Auswirkungen von sportlichen Großveranstaltungen auf den Nordkaukasus
Die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotchi und die Fußballweltmeisterschaft 2018 waren im Bezug auf die russische Problemregion des Nordkaukasus mit vielen Erwartungen, wie auch Sorgen verbunden. Im Interview mit "Caucasus Watch" kommentiert der Russlandexperte und wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, Dr. Sven Singhofen, verschiedene Aspekte dieser sportlichen Großveranstaltungen.
Ökonomische Einschätzungen
Die Vorbereitungen auf die Olympischen Winterspiele 2014 und die WM 2018 wurden aufgrund der hohen Kosten überwiegend kritisiert. Einige Studien und Expertenaussagen weisen jedoch darauf hin, dass solche Ereignisse oftmals einen positiven Effekt auf die lokale Wirtschaft haben. Wie schätzen sie den langfristigen ökonomischen Nutzen für den Nordkaukasus ein?
Man darf nicht vergessen, dass die Vorbereitung zu den beiden Veranstaltungen zu einem großen Teil mit der Hilfe von Oligarchen finanziert wurde. Auf der einen Seite beschränkt sich somit ein bedeutender Anteil des wirtschaftlichen Nutzens insofern auf den loyalen Kreis der russischen Regierung. Auf der anderen Seite haben derlei Bauprojekte keine wirkliche Breitenwirkung und besonders im Vorwege zu den Olympischen Winterspielen hat man oft von schlechten Löhnen und Arbeitsbedingungen für lokale Arbeitskräfte gehört. Somit wäre ich skeptisch, wenn von einer längerfristigen Wirkung auf den Nordkaukasus gesprochen wird.
Mit Hinblick auf die WM im Speziellen, muss man bedenken, dass nur zwei der insgesamt 12 Spielstätten in der Nähe des Nordkaukasus liegen. Dies wären Sotchi und Rostow am Don. Die Spielstätte in Sotchi wurde bereits 2014 zur Austragung der Winterspiele gebaut und wird nun erneut benutzt. Neue Investitionen sind nach 2014 also nur begrenzt in die Region geflossen. Das dadurch ein bedeutender wirtschaftlicher Nutzen für eine ganze Region entstehen würde, besonders für eine Konfliktregion, das halte ich für eher unwahrscheinlich.
Würden Sie deshalb die wirtschaftliche Strahlwirkung in die weiter entfernten Konfliktrepubliken ebenfalls als gering als einschätzen?
Ja, das kann ich mir nicht vorstellen. Die Veranstaltungsorte liegen schließlich noch in den Südrussischen Landesteilen und nur in der Nähe zu Tschetschenien, Dagestan und anderen Regionen die direkt zu dem Konfliktgebiet zählen. Für die betroffenen Völker in den Konfliktgebieten wird sich deswegen nichts bedeutend ändern. Ich habe bisher auch keinen positiven Effekt auf diese Gebiete beobachten können.
Die Opposition schätzt, dass zu den Vorbereitungen in Sotchi ca. 30 Milliarden US-Dollar in der Baubranche durch Korruption entwendet wurden. Halten sie Schätzungen dieser Höhe für realistisch?
Korruption ist oft ein Nebeneffekt solcher Großveranstaltungen. Kosten werden in die Höhe getrieben und ergeben schließlich nur noch vor dem Hintergrund massiver Korruption einen Sinn. Dies dient dem Erhalt von Loyalitäten. Ich halte Schätzungen in solcher Höhe auf jeden Fall für realistisch und die Veröffentlichungen von Nawalny zur Korruption bei den Vorbereitungen der Winterspiele, scheinen in vielerlei Hinsicht schlüssig. Auch lokale Akteure haben mehrmals auf die Veruntreuung von Geldern hingewiesen.
Ein gewisser Anteil der Kosten für die Winterspiele wurde auch von privaten-und staatseigenen Konzernen mitgetragen, wohl auch durch direkten Druck von der russischen Zentralregierung. Denken Sie, dadurch könnte eine gewisse wirtschaftliche Pfadabhängigkeit entstehen, die in Zukunft zu verstärkten Investitionen führt?
Diese Möglichkeit würde ich nicht ausschließen. Es könnte schon passieren, dass Stadienbauten, die man mit infrastruktureller Verbesserung und-Entwicklung verbunden hat, gewisse Nebeneffekte erzeugen, weil Akteure es für sinnvoll und profitabel halten in lokale Geschäfte einzusteigen. Das könnte durchaus sein und hätte eventuell das Potential die Abhängigkeit von föderalen Geldern zu verringern.
Glauben Sie, die massiven Ausgaben wären besser in zielorientierte Entwicklungsprogramme angelegt worden?
Aus Sicht des Regimes denke ich, dass man dadurch sowohl nach innen, als auch nach außen Prestige gewonnen hat. Russland hat hier die Möglichkeit sich nach außen als funktionierendes, sicheres und auch weltoffenes Land zu präsentieren. Nach innen ist dies für viele Russen etwas ganz neues. Es gab vorher noch keine Fußball WM im eigenen Land. Wenn man die aktuellen Berichte verfolgt, kann man feststellen, dass soweit alles problemlos ablief. Das ist auch ein Prestigegewinn für die Regierung und des Präsidenten Putin gegenüber dem russischen Volk. Besonders diese Wirkungen waren meiner Meinung nach beabsichtigt und galten als Priorität. Das Regime beabsichtigt natürlich auch immer gewisse Entwicklungsziele bei sportlichen Großprojekten. Ich wäre aber vorsichtig mit der Annahme, dies stände im Vordergrund.
Einschätzungen zur Sicherheit
Die Durchführung der Olympischen Winterspiele und der Fußball WM rundum Sotchi wurde von vorneherein als heikel angesehen, da die Region sicherheitspolitisch nicht stabil ist. Wie schätzen Sie die Lage ein?
In 2014 und auch 2018 wurde jeweils die Polizeipräsenz massiv erhöht. Die Organisation der Sicherheitskräfte schien soweit auch sehr effektiv gewesen zu sein. Wenn man konkret auf die Bedrohung aus den Konfliktregionen blickt, fällt es auf, dass es vor den Winterspielen in Sotchi noch einen größeren Anschlag in Wolgograd gegeben hat. Terroristische Aktivitäten ähnlicher Größenordnung gab es vor der WM nicht mehr. Auch Drohungen, wie im Ausmaß vor den Winterspielen, sind mir so nicht massiv aufgefallen. Deswegen würde ich behaupten, dass sich die Sicherheitslage im Kaukasus noch einmal verbessert hat und in Kombination mit der besagten Präsenz der Sicherheitskräfte um die Austragungsorte herum, nun insgesamt als stabiler bewertet werden kann. Wenn man auch mal von dem üblichen Sicherheitsproblem des Terrorismus weg in Richtung Fangewalt denkt, hat es verstärkte Bemühungen gegeben, sich mit den ausländischen Partnern abzustimmen, was zusätzlich zu einer Stabilisierung der Situation geführt hat.
Waren im Vorlauf zu den Veranstaltungen gezielte Vorbereitungen durch terroristische Gruppen zu beobachten?
Mir scheint die terroristischen Gruppen im Nordkaukasus sind momentan noch verstärkt in externe Konflikte, wie z.B. in Syrien, eingebunden und konzentrieren auch ihre hauptsächliche Zielsetzung auf diese Gebiete. Natürlich gibt es bereits Rückkehrer aus den IS-Gebieten im Nahen Osten, jedoch scheint die Intensität des Konfliktes in der Region dadurch nicht signifikant gestiegen zu sein und das Niveau der Gewalt ist heute im Nordkaukasus, ja wie gesagt, auf einem geringeren Niveau als noch vor ein paar Jahren. Mir selber ist auch keine verstärkte Häufigkeit von Anschlägen aufgefallen.
Es gab Gerüchte die russischen Sicherheitsbehörden hätten Jihadisten der Region, kurz vor den Spielen 2014, gezielt zur Ausreise motiviert-oder bzw. dies willentlich geduldet. Haben Sie ebenfalls davon gehört?
Diese Gerüchte habe ich auch gehört. Ich denke schon, dass man einige Leute, die auf dem Radar der Behörden waren, an der Ausreise hätte hindern können und dies dann nicht getan hat, unter der Annahme, man könnte sich gewisser Personen auf diese Weise entledigen. Sollte das der Wahrheit entsprechen, stellt sich anschließend aber die Frage, ob die Behörden unter Berücksichtigung kurzfristiger Interessen nicht ausreichend über die Probleme möglicher Rückkehrer nachgedacht haben. Auch durch neue internationale Verbindungen, wie z.B. den Treueid des Kaukasus Emirats zum IS, könnten zukünftig neue Unterstützerstrukturen in der Region entstehen. Aber wie bereits angesprochen, noch sehe ich keine Indizien dafür, dass sich der Operationsschwerpunkt der Gruppen wieder auf den Nordkaukasus verlagert.
Im Zuge der Ausweitung von Sicherheitsmaßnahmen wurden auch Kosakenmilizen zu beiden Veranstaltungen in Sotchi von der Regierung eingebunden. Sehen Sie das problematisch im Bezug auf die Menschenrechtssituation?
Die Kosaken werden mittlerweile auch gegen gemäßigte inner-russische Oppositionelle eingesetzt. In Moskau gab es außerdem Vorfälle, bei denen Kosakenverbände mit Schlagwaffen auf Demonstranten losgegangen sind. Das halte ich definitiv für problematisch, denn solche Verbände sind ja kein legitimierter Teil der öffentlichen Sicherheitsstrukturen. Daher ist es stark anzuzweifeln, ob diese dann auch bestimmten Einsatzrichtlinien folgen. Wenn man diese Entwicklung nun im Nordkaukasus fortsetzt, ist das schon vor historischem Hintergrund nicht ohne Brisanz und ist deshalb sogar aus mehrfacher Sicht schwierig. Von daher halte ich diesen Weg durchaus für bedenklich.
Einschätzungen zur internationalen Wahrnehmung der Region
Würden Sie die Großveranstaltungen in der Region auch als Zeichen der russischen Regierung verstehen, sich nun verstärkt der Probleme des Nordkaukasus anzunehmen?
Ich würde sagen, dies ist vor allem ein Zeichen der russischen Regierung, dass man die Lage kontrolliert. Wenn man solche großen öffentlichen Veranstaltungen in der Region durchführen kann, ohne dass terroristische Akteure aus der Konfliktregion auch nur einen Kratzer im Sicherheitsimage der Regierung anrichten, dann signalisiert letztlich der russische Staat allen inneren-und äußeren Zuschauern, dass man die Lage kontrolliert und Herr der Dinge ist. Wie bereits angesprochen, denke ich, dass die Regierung vor allem auf Prestigeerfolge Wert gelegt hat.
Wenn die Veranstaltungen hauptsächlich als Prestigekampagne angelegt waren, glauben Sie, dass die internationale Wahrnehmung der Region sich insgesamt verändert hat?
Die Wahrnehmung der Winterspiele in Sotchi 2014 wurde im Nachhinein größtenteils von der negativen Wahrnehmung des russischen Dopingskandals überschattet. Wenn es um die WM 2018 geht, dann gehe ich schon davon aus, dass damit vielen Leuten im Ausland, einschließlich von Regierungen, eine Bereitschaft durch die russische Regierung signalisiert wird, sich an bestimmte Spielregeln zu halten. Dadurch werden die Schattenseiten der Austragungen nicht in dem Maße wahrgenommen wie dies nötig wäre. Sollte das Turnier weiterhin friedlich und fröhlich verlaufen, sehe ich dies definitiv als Prestigeerfolg gegenüber dem Ausland. Vor allem für den Nordkaukasus, welcher im besonderen Maße für die Verletzung von Menschenrechten bekannt ist, könnte dies bedeuten, dass die Kritik aus dem Ausland eventuell abgeschwächt wird.
Haben Sie noch abschließende Einschätzungen zum Effekt der Großereignisse auf die Region?
Was mich erstaunt sind die Berichte über die überaus positive Atmosphäre im Land. Das hat offensichtlich auch einen Effekt auf die russische Bevölkerung, den man vorher so nicht erahnen konnte. Gerade wenn die Regierung das Prestige im In-und Ausland als primäres Ziel hatte, kann man sich nun doch fragen, ob die Veranstaltungen nicht eine gewisse Wirkung auf die Einstellung der Bevölkerung hat. Dies könnte bewirken, dass die starke Frontstellung der russischen Gesellschaft gegenüber dem Ausland, vor allem dem westlichen, teilweise aufgebrochen wird und einige Menschen schrittweise aus ihrem Schneckenhaus der Isolation herauskommen. Diese Wirkung könnte jedoch auch nur zeitlich begrenzt sein; aber mir scheint es doch als ob das Turnier für viele Russen selber und auch für ausländische Fans ein außergewöhnlich positives Ereignis darstellt. Mit direktem Blick auf den Nordkaukasus könnte eine solche Entwicklung als besonders bemerkenswert gesehen werden, weil die Region schließlich oftmals als russisches Hinterland angesehen wird.
Interviewer: Philip Roehrs-Weist