Sophie Kaiser aus Asureti, aka Die Wächter von Georgiens deutschem Erbe
Über den Autor: Lasha Shakulaschvili ist ein Blogger aus Georgien. Seine Schwerpunkte sind ethnische und religiöse Minderheiten. Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache veröffentlicht.
Sophie ist 20. Sie wird für immer 20 Jahre alt sein.
Im Jahre 1908 geboren, erlebte sie das Russische Reich, die erste Demokratische Republik sowie das von der Sowjetunion besetzte Georgien. Im Oktober 1929 endete die menschliche Existenz von Sophie und sie fand ihre ewige Ruhe in ihrer Heimatstadt Elisabethtal in Südgeorgien, welche heute als Asureti bekannt ist.
Im frühen 19. Jahrhundert fanden Tausende von ethnischen Deutschen aus Baden-Württemberg in Georgien ein neues Zuhause; Sie packten ihr Hab und Gut zusammen und bewegten sich mit einer Kombination aus vorsichtiger Neugier und Hoffnung auf neue Zukunft für ihre Familien voran. In wenigen Jahren entstanden rund 20 Dörfer, die auch als deutsche Kolonien bekannt wurden. Neuankömmlinge genossen Privilegien, die das Russische Reich Ausländern aus Europa bot, die sich für den Umzug entschieden. Die einzigen Einschränkungen zur Einwanderung waren es, einen Beruf erlernt zu haben, verheiratet und gesund zu sein.
Das Dorf Elisabethtal wurde nach der aus Baden-Württemberg stammenden russischen Kaiserin, Prinzessin Louise von Baden, benannt. Später sprachen die meisten Leute, die nach Elisabethtal gereist waren, von einer deutschen Stadt und nicht von einem Dorf, da man auf den Straßen nie Vieh sah.
Die bergigen Straßen führten die Neuankömmlinge zu einem Berghang, der sich als eine der idyllischsten Lagen für ein Dorfes anbot. Von da an war ihnen klar, dass dies der Ort war, den sie sich erhofft hatten, nach einer langen Reise zu finden. Bald wurde Elisabethtal zu einer herausragenden Siedlung mit einer beeindruckenden Stadtplanung, harmonischer Architektur, einer Schule, einem Bad, einem Chor und einer Kirche. Die Kirche hatte charakteristische Merkmale der gotischen Architektur und war ein hervorragender Ort für Besucher.
In Georgien fanden ethnische Deutsche einen sicheren Hafen, in dem sie ihre Religion frei ausüben konnten. Tatsächlich widmete sich eine beträchtliche Anzahl von Neuankömmlingen im Südkaukasus der Lehre des lutherischen Priesters Johann Albrecht Bengel, der glaubte, dass die Erlösung irgendwo in der Nähe des Ararat erreicht werden konnte. Aufgrund der Tatsache, dass sich der erwähnte Berg auf dem Territorium des Osmanischen Reiches befand, wurde Georgien zum idealen Ort für die Ansiedlung.
Abgesehen von der Errichtung einer Stadt, die man sich leicht auf der Rückseite einer Postkarte vorstellen kann, konnten die Georgier die Weinberge ihrer deutschen Landsmänner genießen, welche immer dann besonders atemberaubend aussahen, wenn sich das Alpenglühen in seiner vollen Wirkung entfalten konnte.
Die Siedlung Asureti (ehem. Elisabethtal) aus der Ferne.
Gepflasterte Straßen wurden mit großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit gepflegt. Häuser boten sowohl Menschen als auch Tauben durch die speziellen Taubenschläge, die auf den Dachböden errichtet wurden, Schutz. Geräumige Innenhöfe
und Balkone betonten die gastfreundliche Natur und den Geist seiner Bewohner.
Die im traditionellen deutschen Stil errichteten Häuser hatten einen Kamin in der Mitte, der von Wänden der Wohnräume umgeben ist. Der Kamin wärmte die Räume und sein Rauch erreichte den Dachboden, wo an der Decke hängendes Fleisch geräuchert wurde.
Überreste eines deutschen Hauses mit der typischen Feuerstelle in der Mitte.
Generationen später, als sich der Duft des Wohlstands etabliert hatte, wurden die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs nicht in die Sowjetarmee berufen. Diese Entwicklung führte zu Tränen in den Augen der Gemeinschaft, weil die Menschen erkannten, dass ein hartes und unberechenbares Schicksal auf sie wartete.
1941 deportierte die Sowjetunion fast 24.000 georgische Deutsche nach Zentralasien und Sibirien. Bis zu 1000 ethnische Deutsche blieben im Land, hauptsächlich jene, die mit anderen Nationalitäten verheiratet waren oder in gemischte Familien hineingeboren wurden.
Menschen deutschen Ursprungs wurden unter unmenschlichen Bedingungen in Viehwaggons verladen. Manchmal erhielten sie nur 24 Stunden Zeit (Im Höchstfall neun Tage) um einige wenige Kleinigkeiten einzupacken, ohne zu wissen, dass viele von ihnen, insbesondere Kinder und ältere Menschen, nur geringe Überlebenschancen haben würden.
Nach den Deportationen mussten Tausende Georgier aus den bergigen Landesteilen nach Elisabethtal und in andere deutsche Kolonien ziehen. Die Begründung war einfach; Deportierte wurden von Moskau zu Feinden erklärt und sollten nicht in ihre Dörfer zurückkehren.
Um das deutsche Erbe auszulöschen, wurde das Kreuz der Elisabethtalkirche durch einen roten Stern ersetzt. Danach wurde eine Hälfte des Gebäudes abgerissen und in einen Dorfklub verwandelt. Momentan wird ein Wiederaufbauprozess zur Sanierung der Kirche vorangetrieben.
Die schönen Straßen von Asureti zeichnen sich immer noch durch ihre hohe Konzentration an authentischen deutschen Häusern aus, die einen einzigartige Planungsstil aufweisen. Weinberge sind nach wie vor ein wichtiges Wahrzeichen für Asureti, vor allem die berühmte Weinsorte “Shala”, die vom deutschen Landwirt Shalma gefunden und dementsprechend nach ihm benannt wurde.
Haupstraße von Asureti
Trotz des brutalen Schicksals der Friedhöfe aller Religionsgemeinschaften oder ethnischen Gruppen in Georgien während der Zeit der UdSSR blieb der Friedhof von Elisabethtal fast vollständig erhalten. Die Steine zeigen uns die ehemaligen Bewohnern des Dorfes. Wer sie waren und was ihre Berufe waren. Wann sie geboren wurden und wann ihre menschliche Existenz zu Ende ging.
Unter ihnen ist auch die 20-Jährige Sophie, die einen Monat vor ihrem 21. Geburtstag verstorben ist. Sophie verbrachte ihr ganzes Leben in dem einzigen Heimatland, das sie kannte - Georgien. Sophie und die Bewohner dieses Friedhofs wussten nicht, dass ihre geliebten Familienangehörigen und Freunde deportiert und ihres so sorgfältig geplanten und aufmerksam verbrachten Lebens beraubt werden würden.