Johann Saathoff: "Wichtig ist, dass die Waffen wieder schweigen"

In einem Interview mit Caucasus Watch sprach der Koordinator der Bundesregierung für Russland, Zentralasien und die Östliche Partnerschaft, Johann Saathoff, über die neuen Herausforderungen auf dem Weg zum Frieden im Kaukasus.

Georgien ist derzeit von einer tiefen gesellschaftspolitischen Krise betroffen. Die Bemühungen der EU bei der Krisenbewältigung sind enorm. Ist eine Lösung in Sicht, und wie kann man den politischen Dialog dort zusätzlich unterstützen?

Die Europäische Union hat sich in Georgien erneut und prominent  für eine Mediation zwischen den politischen Parteien engagiert. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, hat bei seinem Besuch in Georgien Anfang März persönlich und anschließend über seinen Sondergesandten Christian Danielsson zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln versucht – diesen Vorschlag hatte die Regierungspartei Georgischer Traum am 16.4. unterschrieben. Nachdem die Oppositionsparteien weiterhin auf vorgezogenen Neuwahlen und Entlassung der zwei prominenten Inhaftierten Nika Melia und Giorgi Rurua bestanden, legte EU-Ratspräsident Michel am 18. April einen weiteren Vorschlag konkret zu den beiden seitens der der Opposition streitigen Punkten vor. Georgischer Traum und die kleinere Oppositionspartei Girchi haben ihre Bereitschaft ausgedrückt, diesem Vorschlag zuzustimmen.  Schon im vergangenen Jahr hatten sich einige Botschaften in Georgien – darunter die deutsche – engagiert, um den Kompromiss im damaligen Konflikt zwischen Regierung und Opposition um das Wahlrecht zu erleichtern. Das Bemühen der EU und auch Deutschlands um Vermittlung ist also tatkräftig – am Ende kommt es allerdings darauf an, dass die streitenden Lager selbst den Willen aufbringen, aufeinander zuzugehen und die notwendigen Reformen im parlamentarischen Prozess umzusetzen. Es ist der Kompromiss selbst, der das Wesen der parlamentarischen Demokratie ausmacht – und damit auch für euroatlantische Integration steht. 

Wie bewerten Sie die Nachkriegssituation im Südkaukasus, und wie kann die Bundesregierung zur Versöhnung zwischen Armeniern und Aserbaidschanern, insbesondere auf der zivilgesellschaftlichen Ebene, beitragen bzw. gibt es in diesem Bereich bereits konkrete Vorschläge und Initiativen?

Wichtig ist, dass die Waffen wieder schweigen und keine Menschen mehr ihr Leben im Kampf um Bergkarabach verlieren. Es ist erschütternd, dass in den sechswöchigen Kämpfen im Herbst vergangenen Jahres nach offiziellen Angaben aus Armenien und Aserbaidschan mehr als 6.000 Menschen getötet worden sind. Allerdings bleibt die Lage in der Region auch nach dem Waffenstillstand vom 9./10. November 2020 angespannt und es sind weiterhin viele  Fragen offen. Für Bergkarabach kann es dauerhaft nur eine diplomatische Lösung geben, durch Verhandlungen auf Augenhöhe zwischen den beiden Konfliktparteien Armenien und Aserbaidschan. Der richtige Rahmen für solche Verhandlungen bleibt die OSZE-Minsk-Gruppe, der auch Deutschland angehört. Die Bundesregierung hat den drei Vorsitzenden der Gruppe – Frankreich, Russland und den USA – ihre Bereitschaft zu mehr Unterstützung zugesichert.

Langfristig kommt den Zivilgesellschaften Armeniens und Aserbaidschans die wichtige Rolle zu, durch grenzüberschreitenden Austausch Debattenräume zu öffnen, durch den Krieg neu entflammte Vorurteile und Ressentiments abzubauen und somit Verständigung und Versöhnung überhaupt zu ermöglichen – und so eine politische Friedensperspektive zu unterstützen. Das ist der langfristige Blick, an dem ich weiterhin festhalte. Das Auswärtige Amt fördert in diesem Jahr im Rahmen des Programms „Ausbau der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland“ mehrere zivilgesellschaftliche Vorhaben, die sich mit Versöhnungsprojekten in der Region Bergkarabach bzw. im gesamten Südkaukasus beschäftigen. Auch darüber hinaus steht die Bundesregierung bereit, um eine Wiederbelebung des zivilgesellschaftlichen Dialogs zwischen den Konfliktparteien zu unterstützen.

Aus der Region allerdings erreichen uns unvermindert Worte und Gesten, die für die tiefe Kluft stehen, die Armenien und Aserbaidschan von Versöhnung und Zusammenarbeit trennt: So ist auf armenischer Seite die Empörung groß, seit Aserbaidschans Präsident Aliyev in Baku eine Art Trophäenpark eröffnete, in dem erbeutete Waffen des Gegners in nachgestellten Kriegsszenen mit makaber inszenierten Wachspuppen in armenischen Uniformen sowie erbeutetes Material zur Schau gestellt werden. Von aserbaidschanischer Seite wird Armenien fehlende Kooperation bei der Beseitigung von durch Armenien im Krieg verlegte Landminen und Sprengfallen vorgeworfen. Mehrere Menschen, darunter auch Zivilisten, sind seit Ende des Krieges bereits durch Minen ums Leben gekommen, so zuletzt am 16.04.

Armenien wie Aserbaidschan haben aus meiner Sicht beide ein Interesse daran, rasch zu einem ganz pragmatischen politischen Dialog miteinander zu finden, um für die riesigen Herausforderungen, vor denen beide stehen, sachliche Lösungen zum beiderseitigen Nutzen zu finden – insbesondere aus Verpflichtung auf das Wohl der jeweils eigenen Bevölkerung. Daran sollten beide Regierungen ihr Handeln ausrichten und auf schrille Töne und demonstrative Gesten der Unversöhnlichkeit verzichten, die der jeweils anderen Seite den Einstieg in einen Dialog zusätzlich erschweren könnten. Kriegerposen und europäische Werte sind aus meiner Sicht auch nicht in Einklang miteinander zu bringen. Für den Dialog zwischen Zivilgesellschaften, für den ich in meiner Funktion ja in erster Linie zuständig bin, ist es förderlich, wenn politische Führungsfiguren den Mut zu zivilem und dialogorientiertem Umgang mit Vertretern, Geschichte oder Wertvorstellungen einer jeweils anderen Seite vorleben. Übrigens gibt es ja ein sehr eindrückliches Erfolgsbeispiel für die Kraft von pragmatischem politischem Dialog gepaart mit zivilgesellschaftlicher Annäherung und schließlich Aussöhnung: die europäische Einigung.

Wird das Programm der Östlichen Partnerschaft der EU angesichts der geplanten Öffnung von regionalen Kommunikationen im Südkaukasus neue Prioritäten setzen bzw. wie werden sich die neuen Realitäten in der Region auf das Programm auswirken?

Die Östliche Partnerschaft bleibt ein wichtiges Instrument der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, um Demokratie, Stabilität und  den Wohlstand in allen Staaten der Region sowie ihre Gesellschaften von innen heraus zu stärken. Unverzichtbare demokratische Werte wie  Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenrechte, die Bekämpfung von Korruption und Diskriminierung, die Rolle unabhängiger Medien und eine Stärkung der Zivilgesellschaft sowie die Förderung der Geschlechtergleichstellung werden auch künftig Bestandteil der Zielstellungen sein. Vom anreizbasierten Ansatz der EU („mehr für mehr“ und „weniger für weniger“) werden weiterhin diejenigen Partnerländer am meisten profitieren, die sich am stärksten für Reformen engagieren. Aufbauend auf den wichtigsten Erfolgen der  vergangenen Jahre und unter Einbeziehungen aller relevanten Akteure hat die EU im Frühjahr 2020 im Rahmen einer sogenannten Gemeinsamen Mitteilung die bisherigen Schwerpunkte aktualisiert und dabei die Stärkung der Resilienz der Partnerstaaten als übergeordnetes politisches Ziel definiert. Das ist heute der aktuelle Stand.  

Wie hat sich die Covid-19-Pandemie auf die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft, insbesondere den Südkaukasus-Staaten, ausgewirkt?

Erst einmal natürlich dadurch, dass das Reisen zwischen Deutschland und diesen Ländern seit mehr als einem Jahr sehr kompliziert ist. Die Botschafter in Deutschland praktisch aller Staaten, zu denen ich als Koordinator die Beziehungen besonders pflege, haben mich in Gesprächen eingeladen, ihre Heimatländer zu besuchen – leider war für mich wegen der Pandemie bislang nur eine einzige kurze Reise möglich. Ich hoffe, dass bald weitere Reisen folgen, denn ich hatte mir beim Antritt meines Amtes im August 2020 viele Begegnungen vor Ort fest vorgenommen. Gleichzeitig haben sich innerhalb eines Jahres die Möglichkeiten zu virtuellen Begegnungen mit den entsprechenden Computerprogrammen ja sehr rasch verbreitet, was im Übrigen auch ganz allgemein den Austausch zwischen Menschen in Deutschland und seiner östlichen Nachbarschaft sehr erleichtert. Natürlich bleibt die persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch unersetzlich – meinem Eindruck nach führen aber praktisch alle Akteure der zwischengesellschaftlichen Zusammenarbeit ihre wichtige Arbeit so gut wie möglich und vor allem sehr engagiert fort.     

Aus dem Nordkaukasus kamen vor kurzem beunruhigende Nachrichten über außergerichtliche Morde in Tschetschenien. Ist dieses Thema auf der Agenda der EU, und was kann getan werden, um diese Informationen zu verifizieren ggf. betroffenen Familien Schutz zu bieten?

Dass es insbesondere aus Tschetschenien immer wieder Nachrichten über auch schwerste Verstöße gegen die Menschenrechte gibt, beunruhigt die Bundesregierung sehr. Wir thematisieren dies immer wieder, auch in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der OSZE, denn Russland ist auch im Nordkaukasus zur Achtung der Menschenrechte verpflichtet. Deutschland hat mit fünfzehn weiteren Teilnehmern der OSZE einen unabhängigen Bericht in Auftrag gegeben, um die Glaubwürdigkeit übermittelter Informationen über Menschenrechtsverletzungen zu überprüfen. Dieser Bericht wurde bereits 2018 veröffentlicht. Darin sind auch konkrete Empfehlungen enthalten, wie Russland seinen Verpflichtungen nachkommen kann.  Leider sehen wir seit der Veröffentlichung des Berichts nicht, dass die Empfehlungen angegangen würden oder sich die Lage grundsätzlich verändern würde.

Das Interview wurde von Philip Röhrs-Weist geführt. 

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