10 Jahre der Östlichen Partnerschaft: Interview mit Dirk Wiese
Fast genau zehn Jahre nach Gründung der Östlichen Partnerschaft besuchte Dirk Wiese, der Koordinator der Bundesregierung für Russland, Zentralasien und die Länder der Östlichen Partnerschaft, vom 13. bis 15. Mai 2019 Georgien. Dort nahm er an einer hochrangig besetzten Paneldiskussion auf dem South Caucasus Security Forum teil, einer der wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Konferenzen in der strategischen Schlüsselregion Südkaukasus. Im Gespräch mit „Caucasus Watch“ sprach Dirk Wiese ausführlich über die Eindrücke von seinem Besuch in Georgien sowie über die aktuelle Situation und Perspektiven der Östlichen Partnerschaft im Südkaukasus im Allgemeinen.
Gibt es Ideen für neue Initiativen bezüglich Georgiens EU und NATO Integration, welche Sie im Rahmen Ihres Besuches mit georgischen Offiziellen besprochen haben?
Die euro-atlantische Ausrichtung und Ambition Georgiens haben alle meine Gesprächspartner deutlich gemacht. Zugleich haben sie Verständnis dafür geäußert, dass es eine konkrete Beitrittsperspektive zu NATO oder EU für Georgien derzeit nicht gibt. Von den sechs Ländern der Östlichen Partnerschaft hat Georgien unter erschwerten Bedingungen großartige Fortschritte gemacht. Alle Beteiligten sollten ihre Kräfte jetzt darauf konzentrieren, für die Menschen in Georgien spürbare Verbesserungen zu erreichen und das ambitionierte Assoziierungsabkommen mit der EU mit Leben zu füllen. Georgiens Zusammenarbeit funktioniert auch mit der NATO sehr gut. Erst Ende März haben NATO-Soldaten – unter ihnen auch Angehörige der Bundeswehr – und georgische Soldaten nahe Tiflis an einer gemeinsamen Übung teilgenommen. Die Bundesregierung unterstützt die Umsetzung des sogenannten „Substantiellen NATO-Georgien-Pakets“ sowohl personell als auch finanziell. An den wichtigen Beitrag Georgiens zur NATO-Operation „Resolute Support“ in Afghanistan sei zudem erinnert.
Haben Sie in Georgien auch über die Probleme des visafreien Reisens gesprochen? Wir haben vor einigen Tagen darüber berichtet, dass die Probleme des Visaabkommens eines der Hauptthemen beim Besuch des französischen Innenministers in Georgien waren.
Die Möglichkeit zum visafreien Reisen von Georgiern in den Schengenraum ist ein wichtiger Erfolg für das Land mit Signalwirkung. Gerade für junge Menschen ist es wichtig, dass sie einander leicht begegnen können, sich kennen lernen, miteinander ins Gespräch kommen. So bauen sie Brücken zwischen Ländern. Zwischen Berlin und Tiflis entstehen nach meiner Beobachtung gerade immer mehr solcher Brücken – auch dank Visaliberalisierung. Dass ein Verzicht auf eine Visumspflicht auch Herausforderungen mit sich bringen kann, ist nicht überraschend. Deutsche und georgische Behörden arbeiten gut zusammen, um illegaler Migration entgegenzuwirken. Das habe ich gegenüber meinen georgischen Gesprächspartnern auch gewürdigt – und darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, dass die georgischen Behörden weiterhin alles dafür tun, damit die Voraussetzungen für die Visaliberalisierung auch in Zukunft dauerhaft erfüllt bleiben.
Inwieweit gibt es ähnliche Probleme in Deutschland?
Die Herausforderungen, die die Visaliberalisierung mit Georgien mit sich gebracht hat, scheinen beherrschbar. Nach einem vorübergehenden deutlichen Anstieg der Zahl der Asyl-Erstanträge von Georgiern in Deutschland zu Beginn des vergangenen Jahres lag diese Zahl im April 2019 allerdings immer noch bei 253. Insgesamt haben in den ersten vier Monaten ca. 1.400 Georgierinnen und Georgier in Deutschland Asyl beantragt. Für ein kleines Land wie Georgien ist das sehr viel. Gleichzeitig wird sehr wenigen georgischen Antragstellern – nämlich weniger als zwei Prozent – in Deutschland Schutz gewährt. Das liegt insbesondere daran, dass der Schutz der elementaren Menschenrechte in Georgien aus Sicht der Bundesregierung gewährleistet ist – weswegen sie auch anstrebt, Georgien als sicheres Herkunftsland einzustufen. Deutsche und georgische Behörden arbeiten heute gut zusammen, wenn georgische Staatsbürger, die in Deutschland ausreisepflichtig sind, in ihre Heimat zurückkehren müssen.
Der EU Botschafter Carl Hartzell hat sich vor einigen Tagen kritisch zu der Vorbildfunktion von hohen georgischen Politikern in Bezug auf das Abfallproblem in dem Land geäußert. Wie schätzen Sie das Umweltbewusstsein in Georgien allgemein ein?
Dazu möchte ich mir nach meinem ersten kurzen Besuch in Georgien wirklich kein Urteil erlauben. Umweltschutz sollte jedenfalls auch in Georgien, wie überall auf der Welt, ein wichtiges Thema sein. Ich habe registriert, dass Georgien zum 1. April 2019 den Import, die Herstellung und die Nutzung von Plastiktüten verboten hat – wenn das funktioniert, kann es Vorbildcharakter haben.
SIPRI berichtete vor Kurzem, dass die Militärausgaben in den Kaukasusstaaten angestiegen sind. Haben Sie auf dem South Caucasus Security Forum neue Eindrücke über die sicherheitspolitischen Sorgen georgischer Offizieller bekommen?
Für meine Gesprächspartner aus der georgischen Politik ist die territoriale Integrität ihres Landes verständlicherweise ein zentrales Anliegen. Deutschland steht – wie fast alle Staaten der Welt – ganz klar hinter der territorialen Integrität Georgiens. Die zivile, unbewaffnete EU-Beobachtungsmission EUMM leistet hervorragende Arbeit, um die Situation entlang der Verwaltungslinien zu den abtrünnigen Gebieten so gut wie möglich zu stabilisieren. Allerdings beklagen georgische Politiker einen Ausbau der militärischen Präsenz Russlands in Abchasien und Südossetien – bei gleichzeitigem Bevölkerungsrückgang in beiden Gebiete. Zu Recht prangern die georgischen Politiker Menschenrechtsverletzungen in Abchasien und Südossetien an.
Die georgische Regierung hat im April 2018 die Initiative „A Step towards a better future“ gestartet. Sie zielt darauf ab, etwa durch Handelserleichterungen das Leben der Menschen in Abchasien und Südossetien konkret im Alltag zu verbessern und so auch Brücken zwischen Menschen zu bauen. Das begrüßt die Bundesregierung natürlich. Das Auswärtige Amt unterstützt zudem ein erfolgreiches Dialogprojekt der Berghof Foundation.
In Bezug auf die wirtschaftliche Liberalisierung und Modernisierung gilt Georgien sozusagen als „Wunderkind“ der Östlichen Partnerschaft und hat sich erst kürzlich ein neues Darlehenspaket vom IWF sichern können. Können Sie unserer Leserschaft erläutern, in welcher Funktion die Bundesrepublik wirtschaftliche Unterstützung für Georgien leistet?
Zunächst einmal pflegen Deutsche und Georgier ganz normale wirtschaftliche Beziehungen miteinander. Sie exportieren und importieren in das jeweilige Partnerland. Im Jahr 2017 etwa haben deutsche Unternehmen Exporte im Wert von 344 Millionen Euro nach Georgien geschickt. Umgekehrt haben georgische Unternehmen im Wert von gut 75 Millionen Euro nach Deutschland exportiert. Über diese Wirtschaftsbeziehung hinaus unterstützt Deutschland Georgien auf dem Weg der Entwicklungszusammenarbeit, und zwar seit 1992 mit mehr als einer Milliarde Euro.
Nach den USA ist Deutschland Georgiens zweitgrößter Partner in der Entwicklungszusammenarbeit. Hinzu kommt technische Zusammenarbeit im Rahmen der Südkaukasusinitiative der Bundesregierung, wobei Schwerpunkte zum Beispiel die Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Umwelt und Energie und Kommunalentwicklung sind. In diesem Rahmen gibt es etwa auch ein Programm zur Privatwirtschaftsentwicklung und Berufsbildung.
Wie verlief Ihr Gespräch mit der Studentengruppe an der Ilia State University und an welchen Themen waren die Studenten besonders interessiert?
Treffen mit jüngeren Menschen sind mir besonders wichtig, und auch dieser Austausch war besonders interessant. An der Ilia State University wirkt übrigens ein Deutscher, Oliver Reisner, als Jean-Monnet-Professor für Kaukasische und Europäische Studien. Er hat diesen Austausch mit Studierenden mitorganisiert und leistet mit seiner Arbeit völkerverbindende Arbeit im besten Sinne. Eines der Themen, das meine Gesprächspartner in dieser Runde besonders interessiert hat, waren natürlich die Möglichkeiten, die das visafreie Reisen in den Schengenraum für Georgierinnen und Georgier bietet.
Mit welchen zivilgesellschaftlichen Akteuren waren Sie außerdem im Kontakt und was waren Ihre Eindrücke?
Ich habe Akteure getroffen, die sich auf den Feldern Demokratie und Wahlen, Arbeitsrecht, Justizreform sowie LGBTI-Rechte zivilgesellschaftlich engagieren. Natürlich gibt es in jedem einzelnen dieser Gebiete noch etwas zu tun oder zu verbessern, wie in sehr vielen Ländern dieser Erde. Alle Akteure teilen jedoch die Einschätzung, dass Georgien schon sehr weit gekommen ist, vor allem auch dank der Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft.
Welche Errungenschaft würden Sie besonders hervorheben in der zehnjährigen Geschichte der Östlichen Partnerschaft?
Die Östliche Partnerschaft ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Hervorheben möchte ich zuallererst, dass sie für Millionen von Menschen in den sechs Partnerländern spürbare Verbesserungen ihres Alltagslebens gebracht hat. Dank des Programms „Erasmus Plus“ etwa konnten 17.000 jüngere Menschen an universitären Austauschprogrammen teilnehmen und 30.000 an Jugendaustauschen. Wenn man es politisch betrachtet, ermöglicht die Östliche Partnerschaft heute Inklusivität dank Differenzierung. Sie bietet für die spezifische Situation jedes einzelnen der sechs Teilnehmerländer maßgefertigte Kooperationsmöglichkeiten. Das macht ihre Stärke aus und ist eine besondere Errungenschaft dieses Ansatzes.
Wie steht es um die anderen beiden Kaukasusstaaten – Armenien und Aserbaidschan - und welche Rolle spielt dabei der Konflikt um Bergkarabach ?
Armenien ist ein gutes Beispiel, um die ÖP-Philosophie „Inklusivität durch Differenzierung“ zu illustrieren. Die EU und Armenien haben 2017 miteinander CEPA abgeschlossen, das ehrgeizige Comprehensive and Enhanced Partnership Agreement. Schon seit 2015 ist Armenien Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion. Das belegt, dass die Östliche Partnerschaft tatsächlich maßgefertigte Angebote für jedes Partnerland bietet. Die sogenannte Samtene Revolution war nach innen gerichtet, in der Außenpolitik hält die neue Regierung daran fest, sowohl zur EU als auch zu Russland gute Beziehungen zu unterhalten, worauf CEPA auch zugeschnitten ist.
Mit Aserbaidschan verhandelt die EU derzeit ein neues Abkommen, das wesentlich zur Intensivierung der Beziehungen beitragen wird. Aserbaidschan verfolgt eine multivektorielle Außenpolitik und strebt keine engere Integration in die EU an. Entsprechend wird auch in diesem Fall das Abkommen diese Vorstellungen berücksichtigen (der Verhandlungsprozess über das Abkommen über die strategische Partnerschaft zwischen der EU und Aserbaidschan soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden – Anm. d. Red.).
Die Östliche Partnerschaft zielt jedoch nicht nur auf die Verbesserung der Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten und der EU ab, sondern soll auch die regionale Zusammenarbeit unter den Partnern selbst verbessern. Insofern stellt der Bergkarabach-Konflikt eine Hürde für die Zusammenarbeit im Südkaukasus dar. Die EU unterstützt die Bemühungen der OSZE-Minsk-Gruppe um Konfliktbeilegung.
Was ist der nächste große Meilenstein den Sie für die Partnerschaft sehen? Besonders im Hinblick auf die nächsten 10 Jahre.
Die Östliche Partnerschaft ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Ihr Erfolgsrezept wird auch in den nächsten Jahren die Zusammenarbeit im Rahmen der vier bekannten Plattformen bleiben: 1. Wirtschaftliche Entwicklung und Marktchancen, 2. starke Institutionen und Good Governance, 3. Konnektivität, Energieeffizienz, Umweltschutz und Kampf gegen die Klimaaufheizung, und 4. Mobilität von Menschen und Völkerverständigung. Wichtig ist und bleibt, dass Menschen spürbare Verbesserungen in ihrem alltäglichen Leben dank der ÖP-Kooperation erleben. Mir erscheinen dafür die Bereiche Jugend und Bildung sowie unternehmerische Initiative durch kleine und mittelgroße Firmen besonders vielversprechend.
Können Sie für unsere Leser die 20 Ziele für 2020 zusammenfassen?
Die 20 Ziele für 2020 sollen spürbare Verbesserungen im Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger der ÖP-Länder zeitigen. Die vier Plattformen der Zusammenarbeit habe ich eben schon benannt. Dem übergeordnet sind drei Querschnittsaufgaben, die bei jedem einzelnen Ziel immer mitgedacht werden sollen: 1. Engere Einbindung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, 2. die Gleichstellung von Frau und Mann vervollkommnen und Diskriminierungen bekämpfen, und 3. effektiver strategisch kommunizieren, die Unabhängigkeit von Medien stärken und plurale Medienlandschaften fördern.
Interviewer: Philip Röhrs-Weist