Spannungen zwischen Iran und Aserbaidschan deuten auf tiefgreifende geopolitische Veränderungen im Südkaukasus hin

Die Spannungen zwischen Teheran und Baku zeigen, dass sich die geopolitischen Unterschiede im Südkaukasus vertiefen. Auch wenn die Region von einer größeren militärischen Eskalation noch weit entfernt ist, gibt es Gründe für die Annahme, dass die Spannungen zwischen den beiden Staaten wieder aufleben und die Türkei und Russland ins Spiel kommen werden. Die Ära des Wettbewerbs der Großmächte ist in vollem Gange.

Die Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Iran haben sich im Oktober verschlechtert. Sie haben sich nach dem Telefonat der Ministerpräsidenten beider Länder etwas beruhigt. Dennoch lasten auf beiden Seiten sowohl langfristige als auch unmittelbarere Konfliktgründe. Dies gilt insbesondere für den Iran, der offenbar eine Reihe von Schritten eingeleitet hat, die Baku verunsichern. Dies unterstreicht die bestehenden Reibungen in der Region inmitten erneuter Gespräche über die 3+3-Initiative, die darauf abzielt, die drei südkaukasischen Staaten und ihre drei größeren Nachbarn zu vereinen und die Region vom Westen abzuschotten.

Daher ist es wahrscheinlich, dass es erneut zu Spannungen kommen wird, da tiefere geopolitische Unterströmungen die unterschiedlichen Visionen Irans und Aserbaidschans für den Südkaukasus unterstreichen. Auch die iranisch-türkischen Beziehungen werden weiterhin brüchig bleiben, da Teheran über die wachsenden militärischen Ambitionen der Türkei im Südkaukasus und im Kaspischen Becken besorgt ist. Infolgedessen könnte der Iran bereit sein, dem bedrängten Armenien zu helfen, seine schwache regionale Position zu halten.

Die Gründe für die Spannungen reichen von eher unmittelbaren bis hin zu groß angelegten strategischen Überlegungen. Im September behinderte Aserbaidschan die Durchfahrt iranischer Lastwagen, die auf der Straße, die teilweise durch das neugewonnene Gebiet führte, nach Armenien fuhren. Die Straße wurde seit den 1990er Jahren, als die offizielle Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan unklar war, ständig von Iranern benutzt.

Im September begannen in der Nähe der iranischen Nordgrenze Militärübungen zwischen Aserbaidschan, Pakistan und der Türkei. Dies wurde als unmittelbarer Auslöser für die Entscheidung Teherans angesehen, am 21. September mit einem ähnlichen Schritt zu reagieren, als massive Übungen nahe der aserbaidschanischen Grenze abgehalten wurden. Was Baku beunruhigte, war ein bestimmter Ort für die Übungen - genau der Grenzabschnitt, den Aserbaidschan nach dem zweiten Bergkarabach-Konflikt wieder unter seine Kontrolle gebracht hat. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew sagte in einem Interview mit der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu: „Warum jetzt? Warum gerade an unserer Grenze?“

Anfang Oktober startete der Iran die zweite Phase der Übungen unter dem Namen ‘Fatehan-e Khaybar’ (Eroberer von Khaybar), in Anspielung auf die Schlacht von Khaybar (628), in der muslimische Kämpfer jüdische Kämpfer besiegten. Dies führt uns zu dem zweiten Grund, den die Islamische Republik zu nähren schien - Israels wachsender Einfluss im Südkaukasus und die aufkeimende Partnerschaft mit Aserbaidschan.

In der Tat haben der Lkw-Zwischenfall, die trilateralen Übungen und der Faktor Israel einen erheblichen Einfluss auf die iranische Außenpolitik gegenüber dem Südkaukasus, aber diese Gründe sind dennoch unmittelbarer Natur. Die Übungen waren kaum gegen den Iran gerichtet, zu dem Aserbaidschan während der Präsidentschaft von Hassan Rouhani recht stabile Beziehungen unterhielt.

Angebliche israelische Geheimdienstinformationen, die von aserbaidschanischem Boden aus gesammelt werden, würden eine Bedrohung für den Iran darstellen. Für Teheran ist auch der Einsatz von bewaffneten Drohnen aus israelischer Produktion durch Aserbaidschan bedrohlich, der den Ausschlag für den Konflikt im Jahr 2020 gegeben hat. Teheran hat auch behauptet, dass israelische Militärberater in Aserbaidschan aktiv seien. Doch der Zeitpunkt, zu dem diese vermeintliche israelische Bedrohung geäußert wird, ist dennoch überraschend. Berichte über Israels enge Beziehungen zu Aserbaidschan in den Bereichen Militär und Energie sind in den letzten zehn Jahren immer wieder aufgetaucht, haben den Iran aber nie dazu veranlasst, groß angelegte Übungen zu veranstalten.

Hier spielen langfristige Gründe eine Rolle. Der Krieg von 2020 hat den Status quo im Südkaukasus verändert und den Iran aus dem neuen Arrangement ausgeschlossen. Die Türkei und Russland waren führend beim Aufbau einer neuen Ordnung. Während der russische Einfluss durch die Entsendung von etwa 2000 Friedenstruppen nach Bergkarabach zunimmt, ist es das Wiedererstarken der türkischen militärischen Macht in der Region, das Iran Sorgen bereitet. Aserbaidschan und die Türkei halten nun regelmäßig Militärübungen ab. Die Übung in der Nähe des Lachin-Korridors, der Bergkarabach mit Armenien verbindet, war besonders bemerkenswert, da diese Route sowohl von russischen Friedenstruppen bewacht als auch von iranischen Lastwagen auf dem Weg nach Bergkarabach intensiv befahren wird.

Für den Iran ist der wachsende Einfluss der Türkei auch im Hinblick auf die innere Stabilität gefährlich. Da in den nördlichen Provinzen der Islamischen Republik Millionen ethnischer Aserbaidschaner leben, könnte eine größere türkische Militärpräsenz entlang der nördlichen Grenzen mit aufkeimenden Beziehungen zu Aserbaidschanern aus Sicht Teherans eine langfristige Herausforderung darstellen.

Auch die Türkei ist eine Macht, die Aserbaidschan nun als Ausgangspunkt für ehrgeizigere Pläne im Kaspischen Meer und vielleicht auch in Zentralasien sieht. Das kaspische Becken ist für den Iran von besonderem Interesse und die jüngsten aserbaidschanisch-türkischen Marineübungen dort haben im Iran Besorgnis ausgelöst. In der Tat betrachtet der Iran gemeinsam mit Russland das Meer als einen Raum, der für externe Akteure gesperrt ist.

Die iranisch-aserbaidschanischen Spannungen und damit auch die zunehmenden Differenzen mit der Türkei könnten auch ein Zeichen für einen möglichen Wandel im außenpolitischen Denken des Irans sein. Eine Annäherung an Russland könnte eine Option sein, da auch Moskau den Schritt der Türkei als Störung des regionalen Kräftegleichgewichts betrachtet. Der türkische Faktor ist der wichtigste Beweggrund für die ehrgeizige Rhetorik Bakus und einer der Hauptgründe für die jüngsten Schwierigkeiten in den aserbaidschanisch-russischen Beziehungen - die russische Militärpräsenz in Bergkarabach zwingt Baku, immer engere Beziehungen zu Ankara zu suchen.

Auch der Iran könnte seine Haltung gegenüber Armenien leicht ändern. Teheran könnte seine Unterstützung für die Souveränität Armeniens und für Infrastrukturprojekte auf armenischem Gebiet deutlicher zum Ausdruck bringen. Vor kurzem hat sich der Iran aktiv an der Suche nach einer alternativen Route nach Armenien durch die Stadt Tatev beteiligt. Anfang Oktober besuchte der stellvertretende iranische Minister für Verkehr und Stadtentwicklung Kheirollah Khademi Eriwan, um die Arbeiten an einem 15 km langen Abschnitt einer alternativen Straße zu überwachen.

Die Spannungen zwischen Iran und Aserbaidschan werden wahrscheinlich wieder aufflammen, da Teheran zunehmend unzufrieden mit seiner eher geschwächten regionalen Position ist. So beschuldigte Teheran Baku nach dem Abbau der Spannungen, iranische Lastwagen am Kontrollpunkt Astara absichtlich aufzuhalten. Wie bereits erwähnt, werden die Differenzen mit der Türkei den Iran auf lange Sicht dazu veranlassen, sich um eine bessere Verständigung mit Russland zu bemühen. Dabei wird es sich sicherlich nicht um ein offizielles Bündnis handeln, aber es könnte durch diplomatische Aktivitäten deutlicher werden. Der Iran wird aber auch darauf achten müssen, ein gewisses Gleichgewicht zu wahren - je größer die Spannungen mit Aserbaidschan, desto größer der Anreiz für Baku, immer engere militärische Beziehungen zur Türkei aufzubauen.

Autor: Emil Avdaliani

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