Russland und die Östliche Partnerschaft: Langwierige Konfrontation

Armenien und Russland haben sich in den letzten sechs Jahren allmählich voneinander entfernt, doch die jüngsten Schritte Eriwans stellen zwei zentrale Säulen der russischen Sicherheitspolitik in Frage, in die Moskau seit Beginn der Östlichen Partnerschaft nicht nur im Kaukasus, sondern im gesamten Gebiet des Projekts mit aller Macht investiert.

Wachsende Spannungen

Armenien und Russland stehen sich zunehmend feindselig gegenüber. 

Moskau hat den Machtwechsel von der alten Garde um Kotscharjan und Sargsjan zu Paschinjan nie wirklich akzeptiert, und ein Großteil der Bemühungen der Regierung Paschinjan  seit Beginn seiner ersten Amtszeit nach der Samtenen Revolution war darauf ausgerichtet, den damaligen Hauptverbündeten davon zu überzeugen, dass der Führungswechsel die Außenpolitik und die geopolitische Ausrichtung des Landes nicht beeinträchtigen würde. Mit einigen Jahren Abstand scheint diese anfängliche Absicht jedoch geschwunden zu sein. Während des 44-tägigen Krieges kam es zu militärischen Zwischenfällen in Armenien selbst. Unter diesen Umständen wandte sich Eriwan umgehend an Moskau. Dies führte jedoch nicht zu den gewünschten Ergebnissen für die armenische Seite. Dann kam die Nachkriegszeit, die durch eine wachsende armenische Enttäuschung über den vom russischen Verbündeten angebotenen Schutz gekennzeichnet war. Eriwan erhielt weder von Russland noch von der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) eine Garantie für ein Eingreifen bei Angriffen auf sein Territorium. Es ist erwähnenswert, dass Russland und Armenien eine Reihe bilateraler Sicherheitsabkommen geschlossen haben, die durch den Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand von 1997, das Abkommen über die russische Militärbasis auf armenischem Territorium von 1995, die zwischenstaatlichen Abkommen über die Schaffung eines gemeinsamen regionalen Luftverteidigungssystems von 2015 und über den gemeinsamen Kampfeinsatz zur Luftverteidigung im Jahr 2000 besiegelt wurden. Außerdem unterzeichneten Russland und Armenien 2016 ein Abkommen über eine gemeinsame Streitkräftegruppe.

Die russischen militärischen Vorposten im Konfliktgebiet, darunter das russisch-türkische Beobachtungszentrum in Aserbaidschan, die rund 2000 Friedenstruppen und der russische Grenzschutz, der an den Grenzen des Landes patrouilliert, hatten keine abschreckende Wirkung auf militärische Aktionen Aserbaidschans gegen das bis 2023 von Armeniern bewohnten extraterritorialen Gebiets und Armeniens selbst. Dieser Mangel an Einsatzfähigkeit oder -willen ging mit Erklärungen verschiedener russischer Diplomaten und Medienvertreter einher, die eindeutig darauf hindeuteten, dass Moskau die Forderungen der Regierung Paschinjan  nicht unterstützen würde. Stattdessen versuchten sie, den gegenwärtigen gewählten Volksvertretern so viel Verantwortung wie möglich für das armenische Militärdebakel zuzuschreiben, wobei sie sie häufig als "Übergangsregierung" bezeichneten und damit andeuteten, dass die Rückkehr zu einer russlandfreundlicheren Regierung und des damit verbundenen Politikwechsels unabwendbar sei. 

Ende Februar deutete der Präsident des armenischen Parlaments, Alen Simonyan, an, dass der aserbaidschanische Angriff 2020 möglicherweise grünes Licht aus Moskau erhalten habe. Es wäre nicht das erste Mal, dass Russland mit einem Krieg versucht, eine ihm missfallende Führung aus dem postsowjetischen Raum zu entfernen, wobei es jedoch immer wieder mit seinen Versuchen scheitert. Dies geschah 2008 mit Georgien und 2014 und 2022 mit der Ukraine. Saakaschwili, Paschinjan und Selensky blieben trotz der schweren Verluste durch die Kriege an der Macht, und die ukrainische Revolution der Würde ging trotz der territorialen Erosion des Landes weiter. Auch der Verlauf der georgischen Rosenrevolution und der armenischen Samtrevolution wurde durch das Kriegsproblem nicht umgedreht.

Seit 2023

In der Vorkriegszeit waren Eriwan aufgrund der Bergkarabach-Frage - was die Beziehungen zu Moskau betrifft - die Hände gebunden. Armenien beschränkte lediglich die Einreise von Kreml-nahen und öffentlich kritischen Persönlichkeiten gegenüber der Regierung Paschinjan und äußerte sein Unbehagen über nicht erfüllte Erwartungen, indem es Anträge der OVKS blockierte, die nicht seinen Forderungen entsprachen.

Nach September 2023 befanden sich die russisch-armenischen Beziehungen im freien Fall, wobei Eriwan nach und nach Maßnahmen einführt, die Moskau nur als antirussisch interpretieren kann. Im Januar stoppten armenische Militärangehörige einen russischen Konvoi und verhafteten zwei Soldaten wegen Drogenbesitzes. Eriwan bestritt offen die Bedeutung Moskaus als Verantwortlicher für die Originalkarten, die für die Festlegung und Demarkation der armenisch-aserbaidschanischen Grenzen erforderlich sind. Moskau protestierte nachdrücklich gegen einen Vandalenakt gegen das Denkmal für die Opfer der Leningrader Blockade im Eriwaner Vahagn Davtyan-Park, während Armenien zunehmend den Wunsch bekundet, sich von der ständigen Beschwörung der sowjetischen Vergangenheit zu lösen. Im Land wird über eine Neufassung der Nationalhymne und des Staatssymbols sowie der Verfassung diskutiert: kurz gesagt, ein Armenien, das zunehmend in eine Zukunft blickt, die sich vom 20. Jahrhundert und den ersten beiden Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts unterscheidet. Das russischsprachige Programmangebot der öffentlichen armenischen Rundfunkanstalten ist stark zurückgegangen, und die Frage des Status des Russischen als internationale Sprache, die in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion geschützt und bewahrt wird, ist für Moskau ein sehr heikles Thema. Seit 2023 ist Eriwan Teil des Römischen Statuts, mit allen möglichen Auswirkungen auf Putins Status als angeklagte Person. Im März verbot die armenische Zentralbank den örtlichen Banken, die Mir-Karte zu bedienen, da dadurch Sekundärsanktionen drohten. Vor allem seit Ende Februar oder Anfang März sind neue Streitigkeiten zwischen Armenien und Russland entstanden. Dabei geht es um Fragen, die für Russland von zentraler Bedeutung sind.

Harte Sicherheit

Die neuen Quellen der Spannungen hängen mit zwei Aspekten der harten Sicherheit zusammen, die für Moskau Priorität haben: seine militärische Präsenz und die Nichtausdehnung von Drittstaaten oder Organisationen, die als feindlich oder als Konkurrenten in Gebieten betrachtet werden, die für Russland von exklusivem Interesse sind - wie dies im Bezug auf Armenien der Fall ist.

Das Schicksal der russischen Friedenstruppen im ehemaligen Bergkarabach wird nun weitgehend von aserbaidschanischer Willkür bestimmt. Armenien hat darüber hinaus seine Absicht erklärt, die russische Präsenz vom Flughafen Zvarnost in Eriwan abzubauen. Moskau zeigte sich irritiert über diesen Schritt, der von Armenien offiziell angekündigt wurde.

Es sollte klargestellt werden, dass der russische Grenzschutz im Vergleich zu den westlichen Ländern, in denen er in der Regel dem Innenministerium unterstellt ist, einige Besonderheiten aufweist. Seit 2003 ist der russische Grenzschutz Teil des FSB, des Nachfolgers des KGB, einer militärischen Einrichtung, die nicht dem Innen- oder Verteidigungsministerium untersteht, wie es beim KGB der Fall war. Der FSB hat nachrichtendienstliche Aufgaben und Fähigkeiten, und er hat sich nie förmlich verpflichtet, diese nicht über die Landesgrenzen hinaus auszuüben. Daher ist die seit 1992 andauernde, aber nicht durch eine spezifische Befugnisübertragung der armenischen Regierung geregelte Präsenz des russischen Grenzschutzes in Zvarnost im Rahmen der Vorrechte und Funktionen zu sehen, die Russland dem FSB und all seinen Zweigen zuerkennt.

Die zweite Problematik betrifft die Rolle der externen Akteure in der Region. Paschinjan  hat deutlich gemacht, dass Armenien nicht nur den möglichen Beitritt Georgiens zur Europäischen Union begrüßt, sondern auch die Möglichkeit einer eigenen Kandidatur prüfen will. Er wurde in dieser Hinsicht Anfang März vom Europäischen Parlament in der Entschließung "zu engeren Beziehungen zwischen der EU und Armenien und der Notwendigkeit eines Friedensabkommens zwischen Aserbaidschan und Armenien" ermutigt. Dementsprechend wurde ein Interesse Armeniens an einer Kandidatur als ein Grundstein für eine transformative Phase in den Beziehungen zwischen der EU und Armenien dargestellt. Das Europäische Parlament fordert die Kommission und den Rat auf, den Wunsch Armeniens nach einer stärkeren Zusammenarbeit mit der EU aktiv zu unterstützen, und zwar nicht nur im Bereich der wirtschaftlichen Partnerschaft, sondern auch beim politischen Dialog, der Integration und der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit.

Armenien untergräbt mit seiner derzeitigen Politik somit mehrere Pfeiler der russischen Nachbarschaftspolitik im Kaukasus: das Vorhandensein eines ungelösten Konflikts, in dem Moskau eine Schlüsselrolle spielen kann, die Kontinuität der russischen Militärpräsenz in ihrer bisherigen Form und die Nicht-Erweiterung der Europäischen Union unter den postsowjetischen Ländern.

Die Östliche Partnerschaft und die militärische Antwort Russlands

Die mögliche Erweiterung der EU wurde vom Kreml stets mit einer militärischen Reaktion beantwortet. Das Jahr 2008 stand im Zeichen des NATO-Gipfels in Bukarest und des Beginns der Östlichen Partnerschaft, an der sechs Länder außerhalb der Europäischen Union beteiligt sind: Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldawien und die Ukraine. Die sechs Länder bekundeten ihr Interesse an einer engeren Bindung an die Europäische Union. Drei dieser Länder beherbergten zu dieser Zeit russische Militärstützpunkte: Belarus verfügte über eine Radarstation in Hantsavichy, ein Marine-Kommunikationszentrum in Vileyka und ein Luftverteidigungszentrum in Baranovichi; insgesamt waren etwa 1.500 russische Militärangehörige im Land stationiert. In der Ukraine gab es den gepachteten Marinestützpunkt in Sewastopol, der nach 2014 hätte erneuert werden sollen und in dem rund 26.000 russische Militärangehörige stationiert waren. Alles in allem war die russische Militärpräsenz an der europäischen Grenze begrenzt, aber offensichtlich. 

Im Kaukasus stellte sich die Situation anders dar. Aus Georgien hatten sich die Russen 2005 aufgrund bilateraler Abkommen bereits zurückgezogen. In Aserbaidschan liefen Verhandlungen über die Verlängerung des Mietvertrags für eine ehemals sowjetische Radarstation, die jedoch nicht erfolgreich waren und 2012 zum vollständigen Abzug der Russen führten. Nach der Auflösung der Sowjetunion weigerte sich Aserbaidschan, russische Militärstützpunkte aufzunehmen. Dies war nicht der Fall in Armenien, das neben dem russischen Stützpunkt in Gjumri mit rund 5.000 Militärangehörigen auch noch andere militärische Stützpunkte und Grenzwachen unterhält.

Zusätzlich zu diesen Präsenzen gab es Waffenstillstandsbeobachter in Abchasien, Beobachter in Südossetien und etwa 1.500 russische Militärangehörige in Transnistrien.

Nach dem Jahr des Bukarester Gipfels und der Östlichen Partnerschaft hätte sich diese Zahl wahrscheinlich verdoppelt - genaue Daten werden von Moskau nicht bekannt gegeben - und die russische Militärpräsenz hätte sich auf alle Länder der Östlichen Partnerschaft ausgedehnt, auch auf solche mit Atomkraftwerken. Und dies geschah vor dem Einmarsch in die Ukraine, der die militärische Landschaft der Region völlig veränderte. Diese militärische Eskalation vor den Toren Europas in Verbindung mit einem Anstieg der Militärausgaben um 170 % in den letzten zwei Jahrzehnten, die im Jahr 2021 mehr als 4 % des nationalen BIP ausmachten, deutet darauf hin, dass die Russische Föderation entschlossen ist, militärischen Zwang auszuüben, um Einfluss zu gewinnen, der sich andernfalls nur schwer durchsetzen ließe.

Der Kaukasus war die erste Region, die von den Russen schrittweise militarisiert wurde. 

In Georgien dauerte es nur drei Jahre von der Entfernung russischer Militärstützpunkte bis zur Intervention von Moskaus Streitkräfte im August 2008 in Südossetien und Abchasien. Dies geschah unter dem Vorwand, die russischsprachige Minderheit zu schützen, die in Südossetien einem angeblichen Völkermord ausgesetzt war. Das Waffenstillstandsabkommen sah vor, dass alle Konfliktparteien ihre Truppen auf die Positionen zurückziehen, die sie vor dem Krieg innehatten, was Georgien erfüllte, Russland jedoch nicht. Tatsächlich erkannte Moskau die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens an und argumentierte, dass sich das Waffenstillstandsabkommen nicht auf das Territorium neuer Staaten erstrecken könne, mit denen Russland verschiedene Militärabkommen geschlossen habe. Infolgedessen befinden sich derzeit etwa 4.500 russische Militärangehörige in Abchasien und 3.500 in Südossetien. 

Im Zentralkaukasus wurde die russische Militärpräsenz auch in Armenien und Aserbaidschan verstärkt. Nach dem armenisch-aserbaidschanischen Krieg im Jahr 2020 sind 2.000 russische Friedenssoldaten in Bergkarabach stationiert. Aserbaidschan beherbergt außerdem russisch-türkische Beobachtungsposten zur Überwachung der Einhaltung des Waffenstillstands. Darüber hinaus hat Russland die Präsenz der in Armenien stationierten russischen Grenzsoldaten erhöht und drängt darauf, dass sie die Kontrolle über den Zangezur-Korridor übernehmen. Armenien ist bereits von den für 2020 getroffenen Vereinbarungen in dieser Frage abgerückt.

Zwischen 2008 und 2020 hat sich der Kaukasus in Bezug auf die Stationierung russischer Streitkräfte erheblich gewandelt. Der militärische Druck nimmt in allen Ländern der Partnerschaft zu. Die Ukraine ist zweifellos der eindeutigste und dramatischste Fall, da sie derzeit das einzige Land ist, in dem sich der militärische Druck in Form von Gebietseroberungen und Annexionen niedergeschlagen hat. Aber auch in allen anderen Ländern ist klar, dass Russland seine Durchsetzungskraft durch Sicherheitskontrollen bis hin zur nuklearen Bedrohung bekräftigen will. Das Referendum in Weißrussland im Jahr 2022 öffnete das Land für russische Atomwaffen. Weißrussland ist nach den innenpolitischen Entwicklungen, die dem Krieg in der Ukraine vorausgingen, von der östlichen Partnerschaft suspendiert, aber nicht endgültig ausgeschlossen worden.

Die Stationierung des Atomwaffenarsenals und die Annexion von Gebieten stellen einen quantitativen und qualitativen Sprung im Vergleich zu den vergangenen postsowjetischen Kriegen dar.

Die russische militärische Eskalation in den Ländern der Östlichen Partnerschaft scheint nicht nur eine mutmaßliche Reaktion auf aktuelle Konflikte zu sein, sondern vielmehr ein Prozess, der seit 15 Jahren im Gange ist und in den Plänen Moskaus zu einer dauerhaften militärischen Präsenz führen soll.

Beitrag von Dr. Marilisa Lorusso

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