China und der Blick auf den Südkaukasus

| Einblicke, Politik, Georgien

China und Georgien haben am 31. Juli 2023 ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft unterzeichnet. Die Folgen könnten für beide Länder weitreichend sein. Die Trends deuten darauf hin, dass Peking seine traditionell vorsichtige Positionierung gegenüber dem Südkaukasus, die es seit den 1990er Jahren beibehalten hat, möglicherweise aufgibt.

Die bilateralen Beziehungen zwischen Georgien und China sind mit der Unterzeichnung eines strategischen Partnerschaftsabkommens zwischen den beiden Staaten in eine neue Phase getreten. Die Gründe für Chinas Drängen auf ein aktiveres Auftreten im Südkaukasus sind unterschiedlich, doch spielen regionale geopolitische Prozesse eine wichtige Rolle. Neue Handelsrouten, der anhaltende Krieg in der Ukraine und der wachsende Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten drängen Peking zu einer aktiveren Außenpolitik in der gesamten Schwarzmeerregion. Georgien spielt in diesem Kalkül eine zentrale Rolle.

Chinas Interesse liegt in der Schaffung einer neuen Weltordnung. Diese Ordnung wird wahrscheinlich weitgehend "agnostisch" sein und weder auf einem System strenger Militärbündnisse noch auf festen multilateralen Institutionen beruhen. China wird weniger an den internen politischen Systemen anderer Länder interessiert sein und sich mehr auf die wirtschaftliche und allgemeine politische Zusammenarbeit konzentrieren. Ein solcher "agnostischer" Ansatz wird bereits von vielen Ländern im Nahen Osten und in Afrika begrüßt. Die Zahl dieser Länder könnte parallel zu Chinas wachsender geopolitischer Macht zunehmen, was wiederum zahlreiche Fragen zur globalen Haltung der USA aufwirft, sei es im Nahen Osten, in Osteuropa oder in Südostasien. Der Südkaukasus scheint zunehmend zu einer Region geworden zu sein, in der konkurrierende Mächte ihre Bemühungen um eine Ausweitung ihres Einflusses ausgeweitet haben.

Das wachsende Interesse Chinas am Südkaukasus und insbesondere an Georgien ist auf die geografische Lage der Region zurückzuführen. Der Südkaukasus dient als kürzester Korridor von Chinas westlichster Provinz Xinjiang in die Europäische Union (EU). Der Mittlere Korridor, der vom Schwarzen Meer zum Kaspischen Meer und dann nach Zentralasien führt, ist für China von wachsendem Interesse. Ein erstes Anzeichen dafür war die Erklärung des chinesischen Botschafters in Georgien vor einigen Monaten, in der er deutlich auf die Notwendigkeit des Ausbaus des Mittleren Korridors hinwies. Die Frage des künftigen Baus des Tiefseehafens Anaklia an der georgischen Schwarzmeerküste ist mit der Frage des Korridors verknüpft. Es ist zu erwarten, dass westliches und chinesisches Kapital bei ihren Geboten für den Hafen aufeinandertreffen werden, was den Einsatz für den Mittleren Korridor weiter erhöht.

Chinas wachsende Aktivitäten im Südkaukasus sollten auch vor dem Hintergrund der laufenden geopolitischen Veränderungen im Schwarzen Meer gesehen werden. Dies ist die Region, in der Russland versucht, seine exklusive geopolitische Ordnung zu etablieren. Auf der anderen Seite versucht der Westen, seinen Einfluss auf die wirtschaftlich wichtige Region durch die schrittweise Erweiterung der NATO und der EU auszuweiten. Auch China könnte dieser Logik folgen. Der Kampf um das Schwarze Meer spielt eine wichtige Rolle im sich entfaltenden Kampf um eine neue Weltordnung und drängt Peking dazu, eine aktivere Außenpolitik in der Region zu betreiben.

Das strategische Kooperationsabkommen mit Georgien sollte auch aus einer zentralasiatischen Perspektive betrachtet werden. Pekings ehrgeizige Infrastrukturprojekte mit Kasachstan und Usbekistan machen keinen Sinn, wenn sie nicht im Südkaukasus fortgesetzt werden. Es ist kein Zufall, dass Chinas Bereitschaft, die Beziehungen zu Georgien auszubauen, mit raschen Veränderungen der Handelswege in Eurasien und insbesondere in Zentralasien zusammenfällt. In dieser geografisch geschlossenen Region, die traditionell durch Süd-Nord-Infrastrukturen mit Russland verbunden war, baut China nun neue Ost-West-Straßen und -Eisenbahnlinien. Chinas Weg nach Westen zum EU-Markt, eine Politik, die am besten in der ausgedehnten Belt and Road Initiative (BRI) zu sehen ist, verläuft geografisch weniger durch Russland als durch Zentralasien. Ähnlich wie die Seidenstraßen der Antike und des Mittelalters, die sich sehr gut an wechselnde politische und militärische Situationen anpassen ließen, könnte man das Gleiche von der BRI sagen. Letztere ist kaum eine statische Initiative, sondern vielmehr ein Unternehmen, das sich ständig verändert und an neue geopolitische Gegebenheiten anpasst.

Chinas Vorstoß in den Südkaukasus könnte auch durch einen anderen merkwürdigen Trend erklärt werden. Der Südkaukasus und Zentralasien werden, obwohl sie als geografisch getrennte Regionen betrachtet werden, nun zunehmend als ein zusammenhängendes geografisches Gebiet wahrgenommen. Tatsächlich haben die Entwicklungen in Zentralasien direkte Auswirkungen auf den Südkaukasus und umgekehrt. Durch das Zusammenwachsen dieser beiden Regionen entsteht das sogenannte "Kaukasus-Asien" - wohl einer der bedeutendsten, aber zu wenig beachteten geopolitischen Prozesse unserer Zeit. Welche Macht auch immer die Straße von Xinjiang nach Anaklia/Batumi kontrolliert, wird einen entscheidenden Vorteil bei der Gestaltung des globalen geopolitischen Spiels haben.

China zeichnet sich jedoch nicht als unbestreitbar dominierendes Land im Südkaukasus ab. Tatsächlich hat China nicht das Potenzial, ein solches zu werden. Pekings Bestreben, eine aktive Rolle im Südkaukasus zu spielen, entspricht eher den geopolitischen Trends, die die Region prägen. Die Ära der ausschließlichen russischen Dominanz in der Region ist nämlich vorbei und wurde durch eine Ordnung ersetzt, in der sechs wichtige Akteure (die EU, die USA, Russland, die Türkei, der Iran und China) gleichzeitig um Einfluss konkurrieren.

Damit hat eine neue Phase in der chinesischen Außenpolitik gegenüber dem Südkaukasus begonnen. Bislang hat Peking den Südkaukasus eher als russische Einflusssphäre betrachtet. Wie üblich hat Peking davon abgesehen, drastische außenpolitische Schritte zu unternehmen. Gegenwärtig gibt es Anzeichen dafür, dass China versucht, die Beziehungen zu Georgien aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Emil Avdaliani ist Professor für internationale Beziehungen an der Europäischen Universität in Tiflis, Georgien, und ein Experte der Geschichte der Seidenstraßen.

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