Kaukasus: Die Zeichen stehen auf Krieg

Fast zwei Monate sind seit den Kämpfen an der staatlichen Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan im Juli vergangen, die 18 Todesopfer auf beiden Seiten zur Folge hatten. Obwohl während und nach der Konfrontation die unterschiedlichsten Akteure der internationalen Gemeinschaft die beiden Konfliktparteien mehrfach zu einer Deeskalation und der Rückkehr zu den Friedensverhandlungen aufgefordert haben, ließen sie den Aufrufen keine konkreten Taten in Form von neuen Friedensinitiativen folgen.

Die Covid-19-Pandemie und die damit verbundenen Herausforderungen für die Weltwirtschaft, türkisch-griechische Spannungen im Mittelmeer, baldige US-Präsidentschaftswahlen, Proteste in Belarus, die Vergiftung von Alexej Nawalnij – all diese Ereignisse scheinen die Weltgemeinschaft mehr zu beschäftigen als die Spannungen im Kaukasus. Doch die beunruhigenden Entwicklungen in der Region deuten darauf hin, dass es jederzeit zu einer neuen Eskalation oder gar einem längeren Krieg kommen kann.  

Die OSZE-Minsker-Gruppe, die im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan vermittelt, brachte seit Juli keine neuen Vorschläge ein, die zu einer nachhaltigen Entspannung im Kriegsgebiet beitragen könnten. Offiziell heißt es, dass sich eine Reise der Ko-Vorsitzenden der Minsker Gruppe in die Region angesichts der Covid-19-Pandemie verzögere. Das letzte Statement der Minsker Gruppe ist auf den 24. Juli datiert. Währenddessen rüsten die Konfliktparteien auf, erhöhen ihre Verteidigungsausgaben, führen durchgängig Militärübungen (jeweils russisch-armenische und aserbaidschanisch-türkische) durch und zeigen sich immer skeptischer bezüglich der Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen.

Baku besteht vor allem darauf, dass die Verhandlungen mit Armenien „eine Substanz“ haben müssen. Es müsse sich konkret um die Befreiung von besetzen aserbaidschanischen Gebieten handeln, auf „inhaltlose Gespräche“ will man sich nicht mehr einlassen. Nach den Juli-Zusammenstößen tauschte Alijew seinen Außenminister unter der Begründung aus, dass die aserbaidschanische Diplomatie nicht „angriffsfähig“ genug gewesen sei. Seit dem Amtswechsel im Außenministerium begann Baku seine Unzufriedenheit mit den angeblichen intensiven russischen Waffenlieferungen an Armenien öffentlich zu äußern.

Parallel findet eine spürbare Annäherung zwischen Aserbaidschan und der Türkei im sicherheitspolitischen Bereich statt, die sich nicht nur rhetorisch sondern auch militärisch in Form von großangelegten gemeinsamen Übungen wiederspiegelt. Darüber, ob es sich dabei um ein kurzfristiges diplomatisches Manöver oder doch einen strategischen Kurswechsel Bakus handelt, rätseln nun die Experten.

Armenien verhärtete unter dem Premierminister Nikol Paschinjan seine Position im Konflikt vehement: Jerewan schloss noch 2019 die Verhandlungsformel „Land gegen Frieden“ aus, was bedeutet, dass auch die umliegenden sieben Gebiete Aserbaidschans, die von armenischen Streitkräften besetzt sind, kein Teil der Verhandlungen mehr sind. 2019 erklärte Paschinjan, dass „Bergkarabach Armenien ist und Punkt“. Parallel fordert Jerewan, dass die Separatisten in die Verhandlungen als gleichberechtigte Konfliktpartei einbezogen werden. Allerdings wird diese Forderung stets von Baku und internationalen Mediatoren, darunter Russland, Frankreich und den USA, abgelehnt. Auf der anderen Seite, wurde unter dem Verteidigungsminister Davit Tonojan eine neue Militärdoktrin unter dem Motto „neue Kriege für neue Gebiete“ angenommen. Militante Rhetorik und Symbolik ist nun in Armenien angesagt: Die Ehefrau von Nikol Paschinjan, Anna Hakobjan, besuchte kürzlich im Rahmen der Initiative „Frauen für Frieden“ Bergkarabach, wo sie eine intensive Militärausbildung absolvierte und mit Waffen vor den Kameras posierte.

Auch in Bergkarabach dominieren nun die pessimistischen Töne. Der de-facto Präsident der separatistischen Bergkarabach-Republik rief die Armenier dazu auf, „Realisten zu sein“ und sich auf einen Krieg gegen Aserbaidschan vorzubereiten. Sein de-facto Außenminister, Masis Mailjan, sprach darüber, dass die von der Minsker Gruppe vorgebrachten „Madrider Prinzipien“, auf deren Grundlage die Verhandlungen in den letzten 10 Jahren geführt wurden, nicht mehr auf dem Tisch seien. Eigentlich gebe es gar kein Dokument, über das man verhandeln könne, so Mailjan. Eine These, die in offenem Widerspruch mit der Erklärung des russischen Außenministers Lawrow steht.

Unter diesen Voraussetzungen erscheint ein neuer Gewaltausbruch im Kaukasus mit unvorhersehbaren Folgen als durchaus möglich. Die bisher eher passive Reaktion der Weltgemeinschaft könnte als stillschweigende Unterstützung für ein solches Szenario (miss)interpretiert werden. 

Philip Röhrs-Weist

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