Ramzan Kadyrov verurteilt Stalin öffentlich

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Vestnik Kavkaza
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Am 23. Februar hat sich die Deportation der Tschetschenen und Inguschen zum 74. mal gejährt. Ramzan Kadyrov, Haupt der Republik Tschetschenien, hat den Jahrestag dazu genutzt, den sowjetischen Alleinherrscher Josef Stalin für die Zwangsvertreibung öffentlich vehement zu verurteilen. Stalin und Berija werden für die Geschehnisse des Jahres 1944 verantwortlich gemacht. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, also Jahre nach den Ereignissen, die im Allgemeinen als “Großer Terror” (1936-1938) bezeichnet werden, waren Hunderttausende Tschetschenen, Inguschen und weitere Bewohner der Nordkaukasusregion nach Zentralasien deportiert worden.

Laut Kadyrov kommen keine der Kriege, die das tschetschenische Volk in seiner Geschichte erlebt hat, in Bedeutung und Ausmaß den stalinistischen Repressionen nahe: “Es gibt nur wenige Fälle in der Weltgeschichte, da innerhalb von 24 Stunden ganze Volksgemeinschaften aus ihren Heimatorten vertrieben und in den Tod getrieben wurden. Ganze Völker wurden zum langsamen Sterben verurteilt. Am 23. Februar 1944 hat Stalin genau das getan. Uns wurde alles genommen: unser Land, unsere Häuser, alles was wir in Jahrhunderten erworben hatten. Wir wurden in Viehabteile gepfercht, ins Altai-Gebirge und die kasachischen Steppen gefahren, dort rausgeworfen und in Blei- und Uranminen getrieben”, schrieb Kadyrov auf seiner Seite in “Vkontakte” (Anm. d. Red: “Vkontakte” ist das russischsprachige Pendant zu Facebook).

Der bekannte Journalist Maxim Schewtschenko ist der Ansicht, dass die Tschetschenier berechtigt sind, sich auf diese Weise über Stalin zu äußern: “Die Tschetschenier, Inguscheten, Karatschaier und die Krimtataren haben das gute Recht, Stalin nicht zu mögen. Während des Zweiten Weltkriegs, als Dutzende Millionen Menschen starben, wurde diesen Völkern die Heimat genommen, und zwar auf eine ziemlich harte Art”. Es sei nicht einmal den Versuch wert, diesen Leute von irgendwelchen positiven Aspekten erzählen zu wollen, so der Journalist.

Die russischen Kommunisten empfahlen Kadyrov, auch Boris Jelzin zu verurteilen, nahmen Stalin aber gleichzeitig als “großen Staatsmann” in Schutz: “Es ist verständlich, dass er (Kadyrov) so schlecht auf Stalin zu sprechen ist. Stalin hat eine Reihe von harten Entscheidungen getroffen, die wahrscheinlich Fehler waren, und das tschetschenische Volk hat stark darunter gelitten. Allerdings müssen wir berücksichtigen, dass Stalin beim Treffen dieser Entscheidungen von der damaligen Situation ausging. Deshalb halten wir Stalin nicht für einen Tyrannen, sondern für einen großen Staatsmann. Er musste sich für das kleinere Übel unter den grausigen Optionen entscheiden. Ja, das tschetschenische Volk hat gelitten. Aber hat Boris Jelzin die Tschetschener etwa weniger hart behandelt? Ja, wegen der Deportation haben viele gelitten; es wäre aber fair, wenn Kadyrov auch Boris Jelzin verdammen würde”.

Das Thema Stalin gilt in der öffentlichen Debatte in Russland als äußerst kontrovers. Der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnete einst seine Haltung zu Stalin als “komplex”: er sei sowohl gegen eine übermäßige Dämonisierung von Stalin, als auch gegen das Vergessen der “Schrecken des Stalinismus”. Ein aktuelles Beispiel der Brisanz des Themas Stalin liefert die Filmsatire “The Death of Stalin”. Diese durfte in den russischen Kinos nicht gezeigt werden.

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