Wahl in Armenien: Paschinjan gegen alle

Am 20. Juni wird in Armenien neues Parlament gewählt werden. Die Wahl gilt als schicksalhaft für die Kaukasus-Republik, die im Herbst 2020 eine herbe Niederlage im Krieg gegen seinen Nachbar Aserbaidschan erlitten hat.

Die alten prorussischen Eliten schlossen sich um den zweiten Präsidenten Armeniens, Robert Kotscharjan, zusammen. Kotscharjan gilt als enger Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putins. Der russische Staatschef telefonierte mehrfach mit Kotscharjan und gratulierte ihm persönlich zu Geburtstag. Nicht zuletzt wegen der russischen politischen Intervention war die Regierung Paschinjans gezwungen, auf die strafrechtliche Verfolgung Kotscharjans zu verzichten bzw. sich mit seiner Entlassung aus der Haft abzufinden.

Der zweite Präsident Armeniens machte seine innen- und außenpolitische Positionen bereits deutlich genug. Dürfte Kotscharjans Block „Armenien“ (dem auch die nationalistische Partei Daschnakzutjun angehört) die Macht erlangen, würde er alle im Land tätigen „Soros-Organisationen“ (die von „Open Society Foundation“ (mit)finanzierten NGOs) entweder auf gesetzlicher Ebene zu „ausländischen Agenten“ erklären (nach dem russischen Vorbild), oder sie gar aus dem Land vertreiben. Auch der so genannten „komplementären armenischen Außenpolitik“, welche gleichzeitige enge Kooperation mit Russland und dem Westen vorsah, würde ein Ende gesetzt werden. Selbstverständlich, zu Gunsten der möglichst engen Beziehungen mit Russland. Die armenische Armee soll unter Kotscharjan schnellstmöglich mit Hilfe Russlands gestärkt werden, so dass Armenien erneut eine stärkere Position in Verhandlungen mit Aserbaidschan einnehmen kann. Sogar Schuscha und Hadrut, zwei Städte in Bergkarabach, die sich nach dem Krieg unter fester aserbaidschanischer Kontrolle befinden, verspricht Kotscharjan durch Verhandlungsweg „zurückzunehmen“. Ein Versprechen, das selbst in Armenien viele Experten für unrealistisch halten.

Kurz vor der Wahl spielte Kotscharjan einen seiner wichtigsten Trümpfe aus: Der Ex-Premierminister Karen Karapetjan, der in Armenien als effektiver Manager gilt und das letzte Kabinett unter Sersch Sargsjan leitete, wird ins Team von Kotscharjan geholt. Ein gemeinsamer Spaziergang Kotscharjans und Karapetjans dürfte die politische Solidarität zwischen den beiden demonstrieren. Die reichsten armenischstämmigen Geschäftsleute in Russland wie etwa Samwel Karapetjan (leiblicher Bruder von Karen Karapetjan) signalisierten bereits ihre Unterstützung für Robert Kotscharjan. Dasselbe tun auch russische staatliche und staatsnahe Medien, die Paschinjan kritisch gegenüberstehen, dabei aber seinen Kritikern Sendezeit in politischen Talkshows geben.

Der amtierende Premierminister Nikol Paschinjan tritt seinerseits unter dem Motto „Es gibt die Zukunft“ auf. Er verspricht seinen Anhängern, dass er im Fall seiner Wiederwahl das Land härter regieren würde, auch was den Umgang mit seinen Rivalen angeht. Trotz der militärischen Niederlage im letzten Jahr hat Paschinjan immer noch eine gewisse Popularität in der Bevölkerung, insbesondere auf dem Land. Im Gegensatz zu Kotscharjan, dessen Muttersprache Russisch ist, spricht Paschinjan muttersprachlich Armenisch und gilt als guter Redner. Der amtierende Präsident präsentiert sich als „Mann des Volkes“ und stellt sich den „alten korrupten Eliten“ gegenüber. Eine Wahltaktik, die ihm 2018 geholfen hatte. Der ehemalige Journalist und langjährige Oppositionelle Paschinjan und seine politischen Gefährten haben große Erfahrungen im Straßenwahlkampf. Sie nehmen außerdem aktiv an Debatten im Fernsehen teil. Kotscharjan hat hingegen darauf verzichtet, gegen Paschinjan zu debattieren.

Transparenz und höhere steuerliche Einnahmen, wesentlich höhere Plätze, die Paschinjans Armenien in den Rankings von verschiedenen internationalen Organisationen einnahm, dürften beweisen, dass das amtierende Regierungsteam im Gegensatz zu den vorigen Regierungen nicht korrupt ist. Vor allem auf diese Punkte setzt Paschinjan in seinem Wahlkampf. Für die Niederlage im Krieg gegen Aserbaidschan macht er nicht nur sich, sondern auch die früheren Regierungen verantwortlich. In den letzten 28 Jahren vor dem neuen Krieg habe man weder diplomatisch noch militärisch den armenischen Sieg im ersten Krieg kapitalisieren können. Als Paschinjan 2018 an die Macht kam, bekam er seinen eigenen Worten zufolge ein schweres Erbe und war in einer Sackgasse.

Die derzeitige politische Lage Paschinjans ist äußerst brisant. Gegen ihn bildete sich eine breite Front von ehemaligen Politikern, einschließlich aller drei Ex-Präsidenten, und Generalen. Zu den letzteren gehört Onik Gasparjan, der Leiter den Generalstab während des letztjährigen Kriegs leitete. Auch die Armenische Apostolische Kirche stellte sich klar gegen Nikol Paschinjan.    

Was die Umfragen sagen

Die einzige Organisation, die derzeit Ergebnisse von Meinungsumfragen veröffentlicht, ist MPG/Gallup International Armenia. Laut den Angaben vom 18. Juni seien 28,7% der Befragten bereit, den von Robert Kotscharjan angeführten „Armenien“-Block zu wählen. Paschinjans „Zivilvertrag“-Partei dürfte 25,2% der Stimmen erhalten. Für den Wahlblock „Ich habe die Ehre“, der vom ehemaligen Direktor des Staatssicherheitsdienstes Artur Wanezjan und der Sersch Sargsjans Republikanischen Partei angeführt wird, würden 10,8% der Befragten stimmen. Auch Wanezjan gilt als Russlands Mann in Armenien. Er versprach bereits öffentlich im Interview mit dem russischen Staatsfernsehen, die ukrainische Krim-Halbinsel als Teil Russlands anzuerkennen.

Die Parteien „Prosperierendes Armenien“ von Gagik Zarujkan und „Helles Armenien“ von Edmon Marukjan bekommen jeweils 5,4% und 5,2% Prozentpunkte. Ca. 10% der Befragten konnten oder wollten nicht angeben, welche politische Kraft sie bei der kommenden Wahl bevorzugen würden.

Doch einige Experten zweifeln die Ergebnisse von Meinungsumfragen von MPG/Gallup International Armenia an. Dieses Forschungsinstitut hat nichts mit der in Washington ansässigen Gallup Corporation zu tun. Auch die Methodik der Umfragen ist nicht eindeutig: Die Telefonumfragen würden nur unter den Festnetz-Abonnenten durchgeführt, während Festnetz von der großen Mehrheit der Armenier nicht genutzt werde. Auf der anderen Seite, weisen die Paschinjan-Kritiker darauf hin, dass die regierungsnahe Medien in Armenien, die derzeit MPG/ Gallup International Armenia scharf kritisieren, dem Forschungsinstitut gegenüber loyal waren, als Paschinjans Umfragewerte noch hoch waren.

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