich klingen wollen, denn sonst müssen sie befürchten, dass man an ihrer patriotischen Gesinnung zweifelt. Es könnte noch viele Monate dauern, bis es eine neue, konsolidierte armenische Politik hinsichtlich des Konflikts gibt. Sollte der Friedensprozess kurzfristig überleben, gibt es positive Szenarien. Ein neues Denken ist notwendig und könnte von Armeniens neuem Außenminister Zohrab Mnatskanian kommen, der den hypervorsichtigen Eduard Nalbandian ersetzt“, so Thomas de Waal.

Die Region Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, ist aber von Armenien, das sich als Schutzmacht für die Karabach-Armenier sieht, militärisch besetzt worden. Infolge des Kriegs zwischen Armenien und Aserbaidschan in den 1990er Jahren wurde die aserbaidschanische Bevölkerung aus Bergkarabach und sieben weiteren Provinzen, die ebenfalls unter armenische Kontrolle gerieten, vertrieben. Aktuell werden die besetzten Gebiete fast ausschließlich von Armeniern bewohnt. Die Minsker Gruppe der OSZE unter dem Ko-Vorsitz Russlands, Frankreichs und der USA vermittelt seit 1994 bei der Suche nach einer friedlichen Lösung des Konflikts, doch steht ein Erfolg noch aus. Trotz des beschlossenen Waffenstillstands kommt es regelmäßig zu Schusswechseln an der Frontlinie. Im April 2016 mündete die Situation in ernste bewaffnete Auseinandersetzungen, die vier Tage andauerten, ungefähr 200 Opfer auf beiden Seiten forderten und erst nach dem diplomatischen Einschreiten Russlands beendet wurden. 

 

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