Wachsende Risiken im Bergkarabachkonflikt
Trotz der Hoffnungen einiger internationaler Experten haben sich die Positionen Armeniens und Aserbaidschans im Bergkarabachkonflikt in den letzten Wochen nicht angenähert. Der jüngst erfolgte diplomatische Schlagabtausch zwischen den beiden Ländern deutet eher auf das Gegenteil hin. So bekräftigte der neue armenische Premierminister am 7. Juni seine Aussage, dass ohne Bergkarabach als gleichberechtigte Partei am Verhandlungstisch die armenisch-aserbaidschanischen Friedensverhandlungen nicht effizient sein könnten. Im Gegensatz zu den Präsidenten Sargsjan und Kotscharjan stamme Paschinjan nicht aus Bergkarabach und sei somit „weder rechtlich noch moralisch“ befugt, im Namen der Karabach-Armenier zu sprechen. Ferner erklärte Paschinjan, dass die Karabach-Aserbaidschaner, anders als die Karabach-Armenier, nicht als gleichberechtigte Partei an den Verhandlungen teilnehmen dürften, da sie bereits „zu aserbaidschanischen Staatsbürgern“ geworden seien. Aktuell wird Berkarabach fast ausschließlich von Armeniern bewohnt, wurde doch die aserbaidschanische Bevölkerung infolge des armenisch-aserbaidschanischen Kriegs in den 90er Jahren aus der Region vertrieben.
Das aserbaidschanische Außenministerium bezeichnete die Aussagen des armenischen Premierministers als „einen Schritt, mit dem eine Störung des Friedensprozesses“ beabsichtigt sei und der „dem Erhalt des auf der Okkupation beruhenden, nicht-konstruktiven Status quo“ diene. Der Pressesprecher des Ministeriums erinnerte zudem an die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, in denen „der vollständige Abzug der armenischen Truppen aus den besetzten aserbaidschanischen Gebieten“ gefordert werde.
Russland, das eine dominante Position im armenisch-aserbaidschanischen Verhandlungsprozess einnimmt, nahm eine neutrale Haltung ein. „Alle Entscheidungen über Änderungen des Verhandlungsformats werden auf der Grundlage der zwischen Armenien und Aserbaidschan erzielten Vereinbarungen getroffen. Falls sich die Parteien in einer Verhandlungsphase darauf einigen sollten, dass auch Bergkarabach bei den Verhandlungen repräsentiert werden soll, dann wird das eine Entscheidung sein, die wir respektieren würden“, sagte Außenminister Sergej Lawrow bei einem Treffen mit seinem armenischen Amtskollegen am 7. Juni, berichtet Panarmenian.net.
Nicht nur die Atmosphäre in den Verhandlungen, sondern auch die Lage entlang der Frontlinie bleiben angespannt. Ende Mai hätten Armenier in sozialen Medien Bilder verbreitet, die darauf hinwiesen, dass das aserbaidschanische Militär eine neue Stellung auf einer der Anhöhen an der Grenze zwischen Armenien und der Autonomen Republik Nachitschewan errichtet habe, meldet die armenische Website Armpress. Der Pressesprecher des armenischen Verteidigungsministeriums, Artsrun Owannisjan, bestätigte diese Information. Laut dem Pressesprecher gebe es jedoch „keinen Grund zur Panik“. Aserbaidschan habe diese Stellung auf seinem eigenen Territorium eingerichtet. Armenien selbst verfüge über etliche strategisch vorteilhafte militärische Stelllungen in Gebirgslage. „Diskussionen in sozialen Netzwerken hindern uns oft daran, die Probleme zu lösen. Ich bitte um Zurückhaltung“, schrieb der armenische Offizielle auf seiner Facebook-Seite.
Die Medien in Aserbaidschan berichten, dass die aserbaidschanischen Sondereinheiten in die so genannte „neutrale Zone“ vorgerückt seien und neue Anhöhen unter ihre Kontrollen gebracht hätten – einschließlich der Anhöhe Gysylgaja in der Scharur-Region. Dadurch werde das aserbaidschanische Dorf Gunnut nicht mehr von armenischen Truppen beschossen werden können. Darüber hinaus habe die aserbaidschanische Armee hiermit die Möglichkeit erhalten, die Landstraße von Jerewan–Goris–Latschin zu kontrollieren. Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium hat sich zu diesem Thema bisher nicht geäußert.
Die Lage rund um die Autonome Republik Nachitschewan, die vom Kernterritorium Aserbaidschans getrennt ist, ist seit Mitte Mai angespannt. Am 20. Mai wurde bei einem Schusswechsel an der Grenze zwischen der aserbaidschanischen Exklave und Armenien ein aserbaidschanischer Soldat getötet. Zwei Tage später wurde an demselben, sonst als ruhig geltenden, Grenzabschnitt ein armenischer Soldat erschossen.
Auch in Bergkarabach selbst kam es in den letzten Tagen zu Protesten der lokalen Bevölkerung und einer politischen Krise, nachdem circa 15 Vertreter des Nationalen Sicherheitsdienstes der nicht anerkannten Republik am 3. Juni zwei Zivilisten auf der Straße geschlagen hatten. Dabei habe die Polizei nicht die Täter, sondern die Opfer festgenommen, berichtet OC Media unter Berufung auf armenische Medien. Infolge der heftigen Proteste, die erst nach dem Appell des armenischen Premierministers Nikol Paschinjan an die Protestierenden am 4. Juni endeten, traten der Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes, Arschawir Karamjan, sowie sein Stellvertreter, Garik Sarkisjan, zurück. Auch der Staatsminister Araik Arutjunjan und Polizeichef Kamo Agadschanjan traten zurück, berichtet news.am.