Trotz der Wahlen wird die innere Instabilität in Georgien fortbestehen

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Der Wahlprozess in Georgien ist zu Ende gegangen. Doch die Probleme werden nicht nur wieder auftauchen, sondern sich noch verschärfen. Die anhaltende innenpolitische Instabilität birgt die Gefahr, dass die Beziehungen zum Westen untergraben werden und das würde das Land isolierter und losgelöster von den entscheidenden geopolitischen Veränderungen im Südkaukasus machen.

Der jüngste Wahlprozess in Georgien wurde durch kontroverse Maßnahmen und die Rhetorik der wichtigsten Teilnehmer beeinträchtigt. Die stark polarisierte politische Landschaft wurde durch die heimliche Ankunft des ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili in Georgien und seine Verhaftung in Tiflis einige Tage später weiter erschüttert. Vorausgegangen war eine fast einjährige innenpolitische Instabilität nach den umstrittenen Parlamentswahlen 2020, bei denen sich die Opposition weigerte, in die Legislative einzutreten. Als sich die Patt-Situation verschärfte, vermittelte die EU eine Einigung zwischen der Regierungspartei und der Opposition. Die wichtigsten Parteien, darunter die Regierungspartei Georgischer Traum (GT), unterzeichneten das Abkommen, während sich die größte Oppositionspartei des Landes, die Vereinigte Nationale Bewegung (UNM), der Stimme enthielt. Schließlich wechselten GT und UNM die Seiten: Die Regierungspartei verließ das Abkommen, während die UNM zum Hauptbefürworter des Dokuments wurde.

Als sich die politische Instabilität vertiefte und die Kommunalwahlen näher rückten, machte die Rückkehr des ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili erneut die Fragilität der innenpolitischen Situation deutlich. Die Entscheidung hat die Anhänger der UNM aufgerüttelt. So versammelte sich am 14. Oktober im Zentrum von Tiflis eine Menschenmenge, deren Zahl auf 50.000-60.000 geschätzt wird. Die Menge forderte die Freilassung von Saakaschwili. Dies zeigte einmal mehr, dass die Opposition immer noch große Menschenmengen zusammenbringen kann - ein Zeichen von Popularität und Macht.

Seine Rückkehr ist jedoch auch eine gefährliche Angelegenheit für die Opposition insgesamt, da seine Anwesenheit der Regierungspartei hilft, große Versammlungen abzuhalten und diejenigen wieder einzubinden, die ansonsten mit der Regierung unzufrieden waren. Für seine Gegner ist Saakaschwili jetzt ein „notwendiges Übel“.

Das Wahlergebnis wird die grundlegenden internen Probleme des Landes nicht lösen. Erstens wird die Inhaftierung Saakaschwilis ein großes Problem für den GT bleiben, da sie die Fähigkeit der Partei, sich in den aufkommenden Krisen zurechtzufinden, ständig auf die Probe stellt. Auch der Druck seitens der westlichen Partner Georgiens, eine langfristige Lösung für den Fall des ehemaligen Präsidenten zu finden, wird zunehmen. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Beziehungen Georgiens zum kollektiven Westen untergraben werden, der die Entwicklung eines freieren Justizsystems im Land und die Diversifizierung des politischen Lebens unterstützt. Sicherlich ist es unwahrscheinlich, dass ein Problem im Zusammenhang mit einer einzelnen Person als entscheidendes Motiv für die wachsenden Spannungen dient. Aber die Inhaftierung Saakaschwilis fügt sich in die bereits lange Liste der bilateralen Probleme zwischen Tiflis und dem kollektiven Westen ein.

Das eigentliche Dilemma für den GT ist, dass selbst wenn Saakaschwili freigelassen wird, diese Entwicklung wahrscheinlich dazu beitragen würde, die Zahl seiner Anhänger zu erhöhen. Sein sich verschlechternder Gesundheitszustand im Gefängnis (wegen seines Hungerstreiks) wird den Prozess ebenfalls erleichtern und vielleicht sogar die Zahl der Kernanhänger des GT dezimieren.

Die Ergebnisse der Stichwahl werden die grundlegenden Probleme, die die innere Stabilität Georgiens bedrohen, nicht lösen. Erstens sind da die wirtschaftlichen Probleme. Obwohl die Landeswährung in den letzten Monaten gegenüber dem US-Dollar recht stabil war, wird sie aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage in der Türkei, wo die Lira ins Straucheln geraten ist, voraussichtlich noch schwächer werden. Darüber hinaus steigt die Inflation weiter an, die Gehälter stagnieren und die ausländischen Direktinvestitionen sind auf dem Tiefpunkt. Die türkischen Investoren haben das Land nach dem gescheiterten Versuch den Bau des Kraftwerks Namachwani in Westgeorgien zu finanzieren verlassen. Nun ist es unwahrscheinlich, dass weitere große Investitionen in Georgien getätigt werden, da man lokale Proteste und eine allgemein unangenehme politische Situation befürchtet.

Abgesehen von den wirtschaftlichen Problemen wird das problematische Justizsystem ein großes Hindernis bleiben, da die Veränderungen auf kommunaler Ebene einen Prozess dieses Kalibers nicht direkt beeinflussen können. Auch das problematische Wahlsystem wird weitgehend unangetastet bleiben.

Diese Bedenken werden eine rasche Verschlechterung der innenpolitischen Lage ermöglichen: Der Druck auf die Regierungspartei wird sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes zunehmen und den Weg für vorgezogene Parlamentswahlen ebnen, die wahrscheinlich irgendwann im Jahr 2022 oder Anfang 2023 stattfinden werden. Auf dem Weg dorthin wird es wahrscheinlich zu kleineren und mittelgroßen Protesten kommen.

In der Zeit nach den Wahlen wird sich auch das traditionelle innenpolitische Leben in Georgien stark verändern. Der Schlüssel dazu könnte das allmähliche Aufkommen einer dritten politischen Kraft sein, der Partei ‘Für Georgien’ des ehemaligen Premierministers Giorgi Gacharia. Mit einem Stimmenanteil von bis zu 8 Prozent in der ersten Runde wird sich Gakharia wahrscheinlich enthalten, entweder den GT oder die UNM offen zu unterstützen. Seine Zusammenarbeit mit dem GT ist jedoch realistischer, da beide die UNM verabscheuen und deren Rückkehr an die Macht offen fürchten. Unabhängig davon entwickelt sich Gakharia allmählich zu einer zentralen dritten Kraft in der georgischen Politik und durchbricht den politischen Teufelskreis der Konkurrenz zwischen GT und UNM. ‘Für Georgien’ hat in vielen Gemeinden genügend Stimmen erhalten, um den so genannten „goldenen Schlüssel“ in der hand zu halten. Dies bedeutet, dass ohne die Vertreter von ‘Für Georgien’ weder die UNM noch der GT in der Lage sein werden, eine Mehrheit in den Rathäusern mehrerer Städte des Landes zu bilden.

Dies unterstreicht wohl eine der wichtigsten Entwicklungen im innenpolitischen Leben Georgiens - den Übergang von einer traditionellen unipolaren Regierungsform zu einem Mehrparteiensystem. In der Vergangenheit wurden bereits einige Versuche unternommen. Als beispielsweise 2012 der Milliardär und derzeitige Schattenherrscher des Landes Bidzina Iwanischwili die damals scheinbar unangreifbare UNM und Saakaschwili herausforderte, wurde eine Koalition der Oppositionskräfte gebildet, die sich schließlich durchsetzen konnte. Als sie an der Macht war, brach sie jedoch auseinander. Ein ähnliches Schicksal könnte der von der UNM geführten Koalition bevorstehen, falls die Partei Erfolg hat, aber die Entwicklung ist dennoch ein Hinweis auf tiefgreifende Veränderungen. Eine integrative Regierung scheint zunehmend attraktiver und die einzige Lösung zur Stabilisierung der innenpolitischen Lage zu sein.

Ein Blick in die Zukunft

Unabhängig davon, welche Seite gewinnt, wird die interne Instabilität in Georgien fortbestehen. Wie bereits erwähnt, werden Ende 2022 oder Anfang 2023 wahrscheinlich vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden. Die jetzigen Kommunalwahlen signalisieren auch das Aufkommen einer dritten Kraft (‘Für Georgien’) und einen grundlegenden Wandel von einer traditionellen unipolaren zu einer Mehrparteienherrschaft.

Die zunehmend angespannte politische Lage in Georgien wird sich auf die Außenbeziehungen des Landes auswirken. Die Beziehungen zum kollektiven Westen, insbesondere zur EU, werden brüchig werden. Das heißt nicht, dass ein großer außenpolitischer Wandel zu erwarten ist und die Fortschritte könnten sehr gering sein.

Längerfristig gesehen tritt Georgien damit in eine langwierige, turbulente Phase ein, in der interne Probleme die umfassenderen geopolitischen Veränderungen überschatten werden, die sich derzeit um Georgien herum vollziehen. Die Insellage des georgischen politischen Denkens könnte sich in vielerlei Hinsicht als nachteilig erweisen. Während Armenien und Aserbaidschan auf der einen Seite und Armenien und die Türkei auf der anderen Seite auf eine stärkere regionale Vernetzung hinarbeiten, besteht die Gefahr, dass Georgiens nach innen gerichtetes politisches Leben das Land von wichtigen regionalen Entwicklungen ausschließt.

Emil Avdaliani ist Professor an der Europäischen Universität und Direktor für Nahoststudien beim georgischen Think-Tank Geocase.

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