Experte: Über die Zukunft im Kaukasus wird China entscheiden

| Interviews, Georgien, Abchasien

Die Territorien Abchasien und Südossetien haben sich in den 90er Jahren von Georgien abgespalten und der Kaukasuskrieg 2008 ließ die Spannungen zwischen den Territorien und Tiflis erneut aufflammen. Dr. Michael Eric Lambert promovierte in Geschichte und Internationalen Beziehungen an der Pariser Sorbonne und ist Direktor des französischen Black Sea Institutes. Im Gespräch mit Caucasus Watch erläutert er die aktuelle Situation und die sich entwickelnden Trends in den separatistischen Gebieten. 

 

Welche Auswirkungen hatte der Kaukasuskrieg 2008 auf die Erwartungen der politischen Klasse in Georgien und die georgische Bevölkerung in Bezug auf Südossetien und Abchasien?

Die Begriffe „Niederlage“ und „Konflikt“ oder „Krieg“  sind nicht korrekt im Georgisch-Russischen Kontext. Vielmehr sollte man dies als einen Konflikt zwischen Abchasien und Südossetien mit Georgien sehen, in welchem beide separatistische Regionen (oder teilweise anerkannte Staaten) militärische- und diplomatische Hilfe von Russland erhalten haben.

Die völlige Unfähigkeit Georgiens die beiden Territorien wiederzugewinnen ist eine offensichtliche Niederlage, welche noch einmal die Unterlegenheit georgischer Militärkapazitäten gegenüber Russland offensichtlich gemacht hat. Im Gegensatz zu den Erwartungen der georgischen Elite schien das Land diplomatisch isoliert gewesen zu sein, da es während des Konfliktes keine signifikante militärische Unterstützung durch die USA oder die EU-Mitgliedsstaaten erhalten hat. Deswegen ist der Konflikt nicht nur als militärische, sondern auch als diplomatische Niederlage anzusehen, da Georgien nicht in der Lage war mit seinen gewünschten internationalen Partnern gegen Russland vorzugehen.

 

Hat sich die Meinung der Abchasier und Südosseten zur Unabhängigkeit oder Annexion durch Russland seit der Trennung von Georgien in den 90er Jahren geändert?  Wenn ja, inwiefern?

Abchasier sowie Südosseten wollen die Unabhängigkeit, um  ihre Identität zu schützen und sich weiter zu entwickeln. In Abchasien ist man sich des schrittweisen Verschwindens der eigenen Identität (Religion, Volkstänze, Nationalspeisen) und Sprache (ursprünglich im lateinischen Alphabet) zu Gunsten Russischen Einflusses bewusst. Wie dem auch sei, die Situation wäre die gleiche, wenn man noch Teil Georgiens wäre.

Russland beschützt Abchasien vor Georgischen Wiedereingliederungsversuchen und nutzt die Region weiterhin militärisch, während man in Georgien nicht einmal die Idee in Betracht zieht, dass Abchasien sich kulturell  vom Rest des Landes unterscheidet. Diese Verweigerung Dynamiken im Kaukasus zu überdenken, führt dazu, dass die Region schlechte ökonomische Perspektiven hat und zum Spielball von externen Mächten wird, obwohl die kaukasischen Länder selbst eine Rolle auf der internationalen Bühne spielen könnten.

Mit Blick auf Südossetien ist die Lage noch komplexer. Nord-und Südosseten wollen vereinigt werden, sind jedoch nicht in der Lage dies zu realisieren. Im Norden sperrt sich Russland der Idee einer Nordossetischen Unabhängigkeit, während Georgien dasselbe im Süden tut. Da sie kein vereinigtes Land haben können, sind die Osseten gezwungen mit den Erwartungen desjenigen der beiden Länder zu leben, welches die meisten Vorteile für Osseten anzubieten hat. Dies ist momentan Russland.

Der grundlegende Unterschied zu den 90er Jahren und heute, ist die auffallende Tatsache, dass keiner mehr daran glaubt Russland oder auch Georgien würden für die Zukunft der Menschen in der Region stehen. Experten beurteilen objektiv, dass China die einzige Macht ist, die über die Zukunft im Kaukasus entscheiden wird. Die Volksrepublik China zeigt als einziger Akteur innovatives geopolitisches und ökonomisches Verhalten mit einer umfassenden Strategie, sowie einem generell komplexeren philosophischem Ansatz.

 

Gibt es noch relevante wirtschaftliche Verbindungen zwischen Georgien und den beiden separatistischen Territorien? Könnten solche existierenden-oder entstehenden Verbindungen die Chance auf eine zukünftige militärische Auseinandersetzung verringern?

Es gibt viele Möglichkeiten in beiden Territorien wie z.B. Tourismus, Agrarwirtschaft, Wein, erneuerbare Energien und die Finanzwirtschaft. Jedoch verhindert die festgefahrene Situation für alle Beteiligten die Realisierung solcher Möglichkeiten.

Die Georgier stellen ihren Nationalstolz über pragmatische wirtschaftliche Erholung, während die Russen ihr Militär anstelle der Wirtschaft priorisieren. Moskau ist nicht dazu in der Lage, über das zentralisierte Staatsmodell mit seinem offensichtlichen Mangel an Regionalismus hinauszuschauen. Dies ist bedingt durch die historische Angst vor Kontrollverlust in der russischen Peripherie.

Abchasien und Südossetien selbst konnten bisher keine relevanten Strategien im Bezug auf diese Thematik finden. Es gibt zu wenig Investments und eine beträchtliche Ungleichverteilung von Wohlstand. Insgesamt herrscht eine Art geopolitische Atrophie in der es keine neuen Visionen gibt. Man ist in alten Denkarten wie „der Westen gegen Russland“ gefangen, obwohl neuere Ansätze, wie z.B. die Idee der Kaukasus Union, viel relevanter für die heutige Zeit wären.

Das Risiko einer erneuten Konfrontation sinkt mit der Beteiligung externer Akteure die keine Konfliktparteien sind. Ein neuer Akteur würde den Kaukasus stabilisieren, um die Nachhaltigkeit seiner wirtschaftlichen Investitionen zu garantieren. Trotzdem bleiben die lokalen Eliten das Hauptproblem hier, denn sie bevorzugen „patriotische“ und kriegerische Rhetorik über technischen Fortschritt. Es ist immer einfacher eine Debatte zu führen, welche auf Emotionen basiert und nicht auf einer intellektuellen Grundlage, die sich ernsthaft mit Zukunftsplänen auseinandersetzt. Ich denke, ein Wandel wird deswegen nicht von alleine aus dem Kaukasus heraus entstehen, sondern würde durch externe Akteure vorangetrieben werden.

 

Wie abhängig sind Abchasiens und Südossetiens Wirtschaft von russischer Hilfe?

Die wirtschaftlichen Interaktionen sind größtenteils informell. Entgegen offizieller Berichte, ist die Türkei noch vor Russland Abchasiens wichtigster Handelspartner. Die Wirtschaft in Südossetien ist abhängig von den Nordosseten und somit von Russland.

Beide Territorien wären in der Lage finanzielle Unabhängigkeit herzustellen und unabhängig von Russland zu sein, jedoch müsste es dafür eine Friedensgarantie geben. Unglücklicherweise ist die Vorbereitung auf Krieg teuer und ohne die Unterstützung Russlands ist es undenkbar, dass beide Territorien überleben würden, da sie ihre Militärausgaben und ihre Streitkräfte nicht auf den zivilen Sektor umorientieren können.

 

Man hört des Öfteren über die schrittweise Verschiebung von Grenzposten in Südossetien. In welche Richtung denken Sie geht diese Entwicklung und kann Ähnliches in Abchasien beobachtet werden?

Nord-und Südosseten wollen vereinigt leben, jedoch verlangsamt Russland den Prozess, da es dadurch Druck auf Tiflis aufbauen kann. Abchasien will volle Autonomie aber der Mangel an finanziellen Mitteln zwingt das Territorium, den Russischen “Grenzwächtern“ wachsende Autorität zu geben.

 

Manche Analysten sehen die beiden Separatistenregionen als wahrscheinlichstes Ziel, falls Russland erneut zu militärischen Mittel greift, um sein nationales Interesse voranzutreiben. Glauben Sie, diese Einschätzung ist korrekt?

Die Analyse ist teilweise richtig. Es gibt jedoch auch andere Ziele die wahrscheinlich wären. Diese wären Syrien im Nahen Osten oder Zentralasien allgemein, unter dem Aspekt der Terrorismusbekämpfung oder separatistischer Tendenzen.

 

Wie haben sich die georgisch-russischen Beziehungen seit dem Kaukasuskrieg 2008 verändert?

Die Eurasische Wirtschaftsunion ist nun ein Faktor, der bedacht werden muss. Georgien glaubt nicht mehr ernsthaft an seine Integration in die Europäische Gemeinschaft oder NATO. Diese Behauptungen dienen nur noch dem Zweck der Wählerbeeinflussung. Durch das Vorhandensein der separatistischen Probleme sind jegliche zukünftige Anstrengungen in diese Richtung vergeblich.

Verglichen mit 2008 sticht nun besonders die wachsende chinesische Präsenz hervor, welche bald die EU und Russland in wirtschaftlicher Hinsicht ablösen wird. Dies symbolisiert den Beginn des chinesischen Einflusses im Kaukasus. Russland ist sich der Tatsache bewusst, dass man bald nicht mehr in der Lage sein wird gegen China im post-sowjetischen Raum zu konkurrieren und wartet deswegen ab. Es ist wichtig, Beijings Perspektive zu berücksichtigen, in der Georgien aber auch Russland als kleine Länder gesehen werden. Dies wird offensichtlich, wenn man beide Staaten mit dem chinesischen Gigantismus von 1.4 Milliarden Einwohnern und dem Status als führende Weltwirtschaft sowie als zweitgrößte globale Militärmacht vergleicht.

 

Inwieweit beeinflussen die separatistischen Konflikte Tiflis Ambitionen in Bezug auf die westliche Integration? Wie stark beeinflussen Sie die Herangehensweise der westlichen Staaten und Institutionen in Verhandlungen mit Georgien?

Wie bereits erwähnt, Georgien kann aufgrund dieser Konflikte und der gesamtwirtschaftlichen Situation kein Mitglied der NATO oder der EU werden, da diese die Erfüllung der generellen Mindestbedingungen ausschließen.

Die NATO befindet sich außerdem in einer Phase die von Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und den Europäischen Bündnispartnern geprägt ist. Die Zukunft der EU ist ungewiss und die Union versucht an der Östlichen Partnerschaft als Teilprojekt der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) festzuhalten. Jedoch ist man sich vollends bewusst, dass dieses Programm nicht zu einer erneuten Osterweiterung führen kann. Auf Seiten der USA ist man noch immer auf den sogenannten „Pivot to Asia“ fokussiert.

Interviewer: Philip Roehrs-Weist

 

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