Friedenskonsolidierung im Südkaukasus: langsam aber spürbar
Die jüngsten Entwicklungen rund um Bergkarabach signalisieren eine wachsende Bereitschaft von Baku und Eriwan, wichtige Fragen zu lösen. Um einen langfristigen Frieden im Südkaukasus zu erreichen, bedarf es jedoch weiterhin der Unterstützung Russlands.
Das jüngste Treffen zwischen Alijew und Paschinjan in Brüssel war ein deutliches Beispiel dafür, dass die EU die Region nicht verlassen will und sich weiterhin bemühen wird, die Spannungen durch wirtschaftliche oder diplomatische Schritte abzubauen. Es ist bemerkenswert, dass das Brüsseler Treffen nach einem ähnlichen Treffen der Staatsoberhäupter der beiden Südkaukasusstaaten mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin stattfand, was in gewisser Weise darauf hindeutet, dass der Westen beabsichtigt, ein wichtiger Akteur in der Region zu bleiben. Sicherlich verfügt Russland über ein weitaus solideres (militärisches) Druckmittel, um in der Region Einfluss zu nehmen, und der Westen ist sich seiner eigenen Grenzen durchaus bewusst. Daher ist die offizielle Position Brüssels nicht konfrontativ, sondern basiert auf der Unterstützung der Entwicklung von Infrastrukturprojekten in der Region. Nach dem Treffen in Brüssel wurde berichtet, dass sich Alijew und Paschinjan schließlich auf die Eisenbahnverbindung durch Armenien geeinigt haben.
Der Schwerpunkt der EU auf der Förderung der Infrastruktur ist verständlich. Je offener die Region ist, desto größer ist die Chance für den Westen, ein Gleichgewicht herzustellen und Einfluss in der Region zu erlangen. Die Präsenz der EU in der Region liegt auch im Interesse von Baku und Eriwan, da in beiden Hauptstädten die stille Unzufriedenheit und das Misstrauen gegenüber Moskaus Handeln recht groß sind. Beide sind der Meinung, dass Moskau mehr mit der Verfolgung seiner geopolitischen Interessen beschäftigt ist als mit der Schaffung eines echten Friedens in der Region.
Diese Fortschritte führen zu der allgemeineren Frage, ob Armenien und Aserbaidschan ihre bilateralen Probleme überwinden können. Vieles hängt davon ab, ob Baku und Eriwan die Probleme um Bergkarabach hinter sich lassen und weitreichende wirtschaftliche Beziehungen aufbauen wollen, was letztlich zum Abbau der Spannungen beitragen könnte. Gleichzeitig wird Baku, solange russische Truppen dort stationiert sind, regelmäßig mit Problemen konfrontiert sein, da die aserbaidschanische Führung keine ausländischen Truppen auf ihrem Territorium wünscht. Wenn diese Probleme gelöst sind, könnten Baku und Eriwan mit dem Aufbau eines neuen Modells der bilateralen Beziehungen beginnen. Dazu bedarf es eines starken Willens der politischen Eliten beider Staaten, der Bereitschaft zum Umgang miteinander und der Fähigkeit zum Kompromiss.
Aber selbst dann werden nicht alle Regionalmächte die Verbesserung der bilateralen Beziehungen begrüßen. Für Russland beispielsweise würde dies bedeuten, dass seinem Einfluss im Südkaukasus Grenzen gesetzt werden. Wenn Baku und Eriwan zusammenarbeiten, wird die Präsenz russischer Truppen in der Region auf ein Minimum reduziert. Deshalb ist es für Russland von entscheidender Bedeutung, militärisch präsent zu sein. Dies würde Moskaus Drängen auf die Entsendung von Friedenstruppen nach Bergkarabach erklären. Russland wird wahrscheinlich außerdem versuchen, sein Mandat zur Friedenssicherung in Bergkarabach über das Jahr 2025 hinaus zu verlängern.
Geopolitisch gesehen sind die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan für Russland ein Gewinn. Da die armenische Regierung beispielsweise nicht in der Lage ist, der aserbaidschanischen Armee Widerstand zu leisten, wird sie ernsthaft in Erwägung ziehen, das russische Militärkontingent entlang der gesamten armenisch-aserbaidschanischen Grenze auszuweiten. Der Nachteil der russischen Strategie besteht darin, dass Russland, wenn es versucht, länger in Aserbaidschan zu bleiben, Baku zunehmend zu einer immer engeren Bindung an die Türkei drängt. Beide Länder sind seit Jahrzehnten Verbündete, aber ihre Zusammenarbeit hat nach dem Zweiten Bergkarabach-Krieg, als die türkische Militärhilfe zum Schlüssel wurde, eine qualitativ neue Stufe erreicht.
Eines der Beispiele für den Ausgleich der militärischen Vorherrschaft Russlands war die Unterzeichnung der Erklärung von Schuscha durch Aserbaidschan und die Türkei. Beide verpflichteten sich, sich im Falle eines Angriffs auf eine der beiden Seiten gegenseitig zu verteidigen. Je mehr Russland seinen Einfluss ausbaut, desto intensiver wird die Türkei Aserbaidschan unterstützen. Dies zeigt, dass die Ära der exklusiven geopolitischen Vorherrschaft Russlands im Südkaukasus zu Ende geht. Die Grenzen der Region verschieben sich, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Öffnung der Region Russland zum Vorteil gereichen würde. Blockaden der Infrastruktur haben Russland zu einem wesentlichen Akteur jenseits rein militärischer Mittel gemacht. Die sich entwickelnde Infrastruktur beißt sich daher mit Moskaus Einfluss, denn Russland hat seinen Einfluss darauf aufgebaut, andere Mächte vom Eindringen in den Südkaukasus abzuhalten.
Insgesamt jedoch hat die Region nach dem Zweiten Bergkarabach-Krieg mehr Chancen als je zuvor seit dem Ende der Sowjetunion, sich zu einem integrierten Raum zu entwickeln, der nicht durch Konflikte und geschlossene Grenzen behindert wird. Es besteht die Möglichkeit, dass Armenien und Aserbaidschan endlich ihre Streitigkeiten hinter sich lassen. Auch die Türkei und der Iran sehen die Notwendigkeit einer „Öffnung“ des Südkaukasus. Die Türkei stört damit den seit dem Ende der Sowjetzeit bestehenden Status quo. Ihre wachsende Rolle im Südkaukasus könnte als Teil von Ankaras eurasischem Ansatz gesehen werden. Die Ausdehnung seines Einflusses auf Zentralasien in der Hoffnung, eine Art Bündnis mit den türkischsprachigen Ländern zu bilden, erscheint allmählich realistischer. Im Norden, im Nordosten, in der Ukraine, in Georgien und in Aserbaidschan gibt es einen erkennbaren geopolitischen Bogen, in dem die Türkei zunehmend in der Lage ist, Russlands Einflusssphäre zu durchdringen.
Russland ist, wie oben dargelegt, ambivalent. Seine illiberalen Methoden der Friedenskonsolidierung führen nicht zu wirklicher Sicherheit, vor allem weil der Kreml kein echtes Interesse am Frieden hat und seine eigenen geopolitischen Interessen in den Vordergrund stellt. Moskau muss jedoch handeln, um den Anschein zu erwecken, dass es an der Stabilität im Südkaukasus arbeitet und diese fördert. Andernfalls wird sein Prestige weiter sinken, Aserbaidschan wird sich noch stärker auf die Türkei verlassen, das Misstrauen in Armenien wird zunehmen und letztlich wird seine gesamte Außenpolitik ausschließlich von militärischen Mitteln abhängig sein.
Emil Avdaliani ist Professor an der Europäischen Universität und Direktor für Nahoststudien beim georgischen Think-Tank Geocase.