Thomas de Waal: Zeit als einer der Faktoren für die Beilegung des Bergkarabach-Konflikts

Der britische Journalist und Schriftsteller, Thomas de Waal, kommentierte in seinem Interview mit „Euroasia Dairy“ den aktuellen Stand der Friedensgespräche um  die Beilegung des Bergkarabach-Konflikts. Laut dem Analysten sollte man die Erwartungen nicht zu hoch ansetzen. Seines Erachtens nach, sei die Situation an der Kontaktlinie 2018 im Vergleich zu den Vorjahren zwar relativ ruhig gewesen, in Anbetracht der intensiven Kampfhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan im April 2016 sei jedoch keine neue Eskalation auszuschließen.

Laut de Waal ist der neue armenische Ministerpräsident demokratischer geprägt und stammt außerdem, im Gegensatz zu seinen zwei Vorgängern, nicht aus Bergkarabach. Das verschaffe ihm die Möglichkeit immer wieder zu betonen, dass er im Namen der Karabach-Armenier sprechen könne. Der britische Experte ist allerdings davon überzeugt, dass Paschinjans Forderung bezüglich der Miteinbeziehung von Bergkarabach in den Verhandlungsprozess ein Trick sei, um Zeit zu gewinnen. Der armenische Regierungschef wolle keinen intensiven Verhandlungsprozess starten und möchte sich auf interne Probleme des Landes konzentrieren. „Ich bin sicher, dass er wie jeder andere Anführer Armeniens die Notwendigkeit eines Kompromisses in der Karabach-Frage versteht, aber er möchte ernsthafte Diskussionen innerhalb der Gesellschaft darüber führen und den Karabach-Armeniern versichern, dass er sie nicht zwingen wird, Positionen einzunehmen, für die sie nicht einstehen“, so de Waal.

Zur Einstellung Aserbaidschans hinsichtlich der Beilegung des Konflikts sagte der Experte, dass Aserbaidschan in letzter Zeit seine Haltung in einigen kleineren Fragen gelockert habe, um Paschinjan eine Chance zu geben. De Waal bezeichnete die Einrichtung einer „Hotline“ zwischen den Militärs beider Länder als einen wichtigen Schritt der aserbaidschanischen Seite. Diese Entscheidung sei von wichtiger Bedeutung, um die Eskalation an der Kontaktlinie zu verhindern und die Sicherheitsprobleme zu lösen. Der Experte wies darauf hin, dass die politischen Positionen der beiden Konfliktparteien unverändert blieben, was die Erzielung von Fortschritten bei den Verhandlungen in absehbarer Zukunft in Frage stelle.

Die Versöhnung brauche Zeit und die Gesellschaften der beiden Länder müssten sich ändern. „Ein Hauptgrund für die Verzögerung der Lösung des Bergkarabach-Konflikts ist, dass jede Nation sich immer nur auf ihren eigenen Schmerz konzentriert und sich nicht vorstellen kann, was die andere Seite erlitten hat. Das braucht Zeit. Vielleicht kann die nächste Generation diesen Schritt machen“, so der Analyst.

Seit der “Samtenen Revolution” in Armenien wächst die Hoffnung in der internationalen Gemeinschaft, dass der Machtwechsel in Jerewan den Friedensgesprächen zwischen den verfeindeten südkaukasischen Staaten neuen Schwung verleihen würde. In der Tat herrscht seit Monaten Ruhe an der Waffenstillstandslinie. Die Außenminister der beiden Länder trafen sich bereits viermal innerhalb der vergangenen sieben Monate. Zuletzt kamen die beiden Minister in Paris zusammen, wonach sie erklärten, dass sie „sich auf die Notwendigkeit geeinigt haben, konkrete Maßnahmen zur Vorbereitung der Bevölkerung auf den Frieden zu ergreifen“.

Das aserbaidschanische Außenministerium erklärte am 25. Februar, dass ein Treffen auf der Ebene der Staatschefs in Vorbereitung sei, nannte jedoch keine genaue Frist. Am 1. März bestätigten die Ko-Vorsitzenden der OSZE Minsk-Gruppe, dass beide Staatschefs während der letzten Gesprächen in Jerewan und Baku den Vorschlag auf ein Treffen akzeptiert haben.

Die Region Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, jedoch wird sie von Armenien, das sich als Schutzmacht für die Karabach-Armenier sieht, militärisch besetzt. Die Minsker Gruppe der OSZE unter dem Ko-Vorsitz Russlands, Frankreichs und der USA, vermittelt seit 1994 bei der Suche nach einer friedlichen Lösung des Konflikts, ein Erfolg steht bisher aus.

 

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