Schwere Grenzkämpfe zwischen armenischen und aserbaidschanischen Truppen
Am 12. Juli kam es an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan zu einem größeren Zusammenstoß. Nach dem Stand vom 13. Juli dauerten die Kämpfe weiter an. Übereinstimmenden Berichten zufolge sind schwere Artillerie, Drohnen und Panzer eingesetzt worden.
Beide Länder lieferten gegensätzliche Berichte darüber, wer die Verantwortung für den Ausbruch der Gewalt trägt. Aserbaidschan hat den Verlust von vier Soldaten bestätigt, mehrere weitere seien verwundet worden. Auf der armenischen Seite gibt es bisher offiziell fünf Verletzte und keine Tote. Aserbaidschanische Behörden gehen davon aus, dass die tatsächliche Anzahl der Verluste der armenischen Seite Dutzende Tote und Verletzte betrage, was von Armeniens Verteidigungsministerium allerdings bestritten wird. Es gibt auch Berichte über gegenseitigen Beschuss von Wohnorten. Bisher gibt es aber keine Opfer unter Zivilisten. Ein Haus in der aserbaidschanischen Provinz Towus soll beschädigt worden sein.
Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan sagte, dass keine provokativen Aktionen von Baku unbeantwortet bleiben würden. Das Außenministerium des Landes erklärte, dass die gesamte Verantwortung für den Vorfall bei der militärpolitischen Führung Aserbaidschans liege. Nach dem Vorfall führte der armenische Außenminister Sohrab Mnazakanjan ein Telefongespräch mit dem Generalsekretär der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) Stanislav Zas. Der Außenminister betonte die Unzulässigkeit solcher [militärischen] Maßnahmen gegen OVKS-Mitgliedstaaten. Kurz darauf wurde in der OVKS eine außerordentliche Sitzung einberufen. Später wurde diese jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt, was in Baku als Zeichen für fehlende Unterstützung für Armenien durch andere OVKS-Mitgliedsländer bewertet wurde. Armenien versuche, Drittländer mit „solchen provokativen Aktionen in den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan hineinzuziehen“, heißt es in der Erklärung des aserbaidschanischen Außenministeriums. Mit den „Drittländern” war dabei offenbar hauptsächlich Russland gemeint, das als Schutzmacht Armeniens in der Region fungiert.
Die Europäische Union, Russland, der Iran und die Türkei äußerten sich zu den besorgniserregenden Entwicklungen an der Grenze. „Wir sind sehr besorgt über den Schusswechsel an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan. Für beide Länder ist es wichtig, Zurückhaltung zu zeigen und alle Kommunikationskanäle zu nutzen, sowohl die direkten als auch die guten Vermittlungsdienste der Ko-Vorsitzenden der OSZE-Minsk-Gruppe“, twitterte der EU-Sonderbeauftragte für den Südkaukasus Toivo Klaar.
Das russische Außenministerium betonte, dass die weitere Eskalation zwischen den Parteien unzulässig sei und die Sicherheit der gesamten Region gefährde. Das Ministerium forderte die Konfliktparteien dazu auf, Zurückhaltung zu üben und den Waffenstillstand strikt einzuhalten. Das Ministerium erklärte sich bereit, die notwendige Hilfe zur Stabilisierung der Situation zu leisten. Der Iran bot ebenso seine Vermittlungsdienste an.
Die Türkei stellte sich hinter Aserbaidschan und machte Armenien für den Vorfall verantwortlich. Auch die Ukraine gab anlässlich der andauernden Kämpfe ein Statement ab, in dem sie eine Konfliktlösung im Rahmen der territorialen Integrität Aserbaidschans unterstützte. Die georgische Präsidentin Salome Surabischwili äußerte ihre Besorgnis über die Gewalteskalation. Die GUAM-Organisation, der neben Aserbaidschan die Türkei, die Ukraine und Moldau angehören, verurteilte die Angriffe Armeniens auf aserbaidschanische Truppen an der zwischenstaatlichen Grenze und ergriff somit Partei für Aserbaidschan.
Am 30. Juni fand ein Treffen zwischen den armenischen und aserbaidschanischen Außenministern Zohrab Mnazakanjan und Elmar Mammadjarow statt. Während der Konferenz wurden die öffentliche Gesundheitssituation der Region, die aktuelle Dynamik des Bergkarabach-Konflikts und die nächsten Schritte im Friedensprozess erörtert. Die OSZE-Minsk-Gruppe, die im Konflikt vermittelt, bewertete damals die relative Stabilität vor Ort positiv und zeigte sich zufrieden, dass die Seiten weiterhin bestehende direkte Kommunikationsverbindungen nutzten, um eine Eskalation zu vermeiden. Trotzdem bleibt ein Fortschritt in den Verhandlungen aus, denn Armenien und Aserbaidschan vertreten nach wie vor gegensätzliche Positionen. Die Minsk-Gruppe ruft nun zur Wiederaufnahme von substantiven Verhandlungen zwischen den verfeindeten Staaten aus.
Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach ist ein Erbe des Zusammenbruchs der UdSSR. Die Region gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, war aber zum Ende der Sowjetunion überwiegend von Armeniern bewohnt. Im Zuge des blutigen Krieges in den 1990-er Jahren wurden die ethnischen Aserbaidschaner aus der Region und den sieben umliegenden aserbaidschanischen Gebieten vertrieben. Seit 1994 herrscht zwischen den Ländern ein brüchiger Waffenstillstand. Die internationale Gemeinschaft wird in der bisher erfolglosen Konfliktvermittlung durch die Minsk-Gruppe der OSZE vertreten, welche ein Mandat von den Vereinten Nationen erhielt.
Der armenische Premierminister Paschinjan forderte die Veränderung des Verhandlungsformats, in welchem die international nicht anerkannte Republik von Bergkarabach in die Verhandlungen aufgenommen werden würde. Dies wurde von Aserbaidschan abgelehnt. Seitdem sind die Gespräche ins Stocken geraten und de-facto stillgelegt. In einem kürzlichen Interview mit Caucasus Watch warnte die Forscherin am Zentrum für Osteuropäische und internationale Studien in Berlin, Dr. Nadja Douglas, dass diese Entwicklungen in den armenisch-aserbaidschanischen Verhandlungen über Bergkarabach „eine erneute Abkehr von beiden Seiten vom Friedensprozess darstellen.”