Georgien: von Russland bedroht, vom Westen allein gelassen?
Vor genau zehn Jahren brach der folgenschwere 5-tägige russisch-georgische Krieg aus. Der Einmarsch von russischen Truppen in Georgien im Jahr 2008 und die danach erfolgte Anerkennung von Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten durch Russland demonstrierten die hohe Bereitschaft Moskaus, seine Interessen im Südkaukasus auf harte Weise durchzusetzen – wenn nötig, auch mittels völkerrechtswidriger militärischer Gewalt. Bereits sechs Jahre später wiederholte sich in der Ukraine das gleiche Muster nach der Maidan-Revolution.
Georgien bemüht sich seit vielen Jahren, dem NATO-Block beizutreten, jedoch ist Tbilisi von diesem Ziel trotz der Vielzahl von ermutigenden Erklärungen, die man in den vergangenen Jahren immer wieder vom Westen hörte, noch weit entfernt. Bei dem NATO-Gipfel in Brüssel sagte der US-Präsident Donald Trump, dass Georgien in Zukunft eine Chance bekommen könnte, NATO-Mitglied zu werden – allerdings „nichts jetzt“. Eine reale Beitrittsperspektive sieht anders aus.
In den letzten Wochen machte die russische Führung mehrfach deutlich, dass sie keine NATO-Mitgliedschaft Georgiens dulden werde. Moskaus Botschaft ist damit klar: Russland verfügt über das absolute Gewaltmonopol im Kaukasus, und allein Moskau dürfe darüber entscheiden, wie und ob seine südkaukasischen Nachbarn die bestehenden Konflikte lösen. Eine „Aggression“ – selbstverständlich, sofern diese nicht von Russland selbst ausgeht – würde „unvermeidbar“ bestraft werden.
Der russische Premierminister, Dmitrij Medwedew, gab der Zeitung „Kommersant“ ein Interview anlässlich des 10. Jahrestages des russisch-georgischen Kriegs. Im Gespräch mit der Zeitung machte der russische Regierungschef, der damals Präsident der Russischen Föderation war, den ehemaligen georgischen Ex-Präsidenten, Mikheil Saakaschwili, für den Ausbruch des 5-tägigen Krieg 2008 verantwortlich.
Laut Medwedew sei sein Verhältnis mit Saakaschwili am Anfang „ziemlich gut“ gewesen. Russland sei damals bereit gewesen, zur Beilegung des innergeorgischen Konfliktes und dem Annäherungsprozess zwischen Georgien und den beiden abtrünnigen Gebieten beizutragen. Saakaschwili habe daraufhin seine Bereitschaft erklärt, gemeinsam mit Russland an der Lösung der Konflikte zu arbeiten. Allerdings sei der georgische Präsident nach mehreren Treffen mit ihm „verschwunden“, behauptet Medwedew. „Ich kann mich daran erinnern, dass er (Saakaschwili) ungefähr seit Anfang 2008 den Kontakt abgebrochen hat. Damals hatte ich diesem Anzeichen keine Bedeutung verliehen, nun neige ich aber dazu zu denken, dass dies sein bewusst gewähltes Verhalten war“. Dieses Verhalten Saakaschwilis erklärt Medwedew damit, dass sich der georgische Präsident durch die USA beraten ließ, unter anderem von Condoleezza Rice, Daniel Fried und Dick Cheney. „Ich denke, dass Saakaschwili davon überzeugt war, dass die Amerikaner ihn in jeder Situation unterstützen würden“, so Medwedew.
Russlands Anerkennung von Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten begründete Medwedew damit, dass Russland nach dem Krieg 2008 keinen Raum mehr für eine gewaltsame Lösung des Konflikts in der Zukunft lassen wollte. Der russische Premierminister erinnerte außerdem an den Untersuchungsbericht der schweizerischen Diplomatin, Heidi Tagliavini, die zu der Feststellung kam, dass der Militärschlag von der georgischen Seite ausgegangen ist. Das Wichtigste im Bericht sei Medwedew zufolge die Tatsache, dass die „Aggression seitens Georgiens begonnen“ worden sei. Alles andere, wie etwa die Unverhältnismäßigkeit der Reaktion der Russischen Föderation, seien lediglich „wertende Beurteilungen“.
Zu einem möglichen NATO-Beitritt Georgiens sagte Medwedew, dass dies zu „einem schrecklichen Konflikt“ führen könnte, weil für Russland Abchasien und Südossetien „zweifelsohne unabhängige Staaten“ seien, in denen nun auch russische Militärstützpunkte stationiert seien. „Wir verstehen, dass, wenn ein anderes Land diese Gebiete als eigene betrachtet, es zu sehr schweren Folgen führen kann. Deshalb hoffe ich, dass die NATO-Führung über genug Fassungskraft verfügt, um in dieser Richtung nichts zu unternehmen“, warnte Medwedew. Einen möglichen NATO-Beitritt Georgiens und die NATO-Osterweiterung bezeichnete er auch als „absolute Bedrohung für Russland“ und „unverantwortliches Verhalten“, welches den Frieden bedrohe.
Dmitrij Medwedew sprach von der Bereitschaft seiner Regierung, mit der neuen georgischen Regierung einen Dialog zu führen und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten wiederherzustellen. Die Anerkennung von Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten seien kein Problem, welches den Charakter der russisch-georgischen Beziehungen „für immer“ vorbestimmt habe.
Auch der russische Staatssekretär und Vize-Außenminister, Grigorij Karasin, äußerte sich zum Krieg mit Georgien 2008. „Tbilisi und andere Länder – nicht nur im Kaukasus, sondern in der ganzen Welt – sollten von dem Beispiel der Ereignisse im August 2008 lernen, dass die Bestrafung für eine Aggression unvermeidbar ist“.
Zurzeit hält Georgien gemeinsam mit der NATO die internationalen Militärübungen „Noble Partner“ ab. Mehr als 3000 Soldaten aus insgesamt 13 Ländern nehmen an den Übungen teil. Neben Georgien beteiligen sich daran Deutschland, die USA, Großbritannien, Estland, Frankreich, Lettland, Polen, Norwegen, die Türkei, die Ukraine, Aserbaidschan und Armenien. Besonders gereizt reagierte Russland auf die Teilnahme von Baku und Jerewan am Manöver. Moskau bedauere, dass „die Nachbarstaaten Georgiens unter unterschiedlichen Vorwänden in diese Übungen involviert“ worden seien, erklärte die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa. Die NATO-Übungen in Georgien verfolgten das Ziel, „militärischen Druck auf Abchasien, Südossetien und Russland“ auszuüben, sagte die Pressesprecherin.
Während Aserbaidschan keinem Militärblock angehört, politisch sowie militärisch eng mit der Türkei verbündet ist und daher über einen größeren Handlungsraum bei seinen Kontakten zur NATO verfügt, erscheint die Teilnahme Armeniens am Militärmanöver besonders brisant. Denn das Land ist Mitglied in dem von Russland dominierten Militärblock OVKS. Das Verhalten Jerewans dürfte in Moskau die schon ohnehin existierenden Befürchtungen befeuern, dass die neue armenische Regierung von Nikol Paschinjan gegenüber Russland nicht loyal genug ist. Erst vor einer Woche haben die armenischen Ermittlungsbehörden den Generalsekretär der OVKS, Jurij Chatschaturow, kurzzeitig verhaftet, was für großen Unmut in Russland sorgte. Nachdem der russische Außenminister seine Unzufriedenheit mit dem Vorgehen der neuen armenischen Regierung öffentlich geäußert hat, durfte Chatschaturow Armenien verlassen und nach Moskau zurückkehren. Chatschaturow wird beschuldigt, im März 2008 in Absprache mit dem bereits inhaftierten und als russlandtreu geltenden Ex-Präsidenten Robert Kotscharjan Armeeeinheiten gegen Demonstranten eingesetzt zu haben.
Allerdings darf die Teilnahme von Tbilisi, Baku und Jerewan am NATO-Manöver auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Russland nach wie vor die entscheidende Macht im Südkaukasus bleibt und weiterhin die Spielregeln in der Region diktiert. Der fortbestehende Status-Quo nach August 2008 und eine fehlende Perspektive für die Lösung der bestehenden Konflikte im Südkaukasus sind ein Beweis dafür.