Machtverschiebung im Südkaukasus: Russlands strategische Neuausrichtung gegenüber Aserbaidschan und Georgien

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Inmitten der anhaltenden Proteststimmung in Georgien und Armenien ist Moskau drauf und dran, einen wichtigen Sieg im geopolitischen Kampf mit dem Westen zu erringen.

Russlands Haltung im Südkaukasus ändert sich rapide. Moskau hat traditionell eine zentrale Rolle in der Region gespielt, doch angesichts der anhaltenden Beschäftigung mit dem Krieg in der Ukraine und der Feindschaft mit der EU und den USA ist die Fähigkeit des Kremls, seine Vormachtstellung aufrechtzuerhalten, in Frage gestellt worden. Dies zeigt sich in der Art und Weise, wie Armenien und bis zu einem gewissen Grad auch Aserbaidschan in vielen Fällen gehandelt haben, indem sie ihre Beziehungen von den engen Bindungen zu Russland weg diversifiziert haben.

In der Tat hat Moskau seine Präferenzen verschoben und bevorzugt Aserbaidschan nun eher als einen Schlüssel-Staat, mit dem es eine längerfristige Partnerschaft in den Bereichen regionale Sicherheit und eurasische Konnektivität aufbauen kann. Die stärkere Fokussierung auf Aserbaidschan bedeutet jedoch, dass Moskau sich nun weniger auf Armenien verlässt, mit dem die bilateralen Beziehungen in eine angespannte Phase eingetreten sind. 

Eriwan ist verärgert über die OVKS und den allgemeinen Mangel an Unterstützung durch Moskau und hat bei zahlreichen Gelegenheiten signalisiert, dass es die Grundlage der sicherheitspolitischen und militärischen Beziehungen zu Russland überdenken könnte. In Verbindung mit den anhaltenden Protesten in Armenien, die durch die Abtretung der Gebiete an Aserbaidschan ausgelöst wurden, erwartet Moskau, dass die Zentralregierung in Eriwan geschwächt wird, damit die Abhängigkeit des Landes von Russland bestehen bleibt.

Und dann ist da noch Georgien, das in seiner geopolitischen Ausrichtung zwar prowestlich eingestellt ist, aber seine Fixierung auf die EU- und NATO-Mitgliedschaft zunehmend in Frage stellt und seine eigene Version einer multivektoralen Außenpolitik anstrebt.

Russland beobachtet die Entwicklungen in Georgien sehr genau und hofft, dass sich das Land zunehmend zu einem neutralen oder gar pro-russischen Staat entwickelt. Seit der russischen Invasion im Jahr 2008 und der effektiven Besetzung von 20 Prozent des georgischen Territoriums unterhalten die beiden Länder keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mehr. In den letzten Jahren, seit Russland mit der Invasion in der Ukraine begonnen hat, waren die Beziehungen zwischen Moskau und Tiflis jedoch relativ stabil. Georgien verzichtete auf offen antirussische Rhetorik, der bilaterale Handel nahm zu, es wurden Direktflüge eingerichtet, und Moskau schaffte die Visumspflicht für georgische Staatsangehörige ab. 

Vor allem aber hat Russland die zunehmend feindselige Rhetorik von Tiflis gegenüber der EU und den USA zur Kenntnis genommen. So hat Moskau Tiflis insgesamt gelobt und das Gesetz über Nichtregierungsorganisationen als Versuch gewertet, den ausländischen Einfluss im Lande zu begrenzen.

In der Perspektive russischer Offizieller entwickelt sich Georgien zu einem souveränen Land, das bereit ist, seine eigene Außenpolitik zu gestalten. Dies passt auch in die russische Vision, in welcher der Südkaukasus weniger von nicht-regionalen Mächten (d.h. dem Westen) beeinflusst wird. Moskau geht davon aus, dass das von Georgien eingeführte Transparenzgesetz einen noch größeren Keil zwischen Tiflis und Brüssel sowie den Westen im Allgemeinen treiben wird. Diese Kluft könnte Georgien und Russland dazu bringen, eine gewisse Öffnung in den gestörten Beziehungen anzustreben. 

Russland hat durch seinen militärischen Einfluss in Abchasien und Südossetien die Trümpfe in der Hand und könnte diese Instrumente in der Tat nutzen, indem es einige Zugeständnisse macht, z. B. eine weniger angespannte Sicherheitslage entlang der Demarkationslinie und die Wiederherstellung wirtschaftlicher Verbindungen zwischen den separatistischen Regionen und dem übrigen Georgien. Die allgemeine Befürchtung in Südossetien und bis zu einem gewissen Grad auch in Abchasien ist, dass die beiden Regionen im Zuge einer vorsichtigen Annäherung zwischen Russland und Georgien zu Tauschobjekten in einem größeren geopolitischen Spiel werden könnten. 

Aus georgischer Sicht passen das NGO-Gesetz und die allgemeinen Spannungen mit dem Westen jedoch zu dem, was Tiflis seit Beginn des Krieges in der Ukraine verfolgt - eine multivektorale Außenpolitik. Es ist unwahrscheinlich, dass Tiflis sich unverblümt vom Westen abwendet und Russland zuwendet, und es ist auch nicht zu erwarten, dass der Westen die Region anderen Mächten überlässt. Das NGO-Gesetz verdeutlicht lediglich die Grenzen des westlichen Einflusses in der Region, in der eine Vielzahl geopolitischer Akteure kleineren Ländern wie Georgien die Möglichkeit bietet, ihr eigenes Spiel zu spielen, so riskant das letztlich auch sein mag.

Ein weiterer Aspekt, der den Weg für eine potenzielle Annäherung zwischen Tiflis und Moskau ebnet, ist die Tatsache, dass es keine nennenswerten Risiken gibt, dass Moskau seine potenziellen militärischen Schritte in Georgien vorantreibt. Russland steckt nach wie vor in der Ukraine fest und hat wenig Lust auf eine weitere größere Militäroperation in einem anderen Land. Es hat den Anschein, dass Moskau mit dem derzeitigen Kurs des Georgischen Traums und der politischen Lage im Lande im Allgemeinen sehr zufrieden ist.

Aus russischer Sicht befindet sich Georgien in einem kontrollierten politischen Chaos. Die Beziehungen zum Westen sind beschädigt, und es besteht die reale Möglichkeit, dass die USA und die EU ihre Beziehungen zu Tiflis überdenken werden. Moskau sieht nun eine reale Chance, dass sich Georgien allmählich Russland zuwendet. Langfristig könnte es zu einer Neuausrichtung zwischen Moskau und Tiflis kommen. 

In diesem sich verschiebenden Kräfteverhältnis im Südkaukasus erleben also alle Länder der Region strukturelle Veränderungen in ihrer Außenpolitik. Einige Entwicklungen, wie in Georgien oder Aserbaidschan, begünstigen Moskau, während andere, wie in Armenien, für den Kreml weniger vorteilhaft sind. Dennoch wird Russland in all diesen Prozessen als wichtiger Akteur gesehen, und es ist unwahrscheinlich, dass Moskaus Einfluss so weit zurückgeht, dass es nicht zumindest ein wichtiger Akteur neben anderen Mächten bleiben wird.

Emil Avdaliani ist Professor für internationale Beziehungen an der Europäischen Universität in Tiflis, Georgien, und ein Experte für historische Konzepte der Seidenstraße.

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