Spannungen zwischen Aserbaidschan und Armenien haben zugenommen

Die Lage an der aserbaidschanisch-armenischen Grenze sowie in Bergkarabach ist seit mehreren Tagen angespannt.

Am 16. November teilte das aserbaidschanische Verteidigungsministerium mit, dass zwei Soldaten infolge einer Verletzung des Waffenstillstands an der Staatsgrenze verwundet worden seien. Am 17. November gab das Ministerium zu, dass 7 aserbaidschanische Soldaten getötet wurden. 

Armenien erklärte, es habe der aserbaidschanischen Armee nicht erlaubt, vorzurücken. Es hat jedoch zwei Militärposten verloren. Darüber hinaus wurden 12 armenische Soldaten von den aserbaidschanischen Streitkräften gefangen genommen, 24 weitere armenische Soldaten werden vermisst. Im Einklang mit dem bilateralen Abkommen von 1997 appellierte Eriwan an Moskau, die Souveränität des Landes zu schützen. „Da es sich um einen Angriff auf das souveräne Territorium Armeniens handelt, wenden wir uns gemäß dem Vertrag von 1997 an Russland mit der Aufforderung, die territoriale Integrität Armeniens zu schützen. Ein schriftliches Ersuchen ist in Vorbereitung“, sagte der Sekretär des armenischen Sicherheitsrates, Armen Grigoryan, in einer Fernsehansprache. 

Der Präsident der Europäischen Union, Charles Michel, teilte mit, dass er sowohl mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew als auch mit dem armenischen Premierminister Nikol Paschinjan gesprochen und zu einer „dringenden Deeskalation und einem vollständigen Waffenstillstand“ aufgerufen habe. Am 16. November um 18:30 Uhr wurde ein Waffenstillstand vereinbart, allerdings unter Russlands Vermittlung.

Hintergrund der Eskalation

Am 15. November beschuldigte Armenien Aserbaidschan, „von der Ostgrenze aus einzudringen“. Premierminister Nikol Paschinjan berief eine Sitzung des Sicherheitsrates ein, um die oben genannte Erklärung abzugeben. Die Sprecherin des aserbaidschanischen Außenministeriums, Leyla Abdullayeva, erklärte lediglich, dass „als Reaktion auf die Provokationen Armeniens geeignete Maßnahmen ergriffen wurden“. 

Das armenische Verteidigungsministerium entgegnete, Baku betreibe eine „groß angelegte Desinformationskampagne“ und es sei „mehr als offensichtlich, dass es Aserbaidschan war, das die armenischen Stellungen mit Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen angegriffen hat“.

Am Morgen des 15. November teilte das Verteidigungsministerium mit, dass die Stellungen der aserbaidschanischen Armee in Richtung Kalbajar und sogar Fahrzeuge, die am Bau der Infrastruktur arbeiten, intensiv beschossen wurden.

Der sog. ‘Zangazur-Korridor’ ist derzeit der Hauptstreitpunkt zwischen den Parteien. Armenien weigert sich, einen solchen Korridor zur Verfügung zu stellen, der für Aserbaidschans politische und logistische Interessen von entscheidender Bedeutung ist und das Land mit Nachitschewan und der Türkei verbinden könnte.

Die jüngsten Ereignisse könnten den fragilen Beziehungen zwischen den beiden Ländern schaden und die bisher erzielten „positiven Fortschritte“ untergraben, meint der armenische politische Kommentator und Direktor des Regionalen Forschungszentrums in Eriwan Richard Giragosian.

„In einem breiteren Kontext haben diese jüngsten Spannungen nichts mit dem Bergkarabach-Konflikt oder der Präsenz der russischen Friedenstruppen zu tun. Vielmehr handelt es sich um Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan, die ein neues Problem im Zusammenhang mit der Nachkriegskonfrontation darstellen“, sagte er.

Nach Ansicht von Giragosian zeigen die jüngste Eskalation und die gelegentlichen Zusammenstöße, dass die Verbindung zwischen den Ereignissen auf lokaler Ebene und den Anzeichen für positive Fortschritte auf höchster diplomatischer Ebene zwischen den Staatschefs nicht mehr gegeben ist. Die Eskalation zwischen den Parteien könnte „auf Bedenken“ hinsichtlich der Umsetzung des erwarteten ersten Abkommens über die Wiederherstellung der Verkehrsverbindungen zurückzuführen sein.

Die Straße Goris-Kapan stand in den letzten Tagen im Mittelpunkt einer Kontroverse. Armenien hat angekündigt, dass es auf dem durch Aserbaidschan verlaufenden Abschnitt der Straße Zollkontrollstellen einrichten wird. Der armenische Premierminister sagte auf einer Regierungssitzung, dass die Einrichtung aserbaidschanischer Posten auf der Straße Goris-Kapan zwar vermieden werden könne, dies aber Kosten im Bezug auf ‘Korridorlogik’ hätte. „Es stellt sich die Frage, ob es nicht möglich wäre, über den Verzicht auf Grenzkontrollen für die Bürger und Güter der Republik Armenien auf dieser Straße zu verhandeln. Das wäre möglich, aber es würde uns die Korridorlogik kosten, was ebenfalls inakzeptabel ist“, sagte Paschinjan am 12. November.

Nach Ansicht von Elkhan Shahinoglu, Leiter des Atlas Research Center, zeigt eine Analyse der armenischen Ankündigung der Einrichtung von Zollkontrollstellen, dass Eriwan „bestimmte Signale“ aus Baku erhalten hat.

„Demnach hätte Baku, wenn Armenien dem Zangazur-Korridor zugestimmt hätte, keine solche Entscheidung getroffen, d.h. es hätte keine Zollstelle über 21 km (dem Teil der Straße, der durch Aserbaidschan führt) eingerichtet." Elkhan Shahinoglu sagt, dass die armenische Seite auf „diesen Deal“ nicht eingegangen ist. 

Die Verhandlungen über die Öffnung der Verkehrsverbindungen haben zu Spannungen innerhalb Armeniens geführt. „Die Regierung, ein Symbol der Niederlage, hat in den Verhandlungen ein weiteres Zugeständnis gemacht. Aserbaidschan hat die volle Kontrolle über die Straße Goris-Kapan übernommen“, erklärte der Hayastan-Block, der vom ehemaligen Präsidenten Robert Kotscharjan angeführt wird, am 12. November.

Nach Ansicht des politischen Kommentators Shahin Jafarli ist es „überraschend“, dass der ehemalige Präsident Robert Kotscharjan, der für seine Nähe zu Moskau bekannt ist, an der Spitze der Proteste gegen die von Russland ausgehandelten Abkommen steht. Seiner Meinung nach arbeitet Russland jedoch daran, Armeniens Bedenken bezüglich der Öffnung der Verkehrswege auszuräumen.

„Russlands Vertreter in der trilateralen Arbeitsgruppe, der stellvertretende Ministerpräsident Alexej Overchuk, sagte, dass es nicht darum gehe, Korridore zu schaffen, die Staaten ihrer Souveränität berauben würden“, sagte er. Shahin Jafarli glaubt auch, dass Proteste in Armenien möglich sind, weil das geplante Gipfeltreffen zwischen den Parteien noch nicht stattgefunden hat.

 

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