Dr. Jacopo Pepe: "EU interessiert an Transportkorridoren im Südkaukasus und Zentralasien"

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Quelle: Viktoria Panfilowa, Vestnik Kavkaza

Welche Rolle spielt der Südkaukasus in der  europäischen Verkehrs- und Infrastrukturstrategie in Eurasien?

Die Europäische Union hat keine „Eurasien-Strategie“ als solche, welche der chinesischen One-Belt-One-Road oder der Strategie der Eurasischen Wirtschaftsunion in ihrer klaren geopolitischen und geoökonomischen Ausrichtung ähneln würde. Die Europäische Union verfügt über mehrere regionale Instrumente, wie die neue Strategie für Zentralasien oder die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP), welche den Südkaukasus einschließt. Darüber hinaus ist hier auch der südliche Gaskorridor zu erwähnen sowie die Tatsache, dass die Europäische Union seit Januar 2014 eine neue Verkehrspolitik verfolgt, deren Grundlage das Transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-T) ist. Die neue EU Verkehrspolitik heißt „From West to East in half an hour“.

Inzwischen sollten wir zugeben, dass es immer noch keine klare Unterscheidung zwischen geoökonomischen, geopolitischen und entwicklungspolitischen Zielen gibt, so wie kein umfassendes strategisches Konzept, das diese Elemente verbindet. Die kürzlich veröffentlichte Connectivity-Strategie war der erste Schritt in die richtige Richtung. Dies ist jedoch nur ein technisches Dokument ohne politische Komponente und ohne klare Vorstellung davon, wie die EU mit der One-Belt-One-Road-Initiative und der Eurasischen Wirtschaftsunion zusammenarbeiten wird oder wie sich Zentralasien und der Kaukasus in diese Wechselwirkungen einfügen lassen.

Die Konnektivitätsstrategie spiegelt jedoch das Interesse der EU im Südkaukasus wider. Es ist klar, dass der Kaukasus für die Europäische Union keine Peripherie oder potenzielle Brücke nach Zentralasien mehr ist, sondern eine Region, in der die Interaktion und der Wettbewerb mit russischen und chinesischen Infrastrukturprojekten zunimmt. Daher plant die EU, ihr TEN-T-Netzwerk auf Mitglieder der ENP auszuweiten, insbesondere Georgien und Aserbaidschan. Die Europäische Union hat kürzlich sechs Abkommen unterzeichnet und mit der Finanzierung der Renovierung eines Teils der Ost-West-Autobahn in Georgien begonnen, die vom Baku-Hafen in Alat bis zum georgischen Poti führt. Chinesische und japanische Finanzinstitute sind ebenfalls an der Finanzierung dieses Projekts beteiligt. Aserbaidschan ist zweifellos ein wichtiges Bindeglied in dem entstehenden zentralen intermodalen Korridor, der das Kaspische Meer und das Schwarze Meer verbindet. Die Relevanz des Korridos wird weiter zunehmen, sobald die EU ihre Prioritäten festlegt und die Entwicklung einer alternativen Route nach Westchina fördert.

Der Iran hat die Hoffnung nicht aufgegeben, sein Eisenbahnsystem zu modernisieren und auszubauen, um die kaspischen Staaten Aserbaidschan, Russland und Turkmenistan anzuschließen und das Nord-Süd-Verkehrskorridor-Projekt umzusetzen. Wie beurteilen Sie die Erfolgschancen unter Berücksichtigung der US-Sanktionen gegen den Iran, zumal Siemens und die Schweizer Stadler Rail AG bereits angekündigt haben, den iranischen Markt zu verlassen?

Teherans internationale Isolation und neue Sanktionen von Seiten der USA verringern nun die Attraktivität des Korridors für europäische und indische Spediteure und europäische Unternehmen wie Siemens, was die notwendige Modernisierung des iranischen Eisenbahnsystems negativ beeinflusst. Dieser Korridor ist jedoch auf lange Sicht von großem Interesse, da er der kürzeste Weg vom Iran nach Europa ist. Dieser Korridor verbindet Europa und Russland über den Iran mit Indien und Südostasien. In den nächsten zwei Jahrzehnten werden beide Regionen zu wichtigen wirtschaftlichen und industriellen Antriebsmotoren in Asien. Darüber hinaus sollte man bedenken, dass regionale Lieferketten, innerregionale Verbindungen zwischen Indien, Bangladesch und Pakistan sowie zwischen Pakistan und Afghanistan trotz politischer und wirtschaftlicher Instabilität und Sicherheitsbedrohungen zunehmen. Diese Verbindungen werden auch auf Zentralasien und Iran ausgeweitet werden.

Darüber hinaus ist der Iran sowohl ein Wettbewerber als auch ein Partner des Kaukasus. Chinesische Unternehmen sind an einer transiranischen Route in die Türkei und in den Nahen Osten interessiert, während das Nord-Süd-Projekt, zu dem auch Aserbaidschan gehört, von einem funktionierenden und gut ausgebauten iranischen Eisenbahnsystem abhängt. Wenn die Sanktionen gegen den Iran wieder aufgehoben werden oder die Europäer und Inder sie umgehen, muss Baku bereit sein, die Wettbewerbsfähigkeit der westlichen kaspischen Nord-Süd-Route gegenüber der Ostroute durch Turkmenistan und Kasachstan zu steigern. Die direkte Eisenbahnlinie zwischen Gorgan, Mashhad und dem von Indien finanzierten Hafen von Chabahar verschafft dem Iran einen deutlichen Vorteil.

Die kaspische Region kündigte ein weiteres Transportprojekt an - den Internationalen Transportkorridor Kaspisches Meer - Schwarzes Meer (BSCS). Wie relevant ist dies angesichts der Tatsache, dass es Lapis-Lazuli-Korridor kopiert und der internationale Trans-Kaspische Transportkorridor in der Regel in Chinas One-Belt-One-Road integrierbar ist?

Turkmenistan, Rumänien, Aserbaidschan und Georgien haben vor einigen Tagen den Internationalen Transportkorridor Kaspisches Meer - Schwarzes Meer (BSCS) eingerichtet, der zwischen dem Hafen des Kaspischen Meeres in Turkmenbaschi und Constanta an der rumänischen Schwarzmeerküste verläuft. Der BSCS ist kein völlig neues Projekt, faktisch existiert es bereits und grenzt an den transkaspischen Korridor und den Lapislazuli-Korridor an. Diese neue Initiative kann jedoch die beiden anderen ergänzen, da sie darauf abzielt, die koordinierte Planung und Entwicklung des kritischen Abschnitts der beiden anderen Korridore zu verbessern.

Der transkaspische Korridor umfasst die Schaffung eines intermodalen Korridors, der Westchina über das Kaspische Meer, den Kaukasus und das Schwarze Meer mit Osteuropa verbindet, während Lapislazuli Europa und Indien über Turkmenistan und Afghanistan verbinden soll. Für beide ist jedoch eine ausreichende Infrastruktur und ein abgestimmter Zoll sowie eine Koordinierung und Harmonisierung der Tarife und der Logistik erforderlich, um das Potenzial, insbesondere in der Schwarzmeer-Kaspischen Region, auszuschöpfen. Die Koordinierung und Harmonisierung der Entwicklung von Infrastruktur, Logistik, Zoll und Zöllen in den Häfen von Rumänien, Georgien, Aserbaidschan und Turkmenistan ist notwendig. In diesem Sinne könnte die Initiative zur Harmonisierung des Transports zwischen dem Hafen von Turkmenbaschi, dem Hafen von Alat, dem Tiefseehafen von Anaklia,  der in Georgien geplant wird, und dem Hafen von Constanta zur Optimierung des Trans-Kaspischen Korridors und des Lapislazuli-Korridors beitragen. Um die Auswirkungen dieser Initiative bewerten zu können, ist es jedoch äußerst wichtig, die Rolle des Containertransits von China und Indien nach Europa oder der Hauptexporte aus Turkmenistan und Aserbaidschan nach Europa zu prüfen. Es soll auf einen nachhaltigen wirtschaftlichen Korridor hingearbeitet werden, um die Integration des Kaukasus und Zentralasiens in regionale und globale Lieferketten zu fördern.

Die Europäische Union hat traditionell kaspische Energiereserven gekauft. Wird eine umfassende Struktur der Energieversorgungswege in die Region sowie eine Verbindung zwischen den Energiesystemen Europas und den Hauptversorgern in Zentralasien, dem Nahen Osten und Nordafrika für die EU weiterhin Priorität haben?

Die EU ist sehr daran interessiert, Versorgungswege, Lieferanten und Energiequellen zu diversifizieren. In diesem Sinne hat die Europäische Union in den letzten Jahren viel getan, indem sie ihre LNG-Kapazität in Häfen erhöht und neue Pipelines nach Nordafrika gebaut hat, während die Importe aus Russland stabil blieben. Gas wird in der zukünftigen EU-Strategie eine entscheidende Rolle spielen, da die Nachfrage in den kommenden Jahren steigen wird. LNG aus den USA, Nordafrika und dem Nahen Osten sowie Russlands Pipeline-Gas werden eine ausgewogene Kombination schaffen. Nachfolgende Lieferungen aus Zentralasien und dem Kaukasus werden zur weiteren Diversifizierung beitragen.

Dem südlichen Gaskorridor wird viel Aufmerksamkeit gewidmet. Die Strecke wurde bereits teilweise in Betrieb genommen, zwei wichtige Verbindungen fehlen jedoch noch: der italienische Abschnitt der Trans Adriatic Pipeline (TAP) und die Trans-Caspian-Pipeline mit Turkmenistan. Mit der Unterzeichnung der Konvention über das Kaspische Meer wurde ein großer Schritt in Richtung Umsetzung dieses letzten Abschnitts unternommen. Es gibt jedoch immer noch rechtliche und politische Hindernisse, die überwunden werden müssen. Turkmenistans Verpflichtungen gegenüber China erschweren die Situation ebenfalls.

Die Umsetzung des Projekts „Südlicher Gaskorridor“ wird das Gleichgewicht zwischen den Hauptlieferanten der EU, einschließlich Russland, jedoch nicht wesentlich verändern. Sie wird jedoch zweifellos zusätzliche Möglichkeiten zur Diversifizierung der Energieimporte für Europa bieten.

 

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