Aserbaidschan in Teherans strategischem Kalkül

-Philip Röhrs-Weist

Im März besuchte eine aserbaidschanische Delegation Teheran, um über erweiterte wirtschaftliche Kooperationsmöglichkeiten mit dem Iran zu sprechen. Der Besuch ereignet sich in einer Zeit, in der Iran versucht seine wichtigsten außenpolitischen Prioritäten abzudecken.

Obwohl Iran historisch gesehen enge Verbindungen zum Kaukasus hat, gilt die Region in der momentanen Notlage in der sich Teheran befindet, als Nebenschauplatz der iranischen Außenpolitik. Teheran hat sich auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion überwiegend auf die Ausbreitung seines Einflusses im Nahen Osten beschränkt. Viele Beobachter sahen mit dem Abschluss des Joint-Comprehensive Plan of Action (JCPOA) jedoch neue Möglichkeiten für den Iran durch einen Zufluss an Kapital und die Öffnung internationaler Märkte sein außenpolitisches Profil auszuweiten. Besonders der Kaukasus bot sich an, um Iran als bedeutsamen regionalen Wirtschaftsakteur zu re-integrieren.

Der Optimismus hielt jedoch nicht lange an und der JCPOA wurde bereits 2018 vom nachfolgenden US-Präsidenten Trump für nichtig erklärt. Eine neue Containment-Strategie ersetzte die Bemühungen der Obama-Administration Iran in die internationale Ordnung einzubringen. Der Druck durch erneuerte Sanktionspakete sowie öffentliche Aussagen von hohen US-Offiziellen zur Möglichkeit eines Regime Change zwingt Teheran erneut dazu, seine außenpolitischen Prioritäten enger zu definieren. Im Bezug auf die iranischen Öl-und Gasexporte berichtete die Süddeutsche Zeitung erst kürzlich, dass die US-Regierung seit dem 2. Mai alle Ausnahmeregelungen  suspendiert hat und Staaten die sich nicht an das Ölembargo halten künftig sanktionieren will.

Irans prekäre Wirtschaftslage

Die momentane wirtschaftliche Situation könnte bedrohlich für das iranische Regime werden, da die dadurch verursachten sozialen Missstände und wirtschaftliche Not bereits zu mehreren Protesten führten, die speziell gegen die Führung Chameneis gerichtet waren. Der langerwartete wirtschaftliche Aufschwung durch das Ende der Sanktionen wurde durch ein Zusammenspiel aus niedrigen Ölpreisen und dem neuen Sanktionsdruck im Keim erstickt. Die Aufkündigung des JCPOA führte zu der gegenwärtigen Rezension mit einem wirtschaftlichen Negativwachstum von -1,5% in 2018 und einem erwarteten Wachstum von -3,6% in 2019. Der IMF prognostizierte Ende 2018 einen weiteren Zuwachs der ohnehin hohen Inflationsrate (März 2016-März 2018: 9%-9,5%) aufgrund der Sanktionen. Diese Umstände sorgen dafür, dass Irans  Kapazitäten zur Ausweitung von außenpolitischem Einfluss künftig massiv beschränkt werden.

Der Nahe Osten gilt nach wie vor als Hauptschauplatz iranischer Aktivitäten. Dies liegt vor allem daran, dass Teheran versucht amerikanische Verbündete in der Region durch die Formierung und den Einsatz militanter Gruppierungen zu binden und von direkten militärischen Schlägen gegen den Iran abzuschrecken. Jedoch zeigten Berichte der letzten Wochen über den Mangel an Geldmitteln von Gruppen wie Hezbollah auch in diesen hoch priorisierten Angelegenheiten, dass das iranische Regime zunehmend eingeschränkt wird.

Darüber hinaus kam es innerhalb Irans zu zahlreichen Protesten in der zweiten Jahreshälfte 2018, welche die Sicherheit des Regimes gefährden. Es ist in Zeiten wie diesen, in denen Teheran besonders darauf bedacht ist, für Stabilität in den von Minderheiten bewohnten Gebieten zu sorgen, da diese sonst anfällig für externen Einfluss werden. Unter diesen Voraussetzungen ist es einleuchtend, dass Iran in seinem Handlungsspielraum stark eingeschränkt ist und seine grundlegenden Sicherheitsinteressen über allen anderen Sekundärinteressen, wie die allgemeinen wirtschaftlichen und diplomatischen Bestrebungen im Kaukasus, verfolgt.

Gute bilaterale Beziehungen zu Aserbaidschan, im Speziellen, können jedoch aufgrund zweier Faktoren zu diesen sicherheitspolitischen Kerninteressen Irans gezählt werden.

Regimesicherheit: Tauziehen zwischen Nationalismus und Islamismus

Zum einen sind Azeris die größte Minderheit im ethnisch-religiös heterogenen Iran und machen ca. ein Viertel der iranischen Bevölkerung aus. Die iranischen Azeris gelten, hauptsächlich aufgrund ihres mehrheitlich schiitischen Glaubens, allgemein als die am besten integrierte Minderheit im Iran. Neben zahlreichen iranischen Führungsfiguren ist auch Ayatollah Chamenei selbst ethnischer Aserbaidschanischer und spricht mit Delegetierten aus Aserbaidschan gerne in ihrer Muttersprache. Trotzdem leiden iranische Azeris wegen ihrer ethnischen Abstammung oftmals unter Diskrimierung durch die persischen Eliten in Teheran und das iranische Regime ist besorgt über wiederkehrende nationalistische Slogans und Rufe zur Vereinigung mit Aserbaidschan, insbesondere während Sportveranstaltungen und anderer Großereignisse. So kam es in der Vergangenheit besonders bei Spielen des Tebrizer Fußballklubs „Trakhtor“ zu Zwischenfällen. Auch Paschinjans Besuch im Iran löste Proteste von Seiten der iranischen Aserbaidschaner aus, nachdem er sich dort mit der armenischen Gemeinde vor einem Plakat mit dem Slogan „Bergkarabach gehört zu Armenien“ fotografieren lassen hat.

Solche spontanen Ausbrüche stellen an sich keine existenzielle Gefahr für das Regime dar. Diese könnten aber in Zeiten von Instabilität und wirtschaftlicher Sorgen zu einem systematischen Problem werden, besonders, wenn Aserbaidschan separatistische Bewegungen rhetorisch oder sogar logistisch unterstützen würde. Bislang stoßen solche Überlegungen aber vorrangig innerhalb des US-Establishments und in Israel auf Unterstützung. Baku agierte diesbezüglich bisher zurückhaltend.

All zu abwegig ist dieses Risiko für Iran jedoch nicht. Baku und Teheran  haben eine konfliktbehaftete Geschichte. Beide Seiten sehen die Ambitionen des jeweils Anderen mit Sorge. Baku fürchtet, dass Iran versuchen könnte, Aserbaidschan als Teil seiner historischen schiitischen Einflusssphäre zu betrachten. Revanchistische Stimmungen sind besonders innerhalb der ultrakonservativen Elite Irans verbreitet. Öffentliche Äußerungen wie die des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Ayatollah Said Muhammed Bokiri Harrosi und des Parlamentsabgeordneten Nadir Gasipur über die Wiedereinverleibung von Aserbaidschan und der Revidierung der Gülistan-und Turkmentschai Abkommen schüren diese Ängste. Darüber hinaus kommt es von Zeit zu Zeit zu allgemeiner öffentlicher Kritik an Aserbaidschans sekularer Ausrichtung durch iranische Offizielle.

Die Unterstützung islamistischer Bewegungen, wie der Islamischen Partei Aserbaidschans und die stark iranorieniterte Bewegung um den radikalen Theologen Taleh Bagirzade, sowie nachgewiesene verdeckte Operationen in Aserbaidschan spielen zusätzlich in diesen Narrativ. Die verhinderten Attacken auf die amerikanische und israelische Botschaft 2012 dienen als Beispiel für solche iranischen Operationen in Aserbaidschan.

Auf der anderen Seite dürfte Teheran die öffentlichen Äußerungen aus Baku unter der Volksfrontregierung in den 1990-er Jahren zu der „Wiedervereinigung“ mit dem iranischem Aserbaidschan kaum vergessen haben. Kritische Medienberichte über die harsche Behandlung der Azeris durch die iranischen Sicherheitskräfte und die Verbindungen die Aserbaidschan zu Gruppen iranischer Azeris beobachtet Teheran ebenso mit Sorge, obgleich sich die Regierung in Baku von offiziellen Kommentaren in Bezug auf die inneriranischen Angelegenheit schon seit vielen Jahren zurückhält und zumindest offiziell keine Kontakte zu den separatistischen Kräften unter den iranischen Aserbaidschanern pflegt.

Trotzdem bleibt Teheran besorgt über die heterogene Verfasstheit der iranischen Gesellschaft und eine mögliche Schwächung der Zentralmacht im Iran. So schreibt Nahawandi beispielsweise: „Iran ist nach wie vor nervös wegen der autonomistischen Trends innerhalb des Landes. Diese Trends wurden von Zeit zu Zeit von politischen Gruppierungen ausgenutzt und sogar von ausländischen Mächten gefördert.[...] Trotz der Teilhabe der Aserbaidschaner an dem wirtschaftlichen und politischen Leben des Landes, könnte bei den Aserbaidschanern der Sezessionswunsch in Folge sozialer Unzufriedenheit oder, wie es in der Nachkriegszeit der Fall war, aufgrund ausländischer Unterstützung entstehen.“ [Rawandi-Fadai L. M., a.a.O., S.173]

Unter Rouhanis Regierung verbesserten sich die bilateralen Beziehung jedoch stetig und die wirtschaftlichen Beziehungen wurden ausgebaut. Die Beziehungen werden von Offiziellen seit 2015 öffentlich als „freundschaftlich“ beschrieben und Irans Andeutungen an einer Anbindung an die TANAP interessiert zu sein, scheinen in Baku auf offene Ohren zu stoßen. Oberflächlich betrachtet resultierten diese Annäherungen soweit in einer Reduzierung der gegenseitigen Einflussnahme und führten insgesamt zu einer stabileren Situation in beiden Ländern.

Nationale Sicherheit: Aserbaidschan als Teil der anti-Iran Koalition?

Auf der anderen Seite ist Aserbaidschan von Relevanz aufgrund seiner strategischen Partnerschaft mit Israel und seinen guten Beziehungen zu den USA. Baku hat historisch tiefe Beziehungen zu Israel. Israel war einer der ersten Staaten, welche die Unabhängigkeit Aserbaidschans in 1991 annerkannte und Aserbaidschan wird seit seiner Unabhängigkeit als eines der wenigen islamischen Länder mit freundschaftlichen diplomatischen Beziehungen zu Israel eingestuft. Israel bezieht den Großteil seiner Energieträger via der TBC-Pipeline aus Aserbaidschan und unterstützte Baku bei der Modernisierung und Ausbildung seiner Streitkräfte. Darüber hinaus gibt es einen aktiven Austausch und Kooperationsabkommen im Bereich der Militärtechnologie, einschließlich eines 1,6 Milliarden Dollar Exportdeals unterschiedlicher israelischer Waffensysteme der 2012 abgeschlossen wurde. Der ehemalige Präsident Heidar Alijew soll 2001 zu Hasan Rouhani gesagt haben, dass Aserbaidschan auf keinen Fall seine Beziehungen zu den USA und Israel revidieren werde. Demnach würde jeder Druck Irans in diese Richtung erfolglos bleiben und Aserbaidschan werde nie zu einer islamischen Republik nach dem Beispiel Irans werden.

In 2012 kursierten während des Höhepunktes israelisch-iranischer Spannungen über das iranische Atomprogramm Gerüchte über ein geheimes Abkommen, welches Israel erlauben würde, aserbaidschanische Einrichtungen zur Durchführung von Luftschlägen gegen iranische Ziele zu nutzen. Obwohl Baku diese Gerüchte bestritt bleiben Offizielle in Teheran skeptisch, besonders vor dem Hintergrund von Wikileaks Offenbarungen in 2009, nach denen Ilham Aliyew die aserbaidschanisch-israelischen Beziehungen mit einem „Eisberg“ verglich, der sich größtenteils unter Wasser befindet.

Aserbaidschan wurde in der Vergangenheit an der Seite der USA und Israel oft als Teil einer trilateralen Allianz zur Eindämmung Irans genannt und während der Amerikanischen Nah-Ost Konferenz in Warschau 2016 kamen erneut Gerüchte über eine innoffizielle Zustimmung Bakus zum erneuten Eindämmungskurs gegen Irans Expansionspolitik auf. Wahr oder nicht, Teheran hat ein Interesse daran jede Möglichkeit der aktiven Teilnahme Aserbaidschans an zukünftigen Eindämmungsinitiativen zu unterbinden.

Prognose

Teheran wird die Beziehungen zu Aserbaidschan aufgrund dieser beiden Faktoren auch weiterhin als Priorität sehen, da sowohl Teherans Regimesicherheit als auch Irans nationale Sicherheit stark durch Baku unterminiert werden könnten. Gute Beziehungen sind daher ein Imperative und Iran wird trotz eingeschränkter Ressourcen versuchen, Aserbaidschan wirtschaftlich und diplomatisch enger an sich zu binden. TANAP ist nur das prominenteste, wenn auch auch nicht unbedingt das Beispiel mit den höchsten Realisierungschancen. Es gibt vielversprechende Infrastrukturinititativen, wie beispielsweise den Nord-Süd-Transportkorridor, mittels derer Teheran in Zukunft intensivere wirtschaftliche Interdependenzen zu Aserbaischan schaffen kann. Kürzlich kam es außerdem zu neuen Kooperationen im Bereich der Fahrzeugproduktion und der bilaterale Handel ist in den letzten Jahren insgesamt stark angestiegen (um 73% in 2018 laut des iranischen Botschafters). So können die Äußerungen der iranischen und aserbaidschanischen Offiziellen während des kürzlichen Besuches Mammadyarovs bezüglich der Kooperation bei umfassenden Konzepten, wie der Entwicklung des Internationalen Nord-Süd-Korridors, für mehr als nur Rhetorik gesehen werden. Man kann erwarten, dass Iran versuchen wird, sich verstärkt als Schlüsselpartner für Aserbaidschans wirtschaftliche Integration innerhalb Eurasiens zu etablieren. Ob dies unter der aktuellen Sanktionslage gelingen wird, bleibt abzuwarten.

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